Schwarzer Save Space

Weil: er hier.

Brauchen wir eine schwarze Kinderbibliothek?

Das kommt wohl erstmal darauf an, wer mit „wir“ gemeint ist.

Im vergangenen Sommer wurde in Bremen die erste «schwarze Kinderbibliothek» im deutschsprachigen Raum gegründet.

Wie anderswo zu lesen ist: „Noch stehen weniger als 100 Bücher in der Bibliothek.“ Was jetzt ziemlich wenig ist. Vor allem für ein Projekt, dass mit einem fünfstelligen Betrag gefördert wird. Aber nun, irgendwo muss man ja anfangen, wenn man mein „wir“ bräuchten das.

Nun wurde die schwarze Kinderbibliothek in neuen Räumlichkeiten feierlich eröffnet.

Es ist – wie die SZ schreibt – ein Raum. Keine „Räumlichkeiten“. Wobei ich natürlich nicht unterstellen will, dass Pickert einfach übertreibt, sondern, dass er einfach nicht recherchiert hat.

Diese Bibliotheken sind Notwendigkeit und Glücksfall zugleich. Sie sind ein dringend erforderlicher Einspruch in die allzu weisse, sich selbst vergewissernde Erzählung einer eigentlich vielschichtigen Gesellschaft.

Die „Gesellschaft“ ist tatsächlich auch ohne Schwarze vielschichtig. Aber da viele Kinderbücher unsere Gesellschaft entweder gar nicht oder sehr vereinfacht oder verfremdet darstellen, ist diese „Erzählung“ gar nicht mal das Problem von Kinderbüchern als solchen. Aber gut – was für Bücher gibt es denn in der schwarzen Kinderbibliothek?

Und sie sind sichere Orte, an denen Repräsentation und Verortung auf eine Weise möglich werden, die uns seit Jahrzehnten aus Desinteresse, Ignoranz und durchaus auch aus Boshaftigkeit nicht gelingt.

Dieses „sichere Orte“ bezeichnet wohl einen „save Space“. Was auch bei der SZ so zitiert wird: „Co-Leiterin Sallah sagte, die Bibliothek solle ein sogenannter Safespace, also ein Schutzraum, für schwarze Kinder und Jugendliche sein.“ Heißt für mich als nicht-schwarze, nicht-jugendliche Person, dass ich da nicht rein darf. Was dann dadurch konterkariert wird, dass es dann heißt „Die Bibliothek ist ein Ort, an dem alle Kinder, Jugendliche und Familienangehörige willkommen sind.“, was jetzt also nicht direkt die Schuld von Pickert ist, aber nun – die Botschaften sind hier etwas widersprüchlich.

Allerdings sind solche Projekte nicht unumstritten.

Tja. Genauso wie die Fußball-WM in Qatar. Also dann schon lieber schwarze Bibliotheken.

Wann immer sie an den Start gehen, wird der Vorwurf laut, dass mit ihnen eine Form der Markierung und Spaltung betrieben wird, die nicht nur unnötig, sondern sogar gesellschaftsschädigend sei.

Eigentlich wäre die Frage, welche Bücher als „schwarz“ gelten, und warum diese nicht in den „normalen?“, „weißen???“, sonstigen Bibliotheken stehen können oder dürfen (Verschwörung!)? Bücher von Schwarzen? Bücher über Schwarze? Bücher zum Thema Rassismus? Die taz nennt ein paar der Titel, was Pickert tatsächlich nicht für nötig hält.

«Müssen wir wirklich für jede gesellschaftliche Kleingruppe einen Extraaufwand betreiben?» Tatsächlich sollten wir das in diesem und in vielen anderen Fällen tun.

Die Frage ist nicht: „Sollten wir Kinderbücher zum Thema Rassismus in Bibliotheken stellen?“, wer immer jetzt schon wieder „wir“ ist, sondern: „Sollten wir Rassismus-Kinderbücher auslagern?“ Kinderbücher, deren Helden übergewichtig oder hyperaktiv sind, kriegen ja auch keine Außenstelle, die als explizit für übergewichtige oder hyperaktive Kinder beschrieben wird.

Denn die seit Jahren immer wieder aufflammenden Debatten um Rassismus, Herkunft und Identität verkennen vollkommen, dass es sich hierbei um eine Gegenbewegung handelt.

Ja, dann soll die Gegenbewegung doch einfach ihre eigenen Bibliotheken gründen, also auch finanzieren. Gegenfrage – eine Gruppe von Weißen macht sich dafür stark, dass alle Schwarzen Kinder eine bestimmte Bibliothek mit rund hundert Titeln benutzen sollten, weil die Bücher in der großen Bücherei für diese nicht geeignet wären. Wie klänge das?

Seit Jahrhunderten werden schwarze Menschen in der europäischen Literatur unsichtbar gemacht, missachtet und exotisiert.

Niemand hält nigerianische Kinderbuchautoren davon ab, dasselbe mit Europäern zu machen. Nur beschwert sich keiner, dass es in Nigeria keine weißen Bibliotheken gibt. Mal abgesehen davon, dass „Die kleine Raupe Nimmersatt“, „Fünf Freunde“ oder auch „Die unendliche Geschichte“ meine Gesellschaft auch nicht gerade wiedergeben.

Sie sind entweder nicht vorhanden, dienstbar oder «wild» und «anders».

Wie kann man Schwarze sichtbar machen, ohne ihre Hautfarbe zu benennen? Bilder? Nebenbei fallen mir eine Menge weißer Kinder aus Büchern ein, die ebenfalls wild und anders sind. Alles ist gut, solange ihr wild seid?

Dieses Problem lässt sich nicht nur damit lösen, dass alte Erzählweisen kritisiert und auf den Prüfstand gestellt werden.

Sondern auch…? Darf Jim Knopf eigentlich in eine „schwarze Bibliothek“?

Zweifellos ist es unumgänglich, dass wir Weissen uns von rassistischen Literaturklassikern distanzieren und trennen, die uns lieb und teuer sind.

Welche rassististischen Literaturklassiker sind Pickert wohl lieb und teuer? Nebenbei schreibe ich Schwarzen ja auch nicht vor, von welchen Büchern sie sich zu trennen haben, oder wovon sie sich bitteschön distanzieren sollen. Auch, wenn ich sie gelegentlich kritisiere.

Aber darüber hinaus müssen Räume für Repräsentation geschaffen werden, in denen Teile unserer Gesellschaft die Möglichkeit haben, sich selbst zu erzählen und zu gestalten.

Wer genau hält sie davon ab? Jemanden nicht zu finanzieren ist NICHT dasselbe, wie jemanden daran zu hindern. Abgesehen davon, dass einige der Titel gar nicht auf deutsch sind.

Denn Diversität ist kein Gimmick. Diversität ist Realität.

Das ist einerseits richtig, andererseits sind die allermeisten Deutschen nicht schwarz. Wer jetzt mir 20-25% Migrantionshintergrund kommt – ja, die meisten von denen sind nicht schwarz.

Diverse Kinderbücher, die diverse Lebensrealitäten thematisieren und abbilden, sollen und dürfen sich nicht darin erschöpfen, dass Steffie mit ihren Eltern im Urlaub Menschen mit schwarzer Hautfarbe trifft und ganz fasziniert davon ist.

Ganz ehrlich? Kinderbücher, die Lebensrealitäten abbilden, fand ich immer langweilig. Oder, die zumindest so taten. TKKG, ey.

Oder dass Konrad sich nach dem Unterricht manchmal gerne einen Döner kauft.

Ob Konrad sich einen Döner kauft, oder Ichihiro eine Currywurst – was davon hat mit Schwarzen zu tun? Sei es Afrodeutschen, Afroamerikaner oder gar Afroafrikanern? Man kann sich streiten, ob Döner deutsch oder türkisch ist, aber das kommt jedenfalls nicht einmal aus der Nähe von Afrika.

Sondern, dass Steffie und Konrad womöglich auch schwarz sind. Zu erzählen, wie sie spielen und lernen. Wen sie lieben. Was ihnen wichtig ist. …

Funfact: der Schwarze aus meiner Stufe hat einen schottischen Vornamen. Es ist aber sicher wichtig, dass Steffi und Konrad schwarz sind, gerne Döner essen und sich im Urlaub von den ganzen Schwarzen fasziniert sind. Nee, Moment…

Und zwar nicht mit dem Ziel, etwaige Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszustellen, sondern einfach um zu erzählen, was ist.

Eine fiktive Figur in einem Kinderbuch hat nicht einmal anekdotische Evidenz, sondern ist ausgedacht. Jetzt kann man natürlich den Anspruch haben, dass Kinderbücher Kindern etwas beibringen sollen, aber, was meine Erfahrung betrifft, je pädagogischer ein Buch, desto langweiliger. Gerade bei Kinderbüchern…

Wie schwarzes Leben in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist. Es ist wichtig, darüber und dafür zu erzählen.

…aber wenn man das vorhat, ist es taktisch unklug, die zugehörigen Bücher in eine Bibliothek explizit für Schwarze zu stellen. Das eigene Leben ist am uninteressantesten. Und die Weißen, denen man was beibringen will, gehen da nicht hin.

Es bedeutet anzuerkennen, dass unser «wir» bisher viel zu weiss und eindimensional erzählt wurde und es höchste Zeit ist, die Diversität dieses «wirs» nicht länger zu verleugnen oder lediglich zu behaupten.

Welches „wir“ ist hier gemeint? Menschen, die eine eigene Bibliothek wollen, für ihre eigenen Kinder, wo diese nicht mit Kindern anderer Hautfarbe konfrontiert werden, wo Geschichten explizit von und für ihre Hautfarbe zu lesen sind, wen meinen die mit „wir“? Pickerts ganze Argumentation zerbricht daran, dass es genau nicht darum geht, Bücher über schwarze Kinder, oder von schwarzen Kinderbuchautoren, oder auch über Rassismus in Bibliotheken zu stellen, die auch für Weiße gedacht sind.

Ein Gedanke zu “Schwarzer Save Space

  1. …aber wenn man das vorhat, ist es taktisch unklug, die zugehörigen Bücher in eine Bibliothek explizit für Schwarze zu stellen.

    Es ist alles so bescheuert, ich nehm mir den Strick.

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