Beendet seine Karriere aus gesundheitlichen Gründen mit 34, was wirklich nicht schön ist.
Aber das ist auch politisch. Das gesundheitliche ist privat, und das private muss politisch bleiben.
Der Verkomplizierer
Fußball-Weltmeister Mesut Özil hat seine Karriere beendet. Er machte die Dinge, die man so gern einfach haben will, komplizierter – nicht nur im Fußball.
Die man gerne unkompliziert haben will. Geld wollen auch alle einfach haben, aber Geld ist nicht kompliziert. Nur halt immer zu wenig.
Der Fußball sorgt in einer komplizierten Welt für klare Verhältnisse.
Fußball schtonk einfach. Einfach schtonk.
Das ist der Grund, warum so viele Menschen Woche für Woche in die Stadien strömen oder bei bestem Wetter vor dem Fernseher sitzen.
Warum denn dann Fußball und nicht Schach?
Das Leben ist nicht schwarz-weiß.
Man kann Schach auch mit bunten Figuren und Brettern spielen. Meinetwegen Blau-Weiß gegen Gelb-Schwarz auf grün-rot geschachtetem Feld…
Dieser Einwand gilt hier nicht.
Dann verstehe ich es erst Recht nicht. Oder darf man beim Schach keine Schiedsrichter-Schmähgesänge singen? Hmmm…
ich möchte um jeden Preis, dass meine Mannschaft gewinnt, und ich unterstütze sie, so gut ich kann, ich verausgabe mich für sie, denn ich liebe sie.
Das ist doch genau die Art von Tribalismus, der in Hogwarts immer das Problem ist, oder? Aber gut, mit echten Menschen statt mit Schachfiguren macht das mehr Spaß. Auch, wenn die Schachfiguren einen Willen haben…
Mesut Özil, der nun mit 34 Jahren seine Karriere beendet, hat so sehr polarisiert, weil er kein Typ der Klarheit und Eindeutigkeit ist.
Ok, Bonuspunkte, weil er quasi die Grenzen von Tribalismus überschreitet. Maluspunkte, weil er jeweils das von jedem Tribus mitgenommen hat, was ihm günstiger war.
Er verkomplizierte die Verhältnisse im Stadion auf eine Weise, die nicht für alle Fußballfans zumutbar gewesen ist – und auch ihn selbst immer wieder in schwierige Situationen gebracht hat.
Er hat sich in Situationen gebracht, die für ihn schwierig waren. Weniger für andere. Auch, wenn andere damit auch nicht direkt gut klar kamen.
Zunächst durchkreuzte Özil in sportlicher Hinsicht die Erwartungen der Deutschen: Er glänzte nicht durch harte körperliche Arbeit und hohe physische Wettbewerbsfähigkeit, was den deutschen Fußball vermeintlich auszeichne, sondern mit Überblick, Spielintelligenz und Kreativität, wie es die Fußballintelligenzija in Deutschland eher anderen Fußballnationen zuspricht.
Okeee. Deutsche oder jedenfalls deutsche Fußballintelligenzijaniks sind so dumm, dass die im Zweifel lieber einen haben der, deutschen Fußball spielt als guten Fußball? Die verdienen zu verlieren. Jedes WM-Aus, jede Gegentor, einfach alles schtonk. Haben die überhaupt Fußball studiert?
Schlechte Körpersprache, hängende Schultern, mäkelten Experten immer wieder, weil ein Özil sich auf dem Platz nicht so aufspielen musste wie ein Thomas Müller.
??? Kein Wunder, dass Özil aufhört.
Oft wurde er deshalb als uneigennützig bezeichnet, Özil mache eben seine Mitspieler besser.
Ok, er spielt sich nicht auf, macht seine Mitspieler besser und ist daher ein gutes Teammitglied, was im Mannschaftssport ja wieder einen Bonuspunkt verdient.
Viele faszinierte diese sportliche Eigenheit Özils, andere machte sie sauer. Sie nahmen sie, bewusst oder unbewusst, als Delinquenz wahr
Ach, Quatsch. Wenn er ein selbstverliebter Torschützenkönig wäre, wären die Türkenhasser doch genauso sauer. Haters gonna hate und so.
und das auch noch von einem Türken, der doch einfach froh sein sollte, dass er sich das weiße Trikot mit dem schwarzen Adler überhaupt überstreifen darf!
Könnte es sein – jetzt reine Spekulation von mir – dass Özil schlauerweise keine „zu selbstbewusste“ Körpersprache entwickelte, und mehr auf Teamplay achtete, als sein Talent es nötig machte, um die Türkenhasser unter den Fußballfans zu besänftigen?
Viele erinnern sich wohl eher an das umstrittene Foto mit dem türkischen Präsidenten
Tja.
oder daran, wie er sich mit Rassismusvorwürfen von der deutschen Nationalmannschaft verabschiedet hat, nachdem einige ihn und die Diskussionen über ihn für das Vorrunden-Aus der Deutschen bei der WM 2018 verantwortlich gemacht hatten
Was bei einem Mannschaftsspiel schon deshalb unfair ist, weil er ja kein Eigentor geschossen hat oder ähnlich verheerend versagte.
daran, dass immer wieder Thema war, dass er die deutsche Nationalhymne nicht mitsingt
Ehrlich gesagt, als Fußballmuffel kann es mir egal sein, aber ganz abstrakt gesagt: sein Talent und sein Training bringt er mit, aber dass Fußball in D. so eine Industrie ist, und er in der Nationalmannschaft so einen gut bezahlten Job hat, dass hat er „uns“ zu verdanken, der Nation, in deren Fußballmannschaft er spielte, und da hat er genauso dankbar zu sein wie seine autochthonen Mannschaftskameraden. Wenn man deren Gehalt auf die Stunde umrechnet, und dann auf die halbe Minute Gesang, dann ist der Betrag jetzt immer noch nicht vernachlässigbar gering…
oder daran, dass jener türkische Präsident sogar zu seiner Hochzeit geladen war
Kam der auch? Und wäre der auch zur Hochzeit von Oliver Kahn gekommen? Bzw., wäre Merkel zu Oliver Kahns Hochzeit gekommen, wenn der die eingeladen hätte? Und überhaupt geheiratet, aber Ihr versteht eventuell meine Frage.
vielleicht auch daran, dass er ganz am Ende auch noch zum Erdoğan-Verein Başakşehir gewechselt ist.
Wo Problem?
Özil wurde Unrecht getan. Aber Özil hat auch Unrecht getan. Dafür wurde er zu Recht kritisiert.
Achwas.
Man macht eben keine netten Gefälligkeitsfotos mit einem Autokraten.
Tja. Im Titelbild lässt Merkel sich mit Özil ablichten, nicht umgekehrt. Und ich erinnere an die Geschlechtertauschprobe. Aber Merkel gratuliert ihm hier, als Vertreterin Deutschlands sozusagen…
Man muss aber auch nicht gleich alte rassistische Vorurteile aufwärmen, wenn doch einer so ein Foto macht.
Es gibt sicher Leute, die das machen. Aber das ist jetzt hinter Trollen verstecken. Oder hinter Rassisten. Gegentest – angenommen, ein anderes Mitglied der Fußballnationalmannschaft macht ein gemeinsames Foto mit Gauland. Oder Höcke. Würde man noch wollen, dass es weiterhin Mitglied ist? Und wenn ja, wer wäre „man“?
Über all das wäre jedenfalls nicht so erregt und ausdauernd diskutiert worden, wäre Özil nicht einer der besten Fußballer, die dieses Land je hervorgebracht hat.
Ach, wirklich? Es ist nichtmal so, dass ein türkischstämmiger Spieler der 3. Kreisliga, der ein Gefälligkeitsfoto mit Erdoğan macht, weniger Aufmerksamkeit und Diskussionsbedarf erzeugt hätte. Ein türkischstämmiger Spieler der 3. Kreisliga wäre nichtmal in die Nähe von Erdoğan gekommen, schon insofern ist das Thema egal.
Mesut Özil hat also die etwas seltsame Frage nach dem deutschen Fußball verkompliziert.
DEN dt. Fußball gibt es ja gar nicht, dass ist ein rassistisches Vorurteil.
Dasselbe hat er auch mit jener nach dem Verhältnis von Fußball und Politik getan
Besser trennen.
und schließlich ist auch die Frage nach Identität und Zugehörigkeit in Deutschland durch ihn komplizierter geworden.
Wenn Mesut Özil einen Werbevertrag mit Puma hat, darf er sich nicht mehr mit Adidas-Sachen ablichten lassen, und umgekehrt. Aber wenn er einen Vertrag mit Deutschland hat, darf er sich mit türkischen Staatsoberhäuptern ablichten lassen? Umgekehrt doch bestimmt auch nicht.
Sie war schon vor ihm nicht einfach, aber er hat gezeigt, wie kompliziert sie tatsächlich ist. Mit Özil konnte niemand mehr wegschauen und die Sache mit einem abstrakten Multikulti-Bekenntnis erledigen.
Ich sach ma so: selbst, wenn der türkische Präsident eeetwas demokratischer gewählt worden wäre, wäre das Verhalten fragwürdig. Es geht hier ausdrücklich nicht darum, dass ein Deutscher zufällig Verwandte und Freunde in der Türkei hat, die regelmäßig besucht, sich für andere türkischstämmige Deutsche einsetzt und dergleichen, sondern um Özils sehr politische Parteinahme für jemanden, der diese nicht verdient hat.
Yıldıray Baştürk, Hamit und Halil Altıntop, Nuri Şahin – jedes Mal erleichterte es mich als Jugendlicher, wenn sich ein namhafter deutschtürkischer Fußballer für die türkische statt für die deutsche Nationalmannschaft entschied.
Ganz fiese Antwort: die richtig teutschen Patrioten waren bestimmt auch so richtig froh darüber. Aber so RICHTIG.
Und sowieso war ich für die Türkei und nicht für Deutschland, wie viele andere, die in Deutschland geboren wurden, aber als Ausländer aufwuchsen.
Das macht meine vorige Aussage ja nicht gegenstandslos.
Als viele der deutschen Türkei-Fans, bei denen ich im roten Trikot stand, Özil nach seinem Tor beleidigten und auspfiffen, da machte Özil einem das Leben mal wieder schwer.
Wer macht hier wem das Leben schwer? Özil anderen, oder andere Özil? Aber ja, so müssten sich die ganzen Kurden in der türkischen Nationalmanschaft fühlen, woll? Bzw., wenn’s welche gäbe…
War er wirklich ein Verräter, wie die Kurve schrie?
„Verräter“ ist an sich kein rassistischer Vorwurf, da man damit ja jemanden zur eigenen Gruppe zählt, aber jemanden zu kritisieren, dass er für ein Land spielt, in dem er aufwuchs, und das immerhin nicht so rassistisch ist, dass es ihm das nicht erlaubt, oder jemanden zu kritisieren, der den Autokraten eines Landes unterstützt, in dem er nicht aufwuchs – was ist jetzt unfairer?
Oder war dieses Geschrei heuchlerisch, weil auch jeder der Schreienden an Stelle Özils das deutsche Trikot getragen hätte?
Es muss nicht heuchlerisch sein, um unfair zu sein. Aber ja, wer für Deutschland Fußball spielt, ist bestimmt ein schlechter Mensch, und das zu sagen, hat sicher nichts mit Rassismus zu tun…
Klar schien in dieser 79. Minute im Olympiastadion nur, dass es auf diese Fragen keine einfachen Antworten gab.
SO schwer ist die Antwort auch nicht. Wenn IHR so viel Nationalgefühl habt, dass IHR wollt, dass Mesut Özil gefälligst nicht gegen die Türkei Tore schießt, dann ist Euch Abstammung wichtiger als Staatsangehörigkeit. Und das ist bei den toitschen Patrioten genauso. Nebenbei, wenn IHR nicht wollt, dass er für Deutschland spielt, dann dürfen wir auch wollen, dass er gefälligst die dt. Nationalhymne singt.
Und spürbar war der Schmerz über diesen Umstand, den vielleicht auch der Torschütze selbst empfand und der nicht nur mit Fußball oder einem selbst zu tun hatte, sondern auch mit der Gesellschaft, die einen umgab.
Um einen Vetter von mir zu zitieren: „Ostdeutsche Fußballfans sehen oft aus wie Neonazis.“ Die Gesellschaft im Fußballstadium, das seid Ihr. Das ist vor allem eine Gesellschaft, der Ihr Euch freiwillig angeschlossen habt. Kann ja sein, dass Özil nur wegen dem Geld für Deutschland gespielt hat, aber zum Ausgleich sang er das Lied nicht mit und machte Werbung für den Präsidenten, wegen dem man lieber in Deutschland lebt als in der Türkei…