Möglicherweise bin ich besser bzgl. Aids und HIV gebrieft worden als andere, was ja schön für mich wäre, aber er hier scheint schon Probleme zu haben, Kanzer ohne -in zu sagen.
Am eigenen Bild gescheitert
Der 40. Jahrestag der Krankheit AIDS ist an unserem Autor vorbeigegangen. Und als er sich damit beschäftigt, begegnet er seinen eigenen Vorurteilen.
Ja, tatsächlich, 40 Jahre HIV ist irgendwie kein Grund zum Feiern gewesen. Ich hatte mal, viele Jahre ist es her, eine I-Net-Unterhaltung darüber, dass es früher gehießen habe „Aids kriegen doch eh‘ nur Schwule.“. Was ich so nicht wahrgenommen habe. Ja, ganz am Anfang – als ich tatsächlich noch nicht alt genug war, dass sich jemand die Mühe gemacht hätte, darüber mit mir zu reden – war das vllt. die Abwehrreaktion auf die Aids-Hysterie. Aber Lehrer, diverse Kondomwerbekampagnen und tatsächlich auch die Behandlung in vielen, wenn auch nicht allen, Unterhaltungsmedien hatten das weder so gesagt noch implizit behauptet.
also gehe ich in eine Ausstellung über vier Jahrzehnte HIV/AIDS, um ihn nachzuholen. Die Ausstellung „L’èpidemie n’est pas finie“ („Die Epidemie ist nicht vorbei“) gibt es noch bis zum 2. Mai im „Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers“ im Hafen von Marseille.
Dass es rationale Gründe gibt, warum man das zu Anfang als Problem betrachtete, das hauptsächlich Schwule betraf, will ich nicht unerwähnt lassen: Kondome schützen. Kondome schützen auch vor Schwangerschaft. Menschen, die sich wegen ungewollten Schwangerschaften weniger Sorgen machen müssen, weil keine der beteiligten Personen eine Gebärmutter hat, haben einen Grund weniger, Kondome zu benutzen, und sonstige Geschlechtskrankheiten waren seinerzeit behandelbar und nicht tödlich. Ergo benutzten Heteroas häufiger Kondome und die Reproduktionszahl war bei ihnen entsprechend niedriger.
Im ersten Raum haben sie Bildschirme aufgestellt, in denen HIV-positive Menschen aus der Region ihre Geschichte erzählen. Zu sehen sind fast nur cis Frauen um die 50 oder 60.
Cisfrauen. Sind das überwiegend Lesben oder Heteras? Arschige Theorie: die männlichen Homosexuellen vom Anfang der Epidemie sind größtenteils schon tot.
Darüber empfinde ich erst Überraschung, dann Erleichterung und schließlich Scham.
Es könnte sein, dass er sich dumm stellt, um eine Frage zu formulieren, aber dann fehlt so ein bisschen die Antwort.
Überraschung, weil ich HIV so stark mit schwulen cis Männern und trans Menschen verbinde, dass mir die betroffenen cis Frauen ganz entfallen sind.
Cisfrauen. Transmenschen. Das Plakat mit der Frau und „Neuer Lover nur mit Cover“, das sich bei mir spontan vor meinem geistigen Auge entfaltet, fühlt sich ignoriert.
Erleichterung deshalb, weil ich denke, dass diese netten Damen das Thema für die durchschnittliche Besucher*in sicher zugänglicher machen – so PR-mäßig gedacht – als würde sie von Homos und Trans begrüßt.
Ok, Lesbische Cisfrauen können das also nicht sein, weil die gegen Aids immun sind, oder was? (Wen könnte man den fragen, ob das Marketing ist, so als investigativer Reporter? Ich meine, er ist da ja nicht zu seinem Vergnügen.) Immerhin wird nicht die Hautfarbe thematisiert.
Und darüber, dass ich so denke, schäme ich mich.
Beschwert er sich wenigstens, dass HIV-positive männliche Homosexuelle unsichtbar gemacht werden?
So auf kategorieller Ebene, wird mir klar, entflutscht mir Wissen über die queere Geschichte immer wieder. Es ist da, aber auch verzerrt von Phobien, überlagert von vermeintlichen Normalitäten.
Es ist ja keine queere Geschichte mehr. Nach vier Jahrzehten, und weil es auch andere Übertragungsweisen gibt, ist das Virus jetzt überall. Soll heißen, dass es Heteras mit Aids gibt, sollte ihn nicht überraschen, dass diese das „Gesicht“ der Ausstellung sind, könnte ihn überraschen, und dass man keinen repräsentativen Querschnitt (sic: nur ein e) von HIV-Patienten ihre Geschichten erzählen lässt, kommt mir schon komisch vor. Von allen Dingen, wo man eine Quotierung gemäß den jeweiligen Anteilen der Bevölkerungsgruppe fordern könnte, wäre die hier ja die sinnvollste.
Ich muss dazu sagen, dass ich die Generation bin, die auf das Thema HIV/AIDS nicht mehr durch sterbende Bekannte gestoßen wurde, sondern pädagogisch safe durch den „Marienhof“ in der ARD.
Bei mir: Mindestens einmal in der Schule und dann noch mal in der Zivildienstschule. Siehe oben.
Manche in der Queeren Theorie reden gerne davon, dass Wissen in Körper eingeschrieben werde (durch uns alle), und hier zwischen den Bildschirmen wird die Sache für mich greifbar.
Dann frage ich mich, warum so viele Menschen so ein schlechtes Gedächtnis haben.
Geht es um HIV, gucke ich durch cis Frauenkörper hindurch, als wären sie irrelevant. An schwulen und trans Körpern gucke ich aus Scham und Schmerz gezielt vorbei.
Cisfrauen-Körper. Aber es ist nicht „der Körper“, der krank ist, oder jedenfalls infiziert, sondern die Frau selbst. Und die Körper von Heteros erwähnt er nicht einmal. Bias ohne Ende.
Die Ausstellung spielt mit gefühltem Wissen, mit Bildern, Diskursen – vor allem mit deren Brüchen.
Bewusste Gefühle sind besser als gefühltes Wissen. Aber eigentlich sollte so eine Ausstellung doch zu gewussten Wissen führen, oder?
In den Achtzigern kämpften einige Aktivist*innen dagegen noch darum, dass die apathische Gesellschaft das Bild des Monströsen, des von der Krankheit gezeichneten Körpers ansehen musste.
Ja, und gegen das – modernes Wort – Victim Bläming. „Wäret Ihr nicht schwul, wäret Ihr gesund.“ und dergleichen mehr. Später etwas abgewandelt zu: „Wäret Ihr monogam, wäret Ihr gesund.“ Ja, vollstes Verständnis für alle, die deswegen so einen leichten Hass auf die Gesellschaft entwickelten.
Während ich diese Fotos betrachte und mich schon wieder zwischen Ekel und Scham entscheiden muss,
Mehr Gefühle kennt er nicht? Tja, das, meine lieben Leserinnen, ist der wahre Grund, warum Männer so wenig über Ihre Gefühle reden wollen. Das Thema ist entweder extrem kurz abgefrühstückt oder wird extrem langweilig, wenn man es breitwalzt.
bleibt neben mir eine ältere Frau stehen und lacht laut auf. Ich möchte sie gerne erwürgen für diesen Fauxpas
Und DAS ist der Grund, warum Männer so selten Gefühle zeigen. Hemmschwellen fallen schneller, wenn es gegen Männer geht.
oder mindestens zurechtweisen, aber dann fällt mir ein, dass Lachen manchmal eine Reaktion auf Überforderung ist.
Er hat mal ein Buch über Gefühle gelesen.
Ich beiße mir auf die Lippe.
Klassiker. Anstatt dass er jetzt, konfrontiert mit den Vorurteilen oder Assoziationen, die er zum Themenkreis HIV hat, seine Meinung zum Thema hinterfragt, Mitgefühl entwickelt, neue Erkenntnisse gewinnt, Fragen stellt, die er bis dato nicht hatte, oder irgendwas – er beißt sich auf die Lippe.
Und es ist weiterhin ein wichtiges Thema.