Die Wunderbare Welt der Weißen Ritter

In welcher man selbst Staatsoberhäuptern hilfreich zur Seite springen darf, wie die realen Ritter von einst, in schimmernder Rüstung, vom weißen Mantel umschlungen, vom Schimmel getragen, ein echter Paladin!

Also, wenn diese Staatsoberhäupter weiblich sind, versteht sich. Männliche Staatsoberhäupter, man kennt es, bedürfen dergleichen ja nicht.

Menschliche Macht

Welche Macht denn sonst? Übermenschliche? Unmenschliche? Tierische? Es gibt in der Werbung pflanzliche Macht, aber eher nicht in der Politik.

„Ach schaut mal, die kleinen Mädchen machen Politik – da fragen wir besser nach, wie das wohl funktioniert.“

Ist in der Formulierung natürlich blöde – man sollte immer fragen, wie Politik funktioniert. Oder ob, wenn man schon dabei ist.

Der Sexismus gegenüber Politikerinnen schadet der Politik insgesamt

Joah, kann man, allgemein gesagt, so sehen. Aber die Begründung, die Pickert liefert, belegt eher, dass der vermeintliche Sexismus kein Seximus ist, weil das kritisierte Verhalten nicht geschlechtsspezifisch ist.

Treffen sich zwei Ministerpräsidentinnen in Neuseeland, um über Politik und die Handelsbeziehungen ihrer beiden Länder zu sprechen. Bei einer Pressekonferenz konfrontiert sie ein Reporter damit, dass sich „viele fragen würden, ob sie sich nur treffen, weil sie ein ähnliches Alter und politisch viel Zeug gemeinsam haben, Zeug halt“.

Ja, die eine ist aus Neuseeland, die andere aus Finnland. Angenommen, die Staatsoberhäupter von Bolivien und Bangladesh träfen sich – wäre da auch nicht die naheliegende Frage, welche Gemeinsamkeiten zwei weit voneinander entfernte Länder hätten?

Die eine Ministerpräsidentin rollt daraufhin hörbar mit den Augen.

Wir sind hier nicht bei einer Fußballpressekonferenz – die Journalisten werden bezahlt, um Politiker zu nerven.

Die andere erklärt dem Reporter freundlich, aber bestimmt, wie übergriffig und unangemessen diese Frage ist.

Angenommen, das Staatsoberhaupt Neuseelands wäre ein 65jähriger Maori – dann wäre die Frage wohl: „Sie haben überhaupt keine Gemeinsamkeiten. Warum treffen Sie sich?“

Leider kleben dieser und andere, ähnlich gelagerte „Witze“ seit Jahren wie Scheiße an den Schuhen der neuseeländischen Ministerpräsidentin Jacinda Ardern und ihrer finnischen Kollegin Sanna Marin.

Berlusconis fragwürdiges Freizeitverhalten wurde auch thematisiert. Was möglicherweise exzessiver war. Aber zur Strafe ist er jetzt der „Junior“-Koalitionspartner einer jungen Frau. Also deutlich jünger als er.

Marin musste sich in der Vergangenheit unter anderem vorwerfen lassen, dass sie gutaussehend ist, jung, Kleidung trägt, die ihre Brüste erahnen lässt (schockierend, ich weiß), und Partys gefeiert hat.

Tja. Wenn sie ihr Privatleben privat halten will, soll sie es machen. Aber – eventuell mit Ausnahme der Brüste-Kleidung-Frage – wäre das jetzt auch Dinge, die sich ihre männlichen Kollegen ausgesetzt werden. Amthors sehr jugendliches Aussehen, Kohl generelle Körperform, Genschers Ohren…

Kindererziehung, Frisur, Outfit, wann wird denn endlich geheiratet, hihi.

Hihi. Hier diskutiert ein Journalist, den ich nicht gerade dem Boulevard zuordnen würde, warum man über die Beziehungslosigkeit eines führenden (männlichen) Politikers reden und – übergriffigerweise, wie Pickert es formulieren würde – spekulieren sollte. Ist jetzt 10 Jahre her, aber so viel hat die Welt sich nicht weitergedreht.

Nachher verlaufen die beiden Rotkäppchen sich noch im dunklen politischen Wald. Parallel zu dieser Kaskade an vorgeblich wohlmeinendem Sexismus (Mädchen, das ist doch zu schwer für dich, ich helf dir) wird beiden immer wieder die Befähigung zu ihrem Beruf und ganz allgemein jedwede Professionalität abgesprochen.

Die reine Frage, meinetwegen provokant formuliert, spricht den beiden keinerlei Professionalität ab; bzw., selbst WENN das so wäre, hätten die die Möglichkeit zu antworten: DOCH, wir sind professionell. Bzw., wie gesagt, wenn die Frage nach der Professionalität nicht auch an Männer ginge, wäre das schon sexistisch und auch schlecht für die Demokratie (nicht notwendigerweise für die Politik), aber dann wäre nicht die Frage an Fauen das Problem, auch wenn Pickert das jetzt doof findet.

Dass Sanna Marin auf so einer Reise eine mehrköpfige Wirtschaftsdelegation im Schlepptau dabei hat, um Verträge abzuschließen, sollte man als politischer Journalist wissen.

Und? Waren die bei der Pressekonferenz dabei? Die beiden Länder haben tatsächlich gemeinsame Interessen, die dann später auch erläutert wurden. Insofern hatte die Frage doch ihre Berechtigung.

Ebenso wie von der Tatsache, dass Marin sich wie bei solchen Gelegenheiten üblich anschließend auch selbstverständlich mit dem Oppositionsführer trifft (52 Jahre alt, Sternzeichen Krebs, sportlich, pflegeleichte Frisur, verheiratet, zwei Kinder, mag Wasserski und Countrymusik).

Joah, das war nicht Gegenstand der Frage. Wenn das üblich ist, trinken die vllt. auch einfach einen Kaffee zusammen, weil die sich nichts zu sagen haben.

Sie wird sich nach Weiterreise sogar mit dem australischen Premierminister (59 Jahre alt, Sternzeichen Fische, gepflegte Erscheinung, fescher Scheitel, geschieden, ein Kind, hört gerne die Pixies und Nirvana, Rugby-Fan, hat eine erfolgreiche Diät hinter sich) zusammentreffen, obwohl sie mit dem gar keinen Frauenkram zu bequatschen hat.

Auch da wäre die Frage, was der Zweck dieses Staatsbesuches sei. War das eigentlich ein neuseeländischer Reporter oder ein finnischer?

An der ganzen Sache sind drei Dinge ziemlich furchtbar. Da wäre zunächst der hier skizzierte Sexismus, den die beiden Premierministerinnen wie alle anderen Frauen nicht verdient haben.

Eigentlich haben männliche Premierminister dieselben Fragen verdient: „Reisen Sie eigentlich nur zum Spaß auf Staatskosten um die Welt?“, aber weil die dergleichen Fragen bekommen, Keks.

Darüber hinaus verunmöglicht ein solches Verhalten die Bewertung der Politik beider Frauen. Die sollten nämlich an ihren Taten gemessen werden und nicht an ihrem Geschlecht.

Wieso verunmöglicht das das? Bei einer Pressekonferenz werden typischerweise mehr als eine Frage gestellt. Und beantwortet. Außerdem, wenn die nur nach ihren Taten gemessen werden sollen, bräuchte man gar keine Pressekonferenzen.

Weil sie aber permanent darauf reduziert werden, muss sich jede Bewertung leider den Vorwurf „Das sagst du ja nur (nicht), weil sie eine Frau ist“ gefallen lassen.

Eigentlich ist DAS der Vorwurf von Pickert et alii/ae/a: „Das fragen Sie sie ja nur, weil sie eine Frau ist!“ Pronomina, so wichtig. Einfach nicht im Satz wechseln, dann klappt`s auch besser mit dem verstanden Werden. Verstandenwerden? Ihr wisst, was ich meine.

Und zuletzt ist es nicht nur schlecht für Politik allgemein, sondern auch für (halten Sie sich fest) männliche Politiker.

Für die konkreten Politiker mag es schlecht sein, für die Demokratie ist es besser, wenn Journalisten nicht darauf achten, nicht „übergriffig“ zu werden.

Denn das, was hier den beiden Frauen qua Geschlecht unterstellt wird, war und ist immer notwendiger Teil von Politik.

Es liegt ein gewisses Spannungsverhältnis vor zwischen internen Interessen der Politik und dem Interesse der Öffentlichkeit auf Öffentlichkeit.

Dieses Gefühlige und Private. Dass man sich versteht, gerne besucht und noch andere Interessen außer Politik hat.

Nun, DAS wäre ja auch eine Antwort gegeben, die die beiden hätten geben können, oder? Ich wähle aber keine Politiker, weil diese andere Politiker mögen, egal, welches Geschlecht.

Ohne die merkwürdige Männerfreundschaft zwischen dem Christdemokraten Helmut Kohl und dem Sozialisten Francois Mitterand sähe Europa heute anders aus.

Pay-Wall, aber egal: „Herr Bundeskanzler, beruht Ihre intensive Zusammenarbeit mit Ihrem französischen Kollgen auf persönlicher Freundschaft?“ – „Junge, das ist das Staatsoberhaupt unseres wichtigsten Nachbarlandes – natürlich arbeite ich mit dem mehr zusammen als mit dem Kollege aus Neuseeland oder so!“ Außerdem jetzt Kohls Stimme denken, die „persönlicher Freund“ sagt. Hachja.

Ohne die Bromance zwischen Tony Blair und George Bush wäre der Irakkrieg anders verlaufen.

Oder EINE Stimme mehr, die „Lass es besser!“ sagt… Aber über die gab es auch Witze und härtere Kritik.

Und was Äußerlichkeiten angeht: Gerhard Schröder hat das Bundesverfassungsgericht sich damit befassen lassen, ob Presseagenturen behaupten dürften, er hätte sich die Haare gefärbt.

Nun, das wäre bei Frauen natürlich „übergriffig“. Jetzt kann man sich streiten – sollte man Frauen so behandeln, weil man Männer auch so behandelt, oder Männer nicht so behandeln, weil man Frauen nicht so behandeln soll? Jedenfalls, wenn man das bei Männern „erlaubt“, bei Frauen aber nicht, wäre das sexistisch. (Mal abgesehen davon, dass man von Politikern ein dickes Fell verlangen kann. Nicht beliebig dick, aber dick.)

Auch das ist Politik, auch so funktioniert Macht: Sympathien und Antipathien, Eitelkeiten, Erschöpfung, Sturheit, Familienleben, Spaß, schlechte Laune. Diese Dinge haben kein Geschlecht.

Tja, die Westerosis hätten den Nachtkönig nach spätestens zwei Staffeln besiegt gehabt, wenn die genau diese Probleme nicht gehabt hätten. Aber ja, diese Dinge haben kein Geschlecht. Dessenungeachtet sollte man sie hinterfragen.

Aber wir schreiben es ihnen zu. Deswegen unterstellen wir Politikern, dass sie lediglich zu Imagezwecken „menscheln“, und Politikerinnen, dass ihre Professionalität nur aufgesetzt und hohl ist.

Wer ist wieder „wir“? Ich halte es für absolut möglich, dass eine Frau „menscheln“ vortäuscht. Ebenso, dass die Professionalität vieler männlicher Politiker hohl und aufgesetzt ist. Feiert mich, ich bin nicht sexistisch.

Aber solange wir uns in der Bewertung politischer Fragen von Geschlechterstereotypen leiten lassen, wird Politik immer unter ihren Möglichkeiten bleiben.

Es besteht tatsächlich die Möglichkeit, dass besagter Journalist der Frage mit Absicht diesen Spin verliehen hat, der sexistisch wahrgenommen werden sollte, um bessere Antworten als Politiker-Bla zu kriegen. Aber das ist egal – Politik, die wegen einer Frage in einer Pressekonferenz hinter ihren Möglichkeiten bleibt, wäre ja sehr leicht zu manipulieren.

Sie wird weder so professionell noch so menschlich sein, wie sie sein könnte und sollte.

Ob sich zwei Politiker mögen oder nicht, kann eigentlich kein Kriterium sein, sie zu wählen. Weil ich z.B. nicht vorhersehen kann, ob Scholz oder Laschet besser mit Biden klarkommt. Insofern ist „Professionalität“ wohl wichtiger, auch, wenn ich nicht genau weiß, was Pickert meint.

Die Frage als solche war legitim, wenn sie das Symptom einer „strukturellen“ Diskriminierung – diskriminierte Staatsoberhäupter, jaja – sein sollte, wäre mMn die Lösung, dieselben Fragen halt öfters mal männlichen Politikern zu stellen, anstatt weibliche davor zu schützen.

Ein Gedanke zu “Die Wunderbare Welt der Weißen Ritter

  1. Diese Hörigkeit gegenüber Politikerinnen – während sie die Gesellschaft zugrunderichten.

    Das erinnert mich hart an diese Tussi, die meinte, sie wäre beruhigt über Merkel als Kanzlerin, als eine Frau in der Männerwirtschaft. Merkel, deren Migrationspolitik die Sexualgewalt durch die Decke gehen ließ.

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