Keine Kritik am Rechtsstaat, doppelschwör+

Hachja.

Ab Oktober wird sich der Schauspieler Gérard Depardieu gegen den Vorwurf der sexuellen Belästigung verteidigen müssen.

Ja. Und? Offenbar ist sexuelle Belästigung nicht erlaubt.

Der Fall steht für weit mehr als die Taten eines einzelnen Mannes.

Wie viele Männer waren denn beteiligt? Es geht übrigens nicht um Vergewaltigung.

Es geht ein Beben durch Frankreich. Gérard Depardieu, trotz zahlreicher Eskapaden noch immer das Aushängeschild des französischen Kinos, wird sich ab Oktober vor Gericht wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung verantworten müssen.

Ja, ist das so, oder ist das Främing? Jemand kann doch ein guter Schauspieler sein und trotzdem ein Verbrecher. Schlechte Schauspieler sind ja auch häufig unbescholtene Bürger. Und kaum jemand wird behaupten, dass Depardieu Sonderrechte bekommen muss oder irgendeine Immunität.

…ausgerechnet das Land der Amour fou und Ménage-à-trois wird nun zur großen Hoffnung der #Metoo-Bewegung.

Die Franzosen sind halt sexgeile Wilde, woll? Nee, das ist ein Rechtsstaat, auch die mächtisgten Männer stehen nicht über dem Gesetz, und dass man das nicht eher ausprobiert hat, ist nicht die Schuld des Rechtsstaates.

Lange hatte Frankreich mit seinem sexuellen Selbstverständnis zu kämpfen. Und mit der Frage: Wo endet sexuelle Freiheit und wo beginnt Belästigung?

Ist das so? Oder jedenfalls, war das so? Seit wann sind die vorgeworfenen Taten – immerhin noch nicht auf dem Level von „Vergewaltigung“ – in Frankreich verboten?

Eine Frage, die banal wirken mag, doch gerade am Fall Depardieu zeigt sich, wie schwer sich das Land mit der Beantwortung tut.

Was für ein Quatsch! Nicht „das Land“ entscheidet, ob man Depardieu vor Gericht stellt, sondern die zuständige Staatsanwaltschaft nach Aktenlage.

Immer wieder waren in den vergangenen Jahren Stimmen laut geworden, die Depardieu missbräuchliches Verhalten attestierten.

Schwammiger kann man das nicht formulieren, oder? Wenn man jemanden bestraft haben will, muss man ihn anzeigen. Wenn man das nicht tut – aus welchen Gründen auch immer – kann man sich nicht sinnvoll über den Staat, die Gesellschaft oder sonstwem beschweren.

Mehrfach wurde der Schauspieler wegen Vergewaltigung angezeigt, teils mussten die Verfahren wegen der abgelaufenen Verjährungsfristen eingestellt werden.

Ich werde nicht müde, sich zu wiederholen – eine zeitnahe Anzeige führt nicht nur eher dazu, dass der Täter bestraft werden kann, sondern eine zeitnahe Bestrafung führt dazu, dass der Täter kein Wiederholungstäter wird.

Nun geht es um zwei Vorfälle aus den Jahren 2014 und 2021, die sich jeweils an Filmsets zugetragen haben sollen: Bei Dreharbeiten zu dem Film „Le magicien et les siamois“ soll Depardieu einer Frau in den Intimbereich gegriffen haben. Weiterhin beschuldigt ihn eine Dekorateurin der sexuellen Belästigung während der Arbeit an dem Film „Les volets verts“.

Gibt es Leute, die dieses Verhalten tatsächlich gutheißen? Also nicht sagen: „Vllt war er es nicht.“, sondern: „Wenn er es war, sollte das nicht bestraft werden!“? Bzw., sind diese Leute eine Gruppe von relevanter Größe? Das klingt nämlich etwas danach.

Für französische Frauen ist es ungleich schwerer, solche Taten anzuzeigen, wird ihnen doch selbst von anderen Frauen nicht selten gesagt, sie sollen sich nicht so anstellen.

Solche Taten? Der Spruch „Dann mach die Bluse zu!“ kann ja höchstens für Frauen gelten, die die Bluse offen haben. Selbst, wenn man bezüglich anzüglicher Sprüche „toleranter“ ist, ist es ein Unterschied, ob man die in einer Kneipe hört – wo man dem Typen, der der eigene Opa sein kann, genau unter Hinweis darauf den Laufpass geben kann – oder auf der Arbeit, wenn der „Opa“ der berühmteste Schauspieler im ganzen Land ist, und man weiß, wer sich im Zweifel einen neuen Job suchen müsste…

Catherine Deneuve … beklagte 2018 die „Prüderie“ der Frauen, die von sexuellen Übergriffen berichteten. #MeToo sei eine „Denunziationskampagne“ gegen Männer und ein Angriff auf die sexuelle Freiheit.

Bei #MeToo wurde alles vom Dirndl-Spruch bis zur Vergewaltigung über einen Kamm geschert. Lag teilweise natürlich in der Natur der Sache als Twitter-Hashtag, aber wenn man was verändern will, geht man bitte zur Polizei.

Zwar entschuldigte sich Deneuve später halbherzig bei den Opfern und hält sich seither mit ähnlichen Äußerungen zurück, doch an ihre Stelle traten seither zahlreiche andere prominente Frauen.

Denn wenn man zur Polizei geht, ist es keine Lynchjustiz mehr. Entsprechend rechtsstaatliches Prozedere vorausgesetzt. (Afroamerikanische Männer würden das auch etwas anders wahrnehmen…)

Die Verteidigung der angeblichen sexuellen Freiheit scheint wichtiger zu sein als Empathie für die mutmaßlichen Opfer; größer gar als das Interesse an einer lückenlosen Aufklärung der Vorwürfe.

Scheint es, oder ist es so? Persönlich halte ich das „über einen Kamm scheren“ für problematischer als das kritisieren an sich.

Denn der Hinweis auf die Unschuldsvermutung wird in dem Moment zur Farce, in dem sie nur für den Täter gilt, das Leid der Opfer aber ausblendet.

Mit DER Begründung könnte man jedes Mal die Unschuldsvermutung neutralisieren, egal, bei welchem Verbrechen, denn es gibt immer „Leid der Opfer“. Ja, auch bei Steuerhinterziehung.

Aus deutscher Sicht mag es leichtfallen, die schweren Vorwürfe gegen Depardieu zu glauben, … Russland-Nähe, das Urinieren mitten im Flugzeug oder frauenfeindliche Kommentare während einer Nordkorea-Reise – charmant geht anders.

Gegentest – angenommen, er wäre charmant, würde man dann davon ausgehen, dass er es nicht gewesen sein kann? Oder eher einfach ein guter Schauspieler? Solche Argumente halte ich in beide Richtungen für wertlos, insofern: was soll’s?

Das allein macht einen Mann nicht zum Vergewaltiger und erlaubt uns nicht das Fällen eines Urteils

„Vergewaltiger“ ist im konkreten Fall gar nicht der Vorwurf. Bei Mockridge hingegen liegen viel weniger Dinge vor, die gegen ihn sprechen – weshalb er ja auch nicht vor Gericht stand – und trotzdem erlaubten sich viele ein Urteil.

Allerdings gibt es einen großen Unterschied zwischen der Verteidigung der Unschuldsvermutung und einer Bagatellisierung sexueller Gewalt. Nicht nur die französische Gesellschaft stand lange für Letzteres.

Beleg? Welche Verhaltensweisen werden konkret bagatellisiert? Welche davon sind eindeutig sexuelle Gewalt? Von wem? Wo? Im Zusammenhang mit den anstehenden Prozessen oder bei anderen Fällen oder Vorkommnissen? Manweiset nich.

Auch deshalb zeigen viele Opfer Taten gar nicht oder erst Jahre später an, wenn die Täter längst nicht mehr belangt werden können.

Wenn Leute wie Ronja Merkel – nicht die andere – solche entmutigenden Aussagen raushauen, ist das auch kein Wunder. Danke, Merkel.

Bei einflussreichen Männern wie Harvey Weinstein und Gérard Depardieu kommt nicht selten die Angst vor der Übermacht des Aggressors hinzu.

Wenn ich raten müsste, ist es hauptsächlich der Einfluss, der von Anzeigen abschreckt. Wenn sich irgendein weniger wichtiger Schauspieler, Produzent oder Regisseur übergriffig verhielte, oder gar eine männliche Hilfskraft, würde das anders ausgehen.

Der Fall Depardieu steht für weit mehr als die mutmaßlichen Taten eines einzelnen Mannes. Er steht exemplarisch für ein System, in dem Männern beigebracht wird, dass sexuelle Freiheit gleichbedeutend ist mit der Freiheit, sich nehmen zu können, was immer Mann begehrt.

Offensichtlich gilt das höchstens, wenn man ein einflussreicher Mann ist. Was jetzt natürlich auch keine besonders tolle Sache ist, die man Männern beibringt, aber das System ist dann ein System mächtiger Männer, nicht von „Männern allgemein“.

Plötzlich ging hier die Zahlschranke doch an – jedenfalls ging es im letzten Absatz über eine Gesellschaft, in der 90% aller Frauen nicht alleine ausgingen und ein Drittel (?) aller Männer unter 35 bereit seien, ihre Ziele (Welche? Alle?) mit Gewalt zu verfolgen. Kann sein, dass das doch verlinkt war, jedenfalls lass ich das alles hier, damit die Arbeit nicht für die Katz ist…

Solche Umfragen sind praktisch automatisch fehlerhaft (sorry für Zahlschranke): „34 Mio. Deutsche bei Demos?“ wäre bspw. die logische Herleitung aus einer Umfrage, bei der rund 40% „aller Deutschen“ in den nächsten Wochen gegen die Bundesregierung demonstrieren wollten. Oder hier.

Keine Ahnung, wie toll oder schlimm es wirklich ist…

3 Gedanken zu “Keine Kritik am Rechtsstaat, doppelschwör+

  1. Ja, es gibt Menschen, die finden, dass „das“ einen Rechtsstaat nichts angeht. Für mich ist da kein Vorwurf greifbar. Okay, der einen hat er in den Schritt gegriffen. Glauben wir das einfach mal. Hat sie ihm dann eine gescheuert? Ja? Prima, dann ist die Sache erledigt. Nein? Dann ist die Sache auch erledigt, weil ich habe keinen Grund, Gerard eine reinzuhauen; ich kenne die Frau nichtmal.

    Und das wäre übrigens Gewalt, im Gegensatz zu was D. gemacht haben soll.

    Ansonsten ist der Artikel ja, wie Du schon schreibst, wieder das übliche Vermischen von allem, garniert mit Schwachsinn. Die Unschuldsvermutung gilt nämlich explizit nicht für Täter. D. IST nur kein Täter, das steht sogar im Artikel. Haben mehrere Staatsanwaltschaften bereits festgestellt.

    Wir brauchen dringend höhere Strafen für Falschbeschuldigerinnen.

    Mal abgesehen davon, würde ich gerne Frauen sexuell belästigen und wäre ein gefragter Star, würde ich schon darauf bestehen, dass am Set nur Frauen arbeiten, die deswegen nicht so einen Terz veranstalten. Die können ja auch Kindergärten dekorieren, wenn ihnen das nicht passt
    Sammal.

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    1. Das mit dem Typen einem kleben wurde in meiner Schulzeit von Lehrern nicht direkt angeordnet, aber die machten schon klar, dass sie in solchen Fällen auf Seiten des Mädchens wären.
      Ungerechtigkeit ist für mich schon vorhanden; ich weiß zwar nicht, wie D. reagiert hätte, wenn sie ihm eine verpasst (evt. hat er so viel Rückgrat, das zu kassieren, ohne sich zu beschweren), aber männliche Hilfskraft #123 beim Dreh bekäme für so eine Aktion womöglich eine gescheuert und zusätzlich die Kündigung, weil Hilfskraft #123 leichter zu ersetzen ist. Und da denke ich, entweder alle oder keiner.

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      1. Eben. Weitere Konsequenzen sind in jeder Form unfair. Daher bin ich hier deutlich auf der Seite „keine“. Das sind zwei Erwachsene Menschen, und niemandem ist was schlimmes passiert.

        Frauen, die das anders sehen, können wir gerne an den islamischen Staat verkaufen; zumindest höre ich von da keine Beschwerden von Frauen.

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