Ja, schon, aber nein

Historienschinken bedient keine rechte Volkstümelei. Was ja sicher eine Meldung wert ist bei einer Geschichte, die dazu schon sehr gerne genutzt wurde, aber das löst nur das halbe Problem.

Aber wo kommst du ursprünglich her?

Ich vermute, dass es so viele Akzente gab, und so wenig Leute, die akzentfreies Latein sprachen, dass man das daran nicht erkennen konnte. Das Problem bei „Die Barbaren“ ist aber, dass die nicht einfach das Narrativ nicht bedienen, indem sie bei den (nachweislichen) Fakten bleiben, sondern indem die Macher einfach andere Narrative bedienen. Dass einige davon schon zur Handlungszeit existierten, macht die Sache nicht unbedingt besser.

Die zweite Staffel der Historienserie „Barbaren“ ist wieder zu schlau, um ihre Germanen von rechts außen vereinnahmen zu lassen.

Dafür aber von schräg links oben. Um den bewegten Mann zu zitieren…

Als vor zwei Jahren die erste Staffel von Barbaren bei Netflix anlief, … schrieben viele Kritiker ihre Verwunderung darüber auf, dass die Geschichte der Varusschlacht noch nicht längst verfilmt worden war.

Das Wort „Tusse“ kommt von Thusnelda, aber nicht von der historischen Person, sondern von deren Wiedergabe in Kleists „Hermannsschlacht“, ein bedeutendpatriotisches Gesamtkunstwerk, dass vielen dt. Schülergenerationen irgendwann zum Halse herauskam.

und auch jetzt, da es geschehen ist, hat man als Zuschauer immer mal wieder ein mulmiges Blut-und-Boden-Gefühl bei Bildern wie diesen…

Schon Caesar schrieb über die Belgen, dass das der wildeste, am wengisten dekadente und damit gefährlichste Keltenstamm sei, weil er von den zersetzenden und verweichlichenden Wirkung durch mediterrane Kultur und Zivilisation am weitesten entfernt wäre (aber das er natürlich zu den Belgen kam, sie sah und besiegte, weil ER natürlich auch solche Bedrohungen überwinden konnte), was für die Cherusker im heutigen Ostwestfalen-Lippe (oder irgendwo in Niedersachsen) dann ja erst Recht gelten müsse. Und genau SO aussähe:

Zwei Muskelmänner stehen in einem Feuerkreis beim Stammestreffen, dem Thing, und erklären, wie sie ihr Volk retten wollen.

Achja, und richtig wilde Barbaren kämpften nicht etwa deshalb (halb)nackt, weil sie weder Stoffe noch Rüstungen kennen, sondern weil sie so mutig waren. Achja, mit „Volk“ war dann eher der konkrete Stamm gemeint…

Noch mehr Muskelmänner ziehen mit Kriegsbemalung in die Schlacht.

Inwiefern das bei Germanen überhaupt so war – wenn die Pikten explizit nach ihrer Kriegsbemalung bei den Römern so hießen (die Ge/Bemalten), war das bei den Germanen wohl eher nicht so verbreitet, aber zumindest in der Eröffnungsszene von Staffel 2 scheint das mehr Tarnfarbe zu sein. Zumindest einige der historischen Berater haben übrigens zur 2. Staffel aufgehört. Wegen künstlerischer ähh historischer öhm, generellen Differenzen.

Und eine schöne blonde Frau nährt den Sohn, den sie dem Anführer geboren hat, im Feuerschein an ihrer Brust.

Kennt Ihr das? Ihr seht einen Trailer zu einer Verfilmung von einer Sache, die ihr kennt, und bemerkt da schon die erste Abweichung von der Vorlage? Oder die zweite? Oder ihr seid im Richtigen Leben Hardcore-Tolkien-Fanboy-Troll und seht eine der vielen, vielen RdM-Trailer? Wenn das die Thusnelda ist, war sie noch schwanger, als sie in Gefangenschaft geriet. Über ihren Sohn teasert Tacitus ein grausames Spiel des Schicksals, welches er aber leider entweder nicht niederschrieb, oder aber in dem Teil seiner Annalen, die nicht erhalten blieben.

Germanenromantik ist Barbaren nicht fremd. Man könnte die Serie leicht als Futter für völkische Sentimentalität abtun.

Ich habe gehört, dass die Kostüme zumindest gut recherchiert wären. Der cheruskische Namer von Arminius ist nicht überliefert, da musste man sich was ausdenken, und ein paar Verkürzungen der historischen Geschichte für die erzählte Geschichte sind ja ok, aber die Formel scheint mir zu sein: „Germanen gut, Römer böse“, wie man ja schon an den Buchstaben erkennen kann, und das ist kein Futter?

Barbaren ist zu klug – und zu kompliziert dafür.

Es ist nicht zu kompliziert, weil die tatsächliche Geschichte „zu“ kompliziert ist, sondern weil die einfach mehr Narrative verbraten. Ein Beispiel: das deutsche Wort „Seife“ kommt vom lateinischen „Sopa“, was jetzt eine gewisse kulturelle Übertragung anzeigt. Das lateinische „sopa“, so steht in meinem Wörterbuch, kommt seinerseits von einem germanischen Wort, was so viel wie „Haargel“ oder „Pomade“ bedeutete. Was auch einen Kulturfluß andeutet, nur halt in die andere Richtung. Und möglicherweise auch gewisse Vorurteile: „Scheißegal, obste sauber bist oda nich, Hauptsache, die Frise sitzt!“ Bei jedem Wetter: „Regen, Schneeregen, Sturmregen, Dauerregen oder wenn es mal richtig nass ist.“ Germanen brauchten einfach nie zu duschen…

Die zweite Staffel setzt eine Weile nach der Schlacht im Teutoburger Wald ein. Die Germanen haben sie gewonnen, aber Rom steht schon wieder auf der schlammigen Matte.

Spoiler (für die Wirklichkeit): die Adeligen der Cherusker (und evt. anderer Stämme) gingen in vollen Game-of-Thrones-Modus. Schade für sie, aber gut zu verfilmen. Nur…

Ganz in der Nähe des Cheruskerdorfs, in dem Reik Ari sich mit seiner Frau Thusnelda und ihrem Neugeborenen versteckt, wartet der Heerführer Tiberius in einem großen Lager auf die nächste Chance, die Barbaren zu unterwerfen.

Irgendwann – aber nicht direkt nach der Varusschlacht – überließen die Römer die Germanen ihren GoT-Gedächtnis-Intrigen. So ähnlich, als würden Dany und der Nachtkönig sich am Ende mit Cerseis Wein zuprosten und der Welt beim Brennen und Erfrieren bloß zusehen.

Ari (Laurence Rupp) hieß früher Arminius, er ist Germane, aber als Beutekind privilegiert in Rom aufgewachsen.

Privilegiert gegenüber wem genau? Es kann übrigens sein, dass er auch erst als Erwachsener „Römer“ wurde. Jedenfalls – im Unterschied zu Indianern, die im Wilden Westen als Kundschafter für die US-Kavallerie arbeiteten, bekam er das römische Bürgerrecht. Als Frau hätte er es nicht gekriegt, aber das lag tatsächlich mal am Patriarchat.

hat schließlich als Anführer der Cherusker seinen Ziehvater Varus und Tausende Römer in einer der schmachvollsten Schlachten besiegt, die Roms Geschichte kennt.

Dass Varus sein Ziehvater gewesen wäre, hätte Tacitus, Cassius Dio oder so ziemlich jeder andere vermeldet, egal, wie er zu Varus und Tiberius gestanden hätte. Aber Drama gonna Drama, Frapos?

Die These von Barbaren ist durchaus, dass Blut dicker ist als Wasser – auch, wenn es zivilisiert und sauber durch schicke römische Aquädukte kommt.

Najaaaaa… Full-GoT-Mode? Allerdings, kann es sein, dass das Narrativ vom edlen Wilden eine Rolle spielen könnte? Unverbildet, naturverbunden, und generell besser?

Wieder müssen sich die Germanenstämme zusammenraufen, um die Kolonisatoren abzuwehren.

Cassius Dio – aus 200 Jahren Distanz und mit eigenen Ansichten, aber inzwischen mit archäologischen Belegen – erzählt, dass die Römer in Germanien Städte gründeten, die auch gut angenommen wurden, weil man dort schöne Sachen vom Mittelmeer erhandeln konnte.

Diesmal sollen die 70 000 Soldaten des Markomannen-Anführers Marbod dabei helfen, aber der ziert sich ein bisschen, weil er eigentlich lieber mit den Römern Handel treiben möchte

DER kommt bei Kleist, iirc, übrigens so richtig schlecht weg. Weil er für „Österreich“ steht, wie „Hermann“ für „Preußen“ (was auf ganz vielen Ebenen Blödsinn ist). Sein Schauspieler übrigens,

der österreichische Schauspieler Murathan Muslu

kommt nicht nur aus Österreich, sondern hat einen türkischen Namen. Gleich zwei Fliegen mit einer Klappe…

Auch Marbod hat eine schöne, blonde Ehefrau.

Manche „Barbaren“ schmierten sich nicht nur Gel ins Haar, sondern bleichten es sich – Frise ist nicht nur was für Friesen…

Er liebt aber noch jemanden, der nicht ins heteronormative Erwartungsschema klassischer Germanenfantasien passt.

Tja, noch eine Quote mehr. (Es ist nicht wirklich überliefert, wie die alten Germanen mit Homosexualität umgingen. Das „Barbarentropos“ wäre einerseits, dass wilde, ungehemmte Männer machen, was sie wollen, andererseits sind rohe Naturburschen auch die ersten, die Leute wegen der aktuell falschen Sexualität ins nächste Moor werfen, ob sie noch leben oder nicht.)

Zuschauer, die hier nur nach urwüchsig simplem Germanentum suchen, werden nicht nur davon enttäuscht sein.

O-Der, sie främen Marbod als nicht-urwüchsig-simplen Germanen, im Unterschied zu „uns‘ Herrmann“, und alles ist im Lot.

Es gibt auch wieder Römer germanischer Abstammung, die sich erst mit großer Verve zu ihrer Adoptivmutter Rom bekennen – und die erst von der Ablehnung der Römer („Barbare!“), also durch Nicht-Akzeptanz in der Ankunftsgesellschaft, zurück in die Zusammenhänge ihrer Herkunft getrieben werden.

Und DAS ist ein sehr moderner Gedanke. Und außerdem sehr überzogen. Das römische Reich, jetzt nicht gerade der Urquell an Menschenrechten, war immerhin recht freigiebig mit seinem Bürgerrecht, welches wohlgemerkt nicht erforderlich machte, dass man fern der Heimat in Rom leben musste zwischen der römischen Oberschicht, sondern irgendwo, einschließlich zu hause, und welches außerdem ein privilegierteres Leben führbar machte nicht nur als das von 90% aller Menschen, sondern als das von 99% aller Menschen. Die geschilderte Situation ist ungefähr so, dass ein Millionär am Kapitalismus verzweifelt, weil ein Milliardär nicht mit ihm redet. Ein adeliger Germane, der römisches Bürgerrecht hat, und gute Beziehungen zu einem wichtigen römischen Feldherren hat, der seinerseits gut mit dem nächsten Kaiser befreundet ist, fühlt sich zurückgesetzt? (Man weiß nicht genau, was Armins eigentliche Gründe waren, insofern kann ich das nicht ausschließen. Aber von den Proportionen her.)

Viel aktueller kann eine Historienserie in Zeiten andauernder Migrations- und Integrationsdebatten kaum sein.

Erstens – das ist dieselbe „Aktualität“, die „die Hermannschlacht“ zur Allegorie auf die napoleonischen Kriege macht. Zweitens – ist das tatsächlich die Aussage? „Wenn man als gut integrierter, privilegierter Migrant nicht superdupermegagut akzeptiert ist, rennt man Amok und bringt mal zigtausend Mitmenschen um!“ Bei Moses hat sich das noch langsamer aufgebaut…

Thusnelda ist weiter als frühe „Working Mom“ bei allen Schlachten dabei.

Wie im Richtigen Leben, oder wie?

Aris Sohn hat einen anderen biologischen Vater

Und trotzdem wird die Mutter nicht ins nächste Moor geworfen? Mit einem extra dicken Stein?

und auf der Seite der Barbaren kämpft mit der Karthagerin Dido … eine dunkelhäutige Frau.

Warum habe ich das Gefühl – ohne die Serie gesehen zu haben – dass die römischen Soldaten alle von Weißen gespielt werden? Was eher nicht historisch korrekt ist. Aber Männer sollen doch zu ihren Gefühlen stehen? Fürs Protokoll: eine schwarze Frau aus dem Nordafrika zur Römerzeit, die nach der legendären karthargischen Gründerin benannt wurde (welche ihrerseits zwar nicht schwarz war, aber gut) ist möglich, insofern eine der weniger erzwungenen Diversitäten. Aber stimmt es, dass sie Rache an Germanicus sucht, weil der Karthago zerstört hat, oder ist das reines I-Net-Gerücht? Jahrhunderte an Geschichte zusammenstauchen, jaja. Immerhin hieß Germanicus schon wirklich vorher Germanicus. Hallo, Galadriel

Die Schicksalsgemeinschaft der Unterdrückten erwächst eben nicht nur aus geteilten Genen.

Ja, die römischen Sklaven hatten praktisch jede Hautfarbe. Die der Cherusker vermutlich hauptsächlich die weiße. Wer war jetzt rassistischer?

Ein Gedanke zu “Ja, schon, aber nein

  1. > Aber wo kommst du ursprünglich her?

    Werde ich bei jeder Schafkopfrunde gefragt. Daher: Mein Familienstammbaum lässt sich ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen, mütterlicherseits, weil meine Oma die Edle von [Dings] war. Die hieß so; das vererbt sich, und selbst der untere Adel hatte offenbar Leute, die schreiben konnten. Väterlicherseits ist das ein Beruf, so wie Müller; das kann ich also nicht nachverfolgen, aber [Dings] liegt in Dalmatien. Das war um die Jahrtausendwende… nennen wir es kroatisch-ungarisch; dann haben sich da einmal die Normannen durchvergewaltigt, wurden aber von den Veneziern davon abgehalten, das dauerhaft zu tun.

    Ein paar Generationen später marschierten dann da die Türken ein, und die Ritter (wenn Oma eine „Edle von“ [Dings] war, war Opa der Ritter von [Dings]) konsolidierten sich in Wien, zur ersten Türkenschlacht. Das war aber erst 1529, noch ein paar Generationen später. Wien liegt im Herrschaftsgebiet von Karl dem Großen (vor dem Jahr 1.000), das können wir mal als „deutsch“ zählen. Ich bin also quasi von der Abstammung her Spätaussiedler.

    Denn „deutsch sein“ ist was anderes als „wo kommst Du denn her?“. Die Mutter meiner Patentochter #2 wurde in Bumfuckistan geboren, das war damals Sowjetunion. Die sind aber Deutsche; das merkt man daran, dass die sonstigen Leute sie „Nijemci“ (oder was ähnliches) nannten. Das bedeutet mehr „die Stummen“ als „die Anderen“.

    Deutsch sein bedeutet offenbar, dass man anderen Leuten nicht auf den Sack geht. Also, finden die Anderen. Also, die anderen Anderen. Das geht aber nur Richtung Osten, wo halt die klassischen Deutschen herkommen. Aus dem Süden kommen Deutsche nicht, da waren Römer. Römer konnten schreiben, die nannten die Deutschen „Germanen“. Ein „Ger“ ist ein antiker Wurfspieß. Zweite historisch belegte Eigenschaft der Deutschen: Wir können es auch nicht leiden, wenn uns jemand auf den Sack geht. Lässt sich auch seitens der Franzosen und Türken nachvollziehen, da heißen Deutsche „Allemands“, plusminus. Raten wir mal, warum: Was haben denn so Deutsche wohl gebrüllt, wenn die Türken oder Franzosen kamen? „AlleMann“ an die Waffen? Deckt sich zumindest mit dem römischen Ger; ich für mich plausibel.

    Damit hätte sich dann die Frage mit meiner „Herkunft“ und meinem Deutsch-sein geklärt. Die hat nämlich herzlich wenig damit zu tun, ob man Deutsch ist, das kann man auch werden, offensichtlich. Aber das Negermädchen in Barbaren II ist sehr offensichtlich nicht deutsch; die wäre in „Spartakus“ besser aufgehoben. Und mehr nackt.

    Jetzt hätte ich bitte gerne meine Ruhe. Weil wenn nicht, verlange ich Reparationen für das Dorf von Uropa. Das ist jetzt in Albanien, leben grob 20.000 Leute. Durch zwei mal durchschnittliche Wohnung sind nur 2 Milliarden Euro. Das ist jetzt nicht zu viel verlangt, das ist ja nun schließlich historisch gesehen meins. Auf das Farmland verzichte ich sogar netterweise, ich will ja nur meine Ruhe. Ich bin nämlich deutsch.

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