Bei Böll, weil altes Heldentum ja doof ist.
Ein Plädoyer für einen zeitgemäßen Heroismus
Entweder ist „Heroismus“ einfach ein völlig verklärtes und wirklichkeitsfremdes Bild, wie man sich für andere aufopfert, dann kann man das nicht modernisieren, oder die meinen ein allgemeines, zeitloses Bild von Menschen, die sich für andere einsetzen, dann muss man das nicht modernisieren.
In der Krise werden die Rufe nach einem „starken Mann“ laut. Doch dies lässt rückwärtsgewandte Rollenbilder wiedererstarken. Dem müssen wir etwas entgegenstellen.
„Wir“ könnt ja dem starke Frauen entgegenstellen. Die durchbrechen Rollenbilder UND lösen das Problem.
Anton Hofreiter … forderte am 13.04.: „Der Kanzler muss Führungsstärke zeigen“.
Was, wenn es keine Politikerphrase ist, wohl heißen soll, Scholz solle die Krise nicht aussitzen. Hofreiter erwartet sicher nicht, dass Scholz Theoden-Style an der Spitze seiner Streitmacht in die Schlacht um Kiew eingreift.
Nicht nur Politiker:innen, auch Jounalist:innen, Intellektuelle und andere öffentliche Personen gehen der Logik des Krieges zu schnell auf dem Leim. Warum ist das so und was können wir dagegen tun?
Eventuell ist diese „Logik“ etwas, was man nicht einfach ändern kann, weil man es ändern will. Aber im konkreten Fall? „Führungsstärke“ ist erstmal nichts „heroisches“. Den Kopf halten typischerweise andere hin, und es kann auch nicht Scholzens Aufgabe sein, in den Krieg zu ziehen (selbst, wenn D. da mitmachen würde).
Wenige Tage nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine schrieb der Journalist Emran Feroz einen langen Artikel über rassistische Berichterstattung.
Ja – im Nachgang betrachtet beklagt er, dass Flüchtlinge, die überwiegend Frauen und Kinder sind, beliebter sind als solche, die überwiegend Männer sind. Na, sowas! Ich hatte mal vor Jahren eine Diskussion, ob ein Scharfschütze der syrischen Armee im Land bleiben solle, wo er eingezogen werden würde, um „das Problem“ zu lösen, oder lieber flüchten. Weil man, wenn man sowieso auf Menschen schießt, ja auch auf Landsleute schießen kann…
Im Kontext von Flucht und Migration ist Folgendes interessant daran: Nach Domröse waren es 2015 zu einem großen Teil junge Männer: „wehrfähige, starke Männer, die eigentlich ihr Land verteidigen sollten“.
Der Krieg in Syrien hat als Bürgerkrieg begonnen. Wehrhafte, starke Männer aus Syrien würden also auf andere wehrhafte, starke syrische Männer schießen. Irgendwie nicht ganz so zielführend, wenn man doch zum Wohle Syriens an der Waffe Dienst tun soll.
Zum jetzigen Zeitpunkt sei dies anders, denn ukrainische Männer würden ihre Heimat gegen die russischen Truppen verteidigen, während nur die „Frauen, Mütter und Kinder“ gehen.
Das ist so, weil die ukrainische Regierung Männer nicht gehen lässt. NICHT die Entscheidung der Flüchtlinge oder Nicht-Flüchtlinge. Man darf es ihnen also nicht als „Verdienst“ anrechnen.
Was Feroz klar als Rassismus in der Berichterstattung benennt, ist allerdings nicht nur das.
Ich will nicht abstreiten, dass das insbesondere auch Rassisten fälschlicherweise als Folge des „Kulturkreises“ betrachten, aber hier kann man ganz klar sehen, dass das damit nichts zu tun hat. Würde bspw. die Türkei versuchen, Syrien zu erobern, würden syrische Männer eingezogen und hauptsächlich Frauen und Kinder fliehen. Würde in der Ukraine ein Bürgerkrieg ausbrechen, würden als erstes Männer fliehen, die sich auf keine Seite schlagen wollen. Aber ja, es ist mehr als das.
Ein zweiter Blick lohnt, denn auch patriarchale Rollenbilder sind Teil der beschriebenen rassistischen Narrativen.
Eigentlich nicht, aber ja: Rollenbilder.
konzentrieren uns zuerst auf die vermittelten Vorstellungen von Männlichkeit. Der Angriffskrieg Putins verrückte den öffentlichen Diskurs. Die kognitiven Korridore der deutschen Medienmacher:innen wurden enger.
Das klingt schon sehr mechanisch. Aber gut, manche denken tatsächlich genau SO, und „feministische Außenpolitik“, „feministische Allys“ und dergleichen sind auch eher nur andere Versionen des edlen Ritters in der strahlenden Rüstung.
och der enge Korridor muss verlassen werden, um das neue, männliche Heldentum aus vergessenen Zeiten zu hinterfragen.
„Heldenhaft müssen wir die gewohnten Pfade verlassen, um unbekanntes Neuland zu betreten und mutig Heroismus ’neu denken‘!“ Alleine mit dem Satz kann man fünf Punkte im Bullshit-Binge machen. Ich bin ein bisschen stolz auf mich.
Der Stern ließ Mitte März einige Stimmen zu Wort kommen, die die positive Besetzung von „Tapferkeit“, „Vaterland“ und „Heldentum“ kritisierten.
Die Ukraine ist nicht mein Vaterland, und die kämpfen nicht für micht – warum sollte ich das positiv…? Achso, wenn Putins Armee mit der Aktion scheitert, passiert dem Rest der Welt nichts… ja, bischen arschig gedacht, aber das ist ja meistens so: Heldentum ist dann am besten, wenn das jemand hat, der für einen kämpft. Nicht gegen einen, und nicht bei einem selber.
Diese Erzählungen stammen aus einer längst vergangenen Zeit, nämlich der vor dem Ersten Weltkrieg.
Nichts Neues im Westen.
Das Problem liegt offen auf der Hand. Die Geschehnisse des Krieges verschleiern den autoritären Charakter des neuen männlichen Heldentums.
Erstens – wer außer den Obersten und Generälen, den allermeisten Journalisten und quasi dem Feminismus in Gänze meint, das dieses Heldentum männlich sein muss? Und zwotens, Kanzler Scholz ist sicher autoritär, sobald er Führungsstärke entwickelt, aber Schütze Schulz ist eher das Gegenteil einer Autorität.
Problematisch ist es deshalb, weil dieses längst vergessene Gedankengut …
So vergessen ist es nicht. Aber was ist eigentlich jetzt der Gegenvorschlag?
In Zeiten der Mehrfachkrisen werden die Rufe nach einem „starken Mann“ immer öfters laut.
Dann ruft doch als Kontrastprogramm nach einer starken Frau! D’oh!
Auch schon während der Pandemie avancierte Markus Söder, seines Zeichens bayrischer Ministerpräsident, zum Hoffnungsträger.
Das hatte tatsächlich mit seinem Umgang mit der Pandemie zu tun, nicht mit besonderer militärischer Tapferkeit. Man muss jetzt nicht Söder-Fan sein, aber man kann Söder-Fan sein, ohne irgendeinem mythischen Heroismus anzuhängen.
Das Parlament und die parlamentarische Debatte, das demokratische Aushandeln, traten in den Hintergrund. Doch mit einer demokratischen, pluralen und friedlichen Kultur, haben diese Rufe nichts zu tun.
Ach, zum Ausgleich haben die doch Laschet aufgestellt. So toll von denen.
Nur einen Tag nach den größten Friedensdemonstrationen seit dem Beginn des Irakkrieges, trat der Bundeskanzler, Olaf Scholz, – ohne davor eine parlamentarische oder gesellschaftliche Debatte zuzulassen – vor den Bundestag und verkündete ein 100 Milliarden Paket für die Bundeswehr.
Und jetzt?
Scheinbar waren selbst die Koalitionspartner:innen nicht eingeweiht. Demokratische Entscheidungsfindung?
Link funzt nicht. Aber man könnte ihm einfach ein Misstrauensvotum stellen, wenn man denn dagegen wäre.
Die Berichterstattung über die scheinbar wehrlosen „Frauen, Mütter und Kinder“ sind eine Stigmatisierung von Flüchtenden sondergleichen.
Wieso „scheinbar“? Führten die Waffen mit? Oder umgekehrt – wenn die wehrhaft wären, warum kämpften die nicht gegen die Russen?
Die Berichterstattung zeigt Männer, die an die Front gehen und sich tapfer, unverzagt und ehrenvoll im Kampf aufopfern. Mannhaft wischen sie sich die Tränen aus den Augen und sagen ihren Liebsten Lebewohl.
Ich kann mich an die Berichterstattung über eine werdende Mutter erinnern, die gegen die Russen kämpft. Also so einseitig ist die Berichterstattung auch nicht.
Und dann gibt es ja noch die Männer von 2015, die nach Domröse nicht Mannes genug waren und dem Krieg den Rücken gekehrt haben.
Wenn Domröse das unterschlägt, ist das ja schlimm genug, aber wenn HIER gewisse Rollenbilder schon hinterfragt werden, sollte man dabei doch als erstes erwähnen, dass die männlichen Ukrainer nicht direkt „freiwillig“ bleiben und kämpfen.
Es wird Zeit diesem martialischen, männlichen und autoritären Heldentum ein demokratisches, pluralistisches und friedvolles Held:innentum entgegenzustellen.
Und das sind gleich 7 Punkte im Bullshit-Bingo! Ich gebe mich geschlagen, denn gegen die besten der besten ist eine Niederlage keine Schande.
Wenn Menschen Held:innentum in der Krise brauchen, dann lieber ein demokratisches.
Ehrlich gesagt, ich persönlich brauche in dieser Krise weder Heldentum noch Held:innentum, aber mein Land wird auch nicht gerade von Russland angegriffen. Aber wenn, dann sollen die angehenden Heldinnen und Helden sich doch lieber freiwillig melden als vom Rest gewählt werden.
Dafür muss aber die Stigmatisierung und der Paternalismus enden, mit denen Flüchtenden begegnet werden.
Ist das jetzt Projektion? Ich kenne eigentlich nur zwei Positionen zu der Frage: Leute, die Flüchtlingen helfen wollen, und Leute, die Flüchtlinge nicht helfen wollen. Die einen stigmatisieren sie gar nicht, und die anderen stigmatisieren sie nicht als Flüchtlinge, sondern als Trickser.
Flucht ist keine Kapitulation. Flucht bedeutet handlungsfähig zu werden und eine aussichtslose sowie gewaltvolle Situation zu verlassen.
Jein. Putin wäre zufrieden, wenn einfach alle Ukrainer die Ukraine verließen.
Fliehen ist eine Absage an Gewalt. So wohnt dem Sich-Entziehen eine urdemokratische Wurzel inne.
Nein. Demokratie ist nicht anti-Gewalt. Nur anti-Gewalt als Teil der politischen Willensbildung.
Wenn charismatische Held:innen nötig sind, dann darf es kein Rückgriff in autoritäre Zeiten geben.
Niemand hat von „charismatischen“ Helden oder Heldinnen gesprochen. Also wirklich niemand. Was zum Geier?
Dafür braucht es keinen „starken Mann“, der sich dem Feind entgegenstellt.
Eben – menschliche Sandsäcke müssen nicht mehr Charisma als Sandsäcke haben.
Dafür braucht es Menschen, die tapfer und unverzagt – trotz alledem – gewillt sind, sich im Exil eine neue Existenz aufzubauen.
So, wie die Siedler in den USA, die sich nicht in die Kriege und Konflikte Europas hineinziehen lassen wollten? Komischer Vergleich, ich weiß.
Um unserer selbst willen, sollten wir besser Geflüchtete heroisieren. Nicht den „starken Mann“, der allein Entscheidungen trifft, sondern die, die für Demokratie, Pluralismus und eine friedliche Konfliktlösung stehen.
Die geflüchteten Frauen und Kinder haben den Konflikt, in dem ihre Männer und Väter gerade sterben, ja nicht „gelöst“. Und ich fände es ja auch wirklich besser, wenn ein paar Monate Wirtschaftsboykott Putin zum Nachgeben zwingen würde, als tote Soldaten, aber auch das wäre ja die Konfliktlösung durch den Westen.
Diese kommende Politik zeichnet sich dadurch aus, dass Krieg eben nicht die bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist.
Sondern außerdem auch…?
Für ein zeitgemäßes Held:innentum und damit ein demokratischer Heroismus, jenseits der Mär patriarchaler Rollenbilder vergangener Tage.
Wenn die männlichen Ukrainer das Land verließen und die Frauen gegen die Russen kämpften, wäre das nicht viel eher die Umkehr patriarchaler Rollenbilder? Denn Frauen und Kinder in Sicherheit zu bringen, während Männer kämpfen, töten und sterben, ist exakt das „patriarchalste“ aller Rollenbilder.
Erinnert mich an einen DLF-Beitrag, in dem die Interviewte die „feministische Außenpolitik“ als Allheilmittel anpries, der natürlich auch eine „feministische Innenpolitik“ folgen müsse… Über die Inhalte schwieg man sich gegenseitig auf höchst kritische Weise aus.
Ich sag’s mal so: Feministische ~politik — die Doramad-radioaktive-Zahnpasta der 2020’er Jahre…
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