Krank oder gekränkt?

Hachja.

Heul doch!

Genau. Einfach nur „heul doch“.

Warum dürfen Männer nicht krank und schwach sein? Es wird Zeit für ein gesünderes Verständnis von Maskulinität.

Keinem Mann ist verboten, krank oder schwach zu sein. Er wird ja nicht bestraft dafür. Er kriegt halt nur nicht die Unterstützung, die kranke und schwache Frauen kriegen.

Man(n) sollte Reflexionen über Männergesundheit nicht mehr mit Zitaten aus dem Lied »Männer« von Herbert Grönemeyer beginnen.

Wann war das denn zuletzt eine gute Idee? Aber ja, Männer sind Schweine. Nee, das war wer anderes.

Nicht weil Zeilen wie »Männer weinen heimlich« als Hintergrundmusik für Gesundheitsratgeber totgenudelt sind.

Besser irgendwas über die Banane? Nicht nur profane Nahrungsaufnahme?

Sie wirken nur mittlerweile unzureichend, fast zynisch

Niemand wird gezwungen, „Männer“ zu singen. Aber das Lied wird ja als Argument gebracht, dass „Männer nunmal so sind“.

weil sich eben fast nichts ändert. Seit Generationen.

Tja, wer sollte denn was ändern? „Wir“?

Grönemeyers Album »Bochum« vermittelte dem Mann in mir viele männliche Lösungsstrategien, vom Saufen (»Alkohol«)

Das Lied verharmlost keinesfalls das „Dressing zu meinem Kopfsalat“. Aber wer Abstinenzler schlecht machen will, singe „Kein Alkohol ist auch keine Lösung“. Nebenbei, falls Grönemeyer das pro-Alkohol meinte, dann bestimmt nicht beschränkt auf Männer.

bis zur Depression im Liebeskummer (»Flugzeuge im Bauch«)

Auch DAS ist ein Lied, dass auch Frauen singen könnten, weil sie in der Situation wären. Und Depressionen kommen in dem Lied überhaupt nicht vor.

 und dem Stolz auf selbstzerstörerische, aber identitätsstiftende Arbeit im Bergbau (»Bochum«).

In „Bochum“ geht es um Bochum, nicht um Bergbau. Also was will er von mir?

Der Erfolg von »Männer« aber hat vor allem mit der selbstironischen Attitüde zu tun, dem Spiel mit allen Klischees.

Oh, mit absolut keinerlei Mühe kann man das Lied von „Selbstironie“ auf „Ironie über Leute, die diese Vorurteile haben“ umdenken.

Genial.

Genau: genial.

»Außen hart und innen ganz weich?« Zwinker, zwinker, dazu kann man tanzen, das darf man mitsingen, aber versucht mal, als Mann darüber zu reden.

Entweder, man bekommt zum Vorwurf, dass man hart sei, oder aber, dass man weich sei. Typischerweise von denselben Leuten. Genial einfach.

Als ich in einer Redaktionskonferenz vorgeschlagen habe, ich würde gern ein ganzes Heft nur über Männergesundheit machen, sagte eine Kollegin: »Aber ohne mich.«

Frauen wollen einfach nicht, dass etwas sich ändert. Aber man mache mal die Geschlechtertauschprobe nach Stokowski – bei derselben Zeitung – wo sie ein ganzes Heft über Frauengesundheit machen möchte, und er sagt: „Ohne mich.“

Man(n) hört dann aus gespitztem Mund, leicht spöttisch: Geht’s hier wirklich um den kranken Mann – oder nur um gekränkte Männlichkeit?

Oder, sie findet Männerkrankheiten einfach nur eklig? Weil die sich ja bekanntlich nie die Hände waschen und so?

Mal davon abgesehen, dass ich keinen Bock habe, mit meiner ohnehin durchschnittlich um fünf Jahre geringeren Lebenserwartung für Jahrtausende des Patriarchats nachzubezahlen

Was redet er denn jetzt für einen Quatsch? Niemand interessiert, ob er Bock dazu hat.

Ist das nicht einfach egal, warum oder worunter ich leide, ob Krankheit oder Kränkung?

Und sie dann so: „Ja, mir ist es wirklich egal, warum oder worunter Du leidest.“ Aber natürlich hat sie damit Unrecht: wäre er gekränkt, könnte man ihn nochmal extra als empfindliche Schneeflocke verspotten.

Wurdest du nicht selbst viel zu lange als »hysterisch« diffamiert und ruhiggestellt, weil niemand deine Not ernst nahm?

Und sie dann so: „Deshalb ja!“

Männer brauchen sicher nicht über Unterdrückung zu klagen. Aber sie haben jedes Recht, darüber zu klagen, dass sie in einer Atmosphäre leben, in der sie ihre Krankheiten lieber unterdrücken, statt sie anzugehen.

Männer brauchen über beides nicht klagen, weil beides niemanden interessiert. Wenn ein Mann seine Probleme nicht allein löst, hilft ihm kein anderer Mann, da dieser genug eigene Probleme hat, und keine Frau, wegen Patriarchat.

Der »Männerschnupfen« ist ein viel belächeltes Phänomen. Dabei wird unterschlagen, dass Männer tatsächlich ein anderes, schwächeres Immunsystem haben und länger brauchen, um wieder fit zu sein.

Männer waschen sich eben seltener die Hände. Sagt die ruhmreiche Stokowski, und die muss es wissen, die hatte ja auch mal Corona.

Es wird ihnen aber nicht erlaubt.

Wer dürfte oder müsste es ihnen denn erlauben?

Auf mich wirkt es schon lange befremdlich und mindestens mikroaggressiv, dass männliches Leben in der Wahrnehmung weniger wert ist.

Weniger wert als wessen Leben? Hmmm???

Wenn ständig betont wird, dass unter Opfern »viele Frauen und Kinder« seien, frage ich mich irgendwann: Ja, das ist fürchterlich, aber ist denn mein Leben als Mann weniger wert?

Ja, offensichtlich? Blitzmerker.

Ist mein Tod »logisch« und hinnehmbar, mein Ableben schon eingepreist?

Was hat er jetzt an der „allgemeinen“ Wehrpflicht nicht verstanden? Oder hieran?

Klar richten wir uns selbst zugrunde, mit der Verweigerung von Vorsorge bis zur Flucht in rotes Fleisch und Rotwein. Aber warum?

Dass Frauen weniger Joule benötigen und weniger Alkohol vertragen, ist bekannt? Aber ja, wenn man weiß, dass man weniger vermisst werden wird, hat man weniger Motivation, das zu verhindern. Blitzmerker.

Weil wir nicht frei sind. Es kommt alles wieder, was nicht bis zum Ende durchlitten und gelöst wird. Ich hatte in meinem Leben schon mit ziemlich vielen Krankheiten zu kämpfen. Und ich habe sehr schmerzhaft lernen müssen, dass sie immer auch mit meinem Kopf zu tun hatten.

Ich war nicht sooo oft krank, insofern kann ich den letzten Teil nicht aus eigener Erfahrung belegen oder widerlegen. Und meine Krankheit wurde ernst genommen. Von daher weiß ich auch nicht…

Es unterschätze niemand die Wirkungsmacht tradierter Klischees. Deutsche Jungen weinen nicht.

Welche Jungen denn dann? Das ist erstens kein Klischee, sondern eine Erwartungshaltung, die durchgesetzt wird, und zweitens gilt das auch für undeutsche Jungen. Den nationalistischen Spin kann er sich schenken.

Ich saß einst mit meinem Vater im Kino, der Verfilmung des Wunders von Bern. Eine als Fußballfilm getarnte Erzählung über zerstörte Männer und Väter nach dem Krieg.

Also sowas wie das hier. Da war er schon lange erwachsen, aber okee…

Ich durfte – maximal – seine Hand halten, aber später nicht darüber reden.

Also er selbst jetzt, nicht nur sein Vater.

Wenn heute mein Sechsjähriger weinend vom Fußballplatz rennt, dann kostet es mich immer noch Kraft, nicht reflexhaft zu sagen: »Hey, du musst doch nicht weinen.«

Warum? Was löst solche Reflexe aus? Ok, ich würde mein Kind nicht zum Fußballspielen schicken, also, was weiß ich denn schon…

Warum ist »Heul doch!« eine provokative Phrase, die im Streit missbraucht wird? Warum denn nicht heulen: Es kann so befreiend sein.

Weil der Streitgegner natürlich nicht heulen wird. Oder wenn doch, macht er, was ich will. Und so befreiend ist es auch nicht.

Vor allem die ersten Jahre sind für uns Jungs ungesund, wir verbringen sie im Matriarchat der Mütter, Erzieherinnen, Lehrerinnen.

Nein, das ist das Patriarchat. Alle mit Hirnwellen unter Kontrolle gebracht.

Aktive Jungen stehen als Zappelphilipp unter ADHS-Verdacht, introvertierte Jungen werden direkt als zu still, zu ernst, vermutlich also depressiv pathologisiert: und ihre Stärke zur Schwäche umdefiniert.

Auch, wenn ich den Kritikpunkt nachvollziehe, es kann nicht die Lösung sein, Eigenschaften als Stärken oder Schwächen zu definieren. Man muss sie als Eigenschaften betrachten. Und dann kann man sich fragen, ob der Junge oder das Mädchen einen Vorteil für sich selbst daraus zieht. Und dann vllt noch, ob der Rest der Gesellschaft einen Vorteil daraus zieht.

Ich kann das Testosteron nicht gedanklich weggendern, nur weil ich gern eine andere Welt hätte

Sprache schafft Wirklichkeit, wer mit Sprache die Welt nicht verändern kann, sollte nicht Journalist werden.

Und was Hänschen in dieser Zeit vermittelt bekommt, lebt Hans später aus: Vorsorge ist für Pussies, Stärke zählt, Zweifel am eigenen Ich machst du besser nicht transparent.

Das muss dieses Patriarchat sein, von dem man immer so viel hört und liest. Kümmert sich darum, dass es Frauen besser geht als Männern.

Es gibt ja männliche Lösungen: Alkohol, Aggression, Aufpumpen, Aufstieg. Oder Ausstieg, durch Depression oder gar Suizid.

Tja. Wie gesagt, dieses Patriarchat immer.

Auf unseren Shirts wird stehen: »Boys get sad too«.

Und seine Kollegin kommt mit dem Shirt „Who cares?“, und damit ist nicht die Weltgesundheitspolizei gemeint.

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