Der Horror

Stellt Euch mal einen Horrorfilm vor. Es geht um ein Pärchen namens Daniel und Christina, bzw., es ist nur ein Semi-Pärchen, denn für Christina ist die Beziehung eigentlich schon zu Ende, und hat eine Auslandsreise mit ihrer Clique von der Uni geplant, ohne ihm davon zu sagen, aber dann bringt Daniels Bruder die Eltern und sich selbst um, und Christina will nicht genau jetzt Schluss machen. Jetzt ist die Reise kein reiner Urlaub, weil die in einem abgelegenen Dorf ein Fest besuchen wollen, was nur alle Jubeljahre stattfindet, um darüber eine Studienarbeit zu schreiben, aber Daniel kommt mit, vllt. bringt ihn das auf andere Gedanken. (Spoiler: Nein.)

Die Gruppe um Christina und Daniel kommen also im Dorf an und bekommen Drogen. Das ist jetzt weder besonders wissenschaftlich gedacht noch eine empfohlene Art, mit Schmerz und Trauer umzugehen, aber das soll wohl die Horrorfilmdummheit erklären.

Horrorfilmdummheit ist, wenn Firguren in einem Horrorfilm etwas Dummes tun, hier zum Beispiel den Ort nicht verlassen, an dem der Horror stattfindet. Gute Filme bieten dazu einen oder mehrere von folgender Liste:

  1. Der Ort ist erkennbar isoliert und kann nicht ohne weiteres Verlassen werden
  2. Jemand oder etwas sabotiert alle Transport- und Kommunikationsmethoden
  3. Die Gruppe ist unfreiwillig an dem Ort und Teil des Horrors ist die Suche nach einer Fluchtmöglichkeit
  4. Es gibt einen plausiblen Grund, den Ort trotz Gefahr für Leib und Leben nicht zu verlassen, weil z.B. ein Gruppenmitglied vermisst wird und man es nicht zurücklasen will (Spoiler: dessen Überreste werden ungefähr zu Beginn des dritten Drittels gefunden), oder die Gruppe will das Böse besiegen
  5. Die Gruppe ist auf der Flucht, und der Horror verfolgt sie

„Zu zugedrönt um wegzurennen“ wäre vllt. unter 2. einzuordnen, aber nunja. Der andere Grund ist evt. noch, dass das Dorf ganz hübsch ist mit freundlich lächelnden Einwohnern, und die ganze Filmhandlung ab der Ankunft im Dorf findet vor Sonnenuntergang statt. Also sozusagen das Gegenteil von klassischen Horrorsettings. Aber trotzdem: nunja.

Die Besucher schauen den Leuten bei ihren Feierlichkeiten zu und stellen fest, dass ritueller Selbstmord dazugehört. Dass das für Daniel ein extrem harter Tritt in den Magen bedeutet, sollte jedem einigermaßen empathischen Menschen klar sein. Aber weder fährt Christina mit Daniel weg, noch kommt Daniel selbst auf die Idee. Das ist etwas zu abwegiges Verhalten, um sioch mit den beiden identifizieren zu können. (Und JA, dem horrorerfahrenen Publikum wird angedeutet, dass ein Fluchtversuch nichts bringen würde, aber das ist den Charas wohl nicht klar, was dann wieder Horrorfilmdummheit ist. Daniel definitiv und eigentlich jeder hätte keinen Grund mehr zu bleiben, aber wenn die einen meinetwegen vereitelten Versuch unternehmen würden, den Ort zu verlassen, würde das Ende nicht passieren…)

Apropo Empathie: der Film wird zumindest so interpretiert, als wäre Schreien, wenn jemand anderes vor Schmerzen schreit, irgendwie „empathisch“ und kein Verspotten. Oder ich zumindest käme mir verspottet vor – warum helfen die mir nicht? Auch ruft ein Chara das Missfallen der Eingeborenen hervor, indem er an einen heiligen Baum pinkelt. Ok, das ist sicher plausibel, aber wenn das schon jemand wie ich ohne Anthropologie-Studium weiß, sollte jemand mit zumindest ein paar Semestern Anthropologie das erst recht wissen? Und umgekehrt ist die Strafe dafür auch nicht so viel schlimmer als der entsetzliche Tabubruch, einfach gehen zu wollen, oder schwarz zu sein, also Keks, Alter. Einfach: Keks.

Jedenfalls wird Daniel zum Festkönig gekrönt, und Christina bekommt eine Extradröhnung Drogen, worauf sie mit einem gut aussehenden Ureinwohner schläft. Daniel wird daraufhin erklärt, dass das Dorf Menschenopfer bringen muss, um sich von seinem „Bösen“ zu reinigen. Einerseits Freiwillige, die sich mehr oder weniger an den bösen Taten – welche Taten auch immer als „böse“ gelten – beteiligten, und andererseits Leute vom Nachbarkontinent, die unter dem Vortäuschen von Gastfreundschaft eben erst ins Dorf gelockt wurden, die mit dessen Bosheit nichts zu tun haben und die wegen Drogenkonsum auch gar nicht schuldfähig sind. Ja, Horrorkulte haben nicht unbedingt die höchsten ethischen Standards, es ist aber relevant dafür, für wie gut oder schlecht man das Ende hält, für wie gut oder schlecht man den Kult hält.

Jedenfalls hat Daniel die einfache Wahl: entweder, er lässt den Typen verbrennen, der seine Freundin, die  zu diesem Zweck offenbar irgendeine Art Rape-Droge bekommen hatte, faktisch vergewaltigte, verbrennen, und fragt vllt. sogar noch, ob er noch MEHR Menschenopfer anordnen kann, oder, er lässt seine Freundin verbrennen.

Nun, er lässt seine Freundin bei lebendigen Leibe verbrennen, weil er wohl schon die ganze Zeit sauer auf sie war. Außerdem, sein Bruder hat ihre Eltern ermordet, häusliche Gewalt und Femizide sind vllt. auch genetisch veranlagt. Außerdem: Drogen.

Ok, Horrorfilme müssen nicht immer gut ausgehen, und hier würde sicher jeder sagen: Vorsicht, heftiges Ende, richtig brutal, zeigt Daniels fragile Männlichkeit, arme Frau und so.

Jetzt ist das aber die gendergeflippte Version von Midsommar.

Und, bitte nicht falsch verstehen, ich kritisiere jetzt weder den Film an sich noch die Leute, denen er generell gefällt.

Ich kritisiere die, die ihn für Feminismus loben.

Hierhierhierhier, oder hier, hier und hier, was die deutschen Kritiken betrifft.

Vielleicht allegorisiert „Midsommar“ tatsächlich die geschlechterpolitischen Anspannungen unserer Gegenwart: Wenn die Jungs nicht endlich lernen, wie man liebt, wird es böse enden.

Die Macht der Geschlechtertauschprobe würde dergleichen Behauptungen verhindern, aber die macht ja leider keiner.

Fairerweise muss man sagen, dass ich nicht der einzige bin, der die feministische Botschaft entweder nicht sieht oder in der Form zurückweist. Außerdem wird der Kult auch anderweitig kritisiert: Nordschweden  leben isoliert, haben pagane Bräuche, finden Runen toll, praktizieren Euthanasie und Eugenik, und um ihrer Inzuchtdepression aus dem Weg zu gehen, setzen sie Männer von außerhalb unter Drogen, aber nur solche, die mindestens mittelblond sind. Aus Gründen der genetischen Diversität wäre ein Schwarzer natürlich besser geeignet, aber nein. Ohne Ariernachweiss (ssic) landet man direkt im Blumenbeet.

Auch von der Warte her ist dieses Dorf nicht so sympathisch, wie verschiedentlich behauptet wird.

Ein Gedanke zu “Der Horror

  1. Die Macht der Geschlechtertauschprobe würde dergleichen Behauptungen verhindern

    Nein, genauso wenig wie es helfen würden, Nazis vorzuhalten, irgendjemand anderen (Deutsche?) zu verfolgen wäre schlimm.

    Das sind Sexisten, die legen unterschiedliche Maßstäbe an Männer und Frauen an; in deren Denke sind Frauen und Männer so; sie werden richtig be-, verurteilt. Männer sind weniger zum Lieben fähig (weshalb sie auch nie auf die Idee kommen würden, den Löwenanteil ihres Lebenseinkommen an ihre Familie abzugeben.

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