Weil’s mal wieder Thema ist…

Hier nämlich (Zahlschranke). Siehe auch hier.

Ich bin bei Wedel und Tempel und auch allgemein schon der Ansicht, dass es besser gewesen wäre, wenn sie zeitnah zur Polizei gegangen wäre, aber wenn sie das nicht will, kann ich sie nicht zwingen.

Das jetzige Problem mit der ARD und Herrn Schertz ist wohl, dass er von ihr – obwohl er Rammstein verteidigte – wegen seines Einsatzes für Tempel als Vorkämpfer von #MeToo dargestellt wird (und er hat da anscheinend nicht gegen), anstatt einfach als ein Anwalt, der für seine aktuellen Mandanten eben sein Bestes gibt.

Tempel betrachtet sich aber als verraten, weil man ihr das mit der Verjährung nicht erklärt hat. Jetzt ist Schertz zwar Presserechtler und kein Strafrechtler und muss das nicht wissen, andererseits hat die Zeit behauptet, dass sie nicht wusste, dass es Tempel so wichtig war, DASS die Vergewaltigung verjährt war und nicht vor Gericht landet.

Und das kommt mir höchstens semi-plausibel vor: warum stellen Journalisten nicht die Frage, ob Tempel Anzeige erstatten will oder nicht? Wieso wäre das unwichtig? Und wenn das Thema zur Sprache kam, hätte man da nicht einfach, investigativerweise, nachhaken können? Einer der beteiligten Anwälte hätte das ja auch einfach nachschlagen können. So eine Info interessiert ja auch die Leserschaft.

Ich bin hier sehr auf Seiten von Frau Tempel; klar kann das alles ein dummes Missverständnis gewesen sein, irgendwer hat vllt auch irrig falsche Angaben gemacht, aber wenn es so gewesen war, dass man sie bewusst im Irrtum ließ, damit die Story nicht platzt, wäre das einfach nur Verrat. Und für Schertz – auch wenn er mit dem Verrat selbst nichts zu tun hatte – eher kein „Sieg“. Oder jedenfalls nicht für #MeToo.

Der eigentliche Punkt hier, auf dem es mir ankommt, ist dieser Absatz:

Über Lindemann sagt Schertz: „Dass ein Star und ein Fan miteinander sich näher kommen und auch miteinander ins Bett gehen, ist so alt wie der Rock’n Roll.“ Über Wedel sagt Schertz nicht: „Dass der Weg zu guten Rollen über eine Besetzungscouch führt, ist so alt wie Hollywood.“

Ich finde, dass der Vorwurf so nicht zutrifft. Ungeachtet der Mandantenfrage müsste man der zweiten Aussage nicht zustimmen, wenn man der ersten zustimmt. Auch, wenn die erste eine Nullaussage ist: dass manche Frauen freiwillig mit Rockstars schlafen beweist nicht, dass diese Frau nicht von jenem Rockstar vergewaltigt wurde.

Bei der Frau und dem Rockstar gibt SIE Geld aus, von dem er einen Teil bekommt: Ticket für die Show, Kosten für die Anreise, evt. bretzelt sie sich noch extra auf. Wenn sie ihn wegen Vergewaltigung anzeigt, kann er nichts weiter machen, auch nicht, wenn die Anzeige nicht zu einem Schuldspruch führt. Er könnte ein Konzertverbot für sie aussprechen, aber das würde ihr nichts nehmen, worauf sie eh‘ nicht gut in Zukunft verzichten könnte.

Bei der Schauspielerin und dem Regisseur ist die „Besetzungscouch“ schon dann problematisch, wenn es völlig einvernehmlich wäre, weil es um Vorteilsnahme ginge. Außerdem ist die Freiwilligkeit eines Menschen, der vom anderen wirtschaftlich abhängig ist – ein wichtiger Regisseur könnte implizit mit starken beruflichen Nachteilen drohen, im krassen Unterschied zum Rockstar – zumindest fraglich. Selbst, wenn das Schauspiel-Opfer zu Polizei geht und der Täter verurteilt wird, verliert es erstmal seinen Job und mittelfristig sogar den Beruf als Schauspielerin, was im Einzelfall etwas wäre, was das Opfer tatsächlich will (weil es so schlechte Erfahrungen in der Branche machte), aber Druckmittel bleibt Druckmittel. Ein mögliches Vergewaltigungsopfer in der Schauspieler-Regisseur-Situation ist also doppelt in einer schlechteren Lage als im Fangirl-Rockstar-Szenario: erstens gibt es einen zusätzlichen Hebel, Sex zu erzwingen, und zweitens einen Hebel, darüber Stillschweigen zu erpressen. Also überhaupt einen Hebel. Und da kann man mir gerne noch viel mehr über Macht und so erzählen – das Machtgefälle, das Männer über Frauen haben, ist offensichtlich so stark situationsabhängig, dass man sich schon fragen könnte, ob es überhaupt immer vorhanden sei, oder mal in die andere Richtung kippen könnte.

Beide Szenarien ganz abstrakt gesprochen von den konkreten Fällen – und die Existenz von Besetzungscouchen beweist ja auch nichts in Hinblick auf Vergewaltigungen in der Filmbranche…

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