Baustellen und Pinkstinks

Beste Kombi evar!

BAUSTELLE VIELFALT: GEGEN SEXISMUS IM HANDWERK

Der Sexismus besteht darin, dass die gefährlichsten Berufe für genau EIN Geschlecht vorbehalten sind. Was man ja gerne ändern kann, aber dann sollte man zumindest verstehen, dass das so ist.

Triggerwarnung: Der folgende Inhalt behandelt unter anderem die Themen Sexismus und Mobbing, explizite Sprache kann vorkommen 

Polier auf der Baustelle hat ein paar vorstehende Nägel an einem Schnurgerüst platt, damit „sich niemand daran die Eier aufreißt.“ Das ist doch besser als implizite Sprache aber dafür mit Sorglosigkeit, oder?

Ein tiefes, weiblich gelesenes Dekolleté

Die Formulierung einfach – mit Maurerdekolleté macht man eher keine Werbung.

ein Schraubenschlüssel in der Hand. »Schlüsselposition zu vergeben« prangt in großer Schrift auf dem noch größeren Plakat.

Immerhin nicht so peinlich wie einen Lötkolben am Metall anzufassen.

Dass Frauen als Zielgruppe dieser Anzeige trotz Genderns nicht ernsthaft mitgedacht wurden, ist offensichtlich.

Es gibt doch auch lesbische Mechatronikerinnen, oder?

Leider kein unglücklicher Einzelfall – regelmäßig gehen solche Werbungen von kleineren Handwerksbetrieben bei unserer Werbemelder*in ein.

Oh nein, wie schrecklich – warum HELFT Ihr den Sexisten eigentlich?

Und mal ehrlich: Erstens ist es nicht nur sexistisch, sondern auch ziemlich öde, Werbung mithilfe von Brüsten attraktiv machen zu wollen.

Ist doch gut: dann finden die eben niemanden und gehen hoffentlich bald pleite.

Und zweitens stellen sich Betriebe damit selbst ein Bein, denn dem Handwerk fehlen Hunderttausende Fachkräfte.

Eben. Überleben des Fitteren und so.

Handwerkskammern und Verbände arbeiten indes mit Kampagnen gegen den Frauenmangel in vielen gewerblich-technischen Berufen an.

An wen appellieren die? An die Betriebe oder an weibliche Jugendliche auf der Suche nach einem Beruf fürs Leben? Weil das zwei völlig verschiedene Zielgruppen sind.

Wir haben uns gefragt: Sind Nacktkalender an Werkstattwänden und sexistische Sprüche auf der Baustelle noch immer Alltag oder nur ein winterhartes Klischee?

Sowohl als auch? Keine Ahnung. Ich kriege manchmal Komplimente, weil ich mal wieder beim Friseur war. Was jetzt in Zukunft öfter passieren wird.

Wie realitätsfern ist die Vorstellung von Bauarbeiter*innen als bärtiger Mann mit Maurerdekolleté?

Die meisten Bauarbeiter haben keinen Bart und kein Maurerdekolleté. Insofern ist es realitätsfern.

Schauen wir uns erstmal an, wie groß der Anteil von Frauen im Handwerk ist.

Macht mal.

Auf den ersten Blick sehen die Zahlen zwar nicht paritätisch, aber zumindest halbwegs solide aus: Jede*r siebte Auszubildende war 2023 weiblich.

Das heißt ja im Umkehrschluss, dass in Studiengängen der Frauenanteil genau umgekehrt sein muss, also 6/7, richtig? Aber Feministen können ja nix als meckern.

Was viele allerdings nicht wissen: Handwerk ist nicht gleich Handwerk.

„Viele“ sind Leute, die mit Handwerk wenig bis gar nichts zu tun haben.

Es gibt etwa 130 handwerkliche Berufe

Kommt drauf an, wie man die definiert, aber ok.

Besonders hoch ist der Frauenanteil in Berufen aus den Bereichen »Gesundheit« und  »persönliche Dienstleistungen«:

Also denen, bei denen das Unfallrisiko besonders gering ist? Nur so als Arbeitstheorie…

Und auch, wenn immer mehr Frauen solche Berufe ergreifen, liegt der Frauenanteil z.B. im Bauhauptgewerbe bei gerade mal 1,8 %!

Tja, ist nicht meine Schuld. Ich habe allein zwei Cousinen, die normal Bauingenieure sind.

Die Vorstellung vom Baugewerbe als Männerdomäne hat sogar historischen Hintergrund: Sie war nämlich lange Zeit gesetzlich manifestiert! Bis 1994 war Frauen in der BRD die Arbeit auf dem Bau gesetzlich untersagt.

Auch DAS ist nicht meine Schuld, vorher war ich gar nicht wahlberechtigt… Moment, wieso ist dann Opa mit meiner Mutter richten gewesen? Oder hat sie Drainagerohre verlegen lassen? Und ein ganzes Haus ganz alleine verrücken??? Ich bin entsetzt!

Ausnahmen mussten per Antrag genehmigt werden. Voraussetzung dafür war teilweise sogar ein »gynäkologisches Unbedenklichkeitsgutachten«, dem sich die Frauen unterziehen mussten.

Okeee… Euch ist aber trotzdem klar, dass das gefährliche Berufe sind? Meine Mutter meinte, sie sei in sechs Metern Höhe auf SO schmalen Wänden gelaufen – sie zeigte mit den Händen 17,5 cm an – ohne Gerüst oder Netz! Was natürlich nicht stimmt, es waren eher 36,5 cm.

Anna Maas kennt das Baugewerbe gut. Die selbstständige Lehmbauerin hat zwei Kinder, zwei Putzmaschinen und ein Anliegen: mehr FLINTA* auf den Bau!

Gut, dass da vor expliziter Sprache getriggerwarnt wurde!

Heute arbeitet sie neben ökologischen Baustoffen manchmal auch noch mit cis Männern, am allerliebsten aber in FLINTA* Teams.

Wieso „auch“? Cismänner sind nachwachsende Rohstoffe und biologisch abbaubar.

Witzigerweise sagen das auch viele cis Männer, die mit uns auf einer Baustelle sind, die sind davon dann immer total beseelt.

Woran sieht sie, dass das Cismänner sind? Mir wäre das egal, Hauptsache Brötchen abgreifen und Rechnung stellen.

Zusammen mit anderen Frauen fällt es manchmal auch leichter, Sexismus zu erkennen.

Wie schwierig kann das denn sein, so als Frau?

Es passiert mir zum Beispiel regelmäßig, dass Menschen mir meinen Beruf nicht zutrauen. Aber es wurde auch schon darüber gesprochen, ob ich meine Tage habe und über mein Äußeres. Das erlebe ich immer wieder, auch mit Männern, die sich zuerst ziemlich feministisch vorgestellt haben.

Wie stellt man sich „feministisch“ vor? „Hallo, ich heiße Georg, und ich bin feministisch!“ – „Hallo, Georg!“

Anna spricht hier einen Punkt an, der nicht so ganz zu schillernden Versprechungen der um weibliche Fachkräfte bemühten Kampagnen passen will.

Welche Versprechen sind das genau? „Es gibt keinen Sexismus im Handwerk!“ käme mir derartig pauschal falsch vor.

Dass Sexismus bis hin zu sexueller Belästigung für viele Frauen in männerdominierten Berufen immer noch Alltag ist.

Das ist bestimmt nicht das schillernde Versprechen.

Nicht nur von Kolleg*innen, sondern auch von Kund*innen und im Handel: »Du kannst im Baumarkt in voller Kluft stehen und trotzdem wird einfach durch dich durch geguckt«, erzählt uns Anna und lacht dabei, weil es so absurd ist.

Das heißt dann Bauherr, Bauherrin oder gelegentlich auch Bauherrschaft, nicht „Kund-atemhol-innen“; aber offenbar sind auch nicht-männliche „Kunden“ sexistisch.

Anna ist selbst Mutter von zwei Kindern und kennt das Dilemma. Zuhause sehen ihre Kinder eine selbstständige Mutter in Handwerkskluft, ganz ohne Geschlechterklischees wachsen sie trotzdem nicht auf: »Zum Beispiel, wenn im Matheunterricht gesagt wird: Fragt mal euren Vater nach dem Zollstock oder eure Mutter nach ‘nem Maßband.«

Messband. Ein Maßband wird auf dem Bau verwendet, Messbänder von Schneidern. Kenne ich von meiner Oma. Die Ärzte, die mich als Kind mal nähen mussten, meinten, dass ich das mal bei meiner Mutter gesehen haben müsste, und bekamen eine freche Antwort. Also eigentlich eine richtige Antwort, aber nunja…

Solche Klischees kennt auch Dachdeckermeisterin Janina aus NRW, die ihren Nachnamen aus Sorge vor negativen Reaktionen lieber für sich behält.

War das nicht die, die mal vor ein paar Jahren im Radio war, als sie beim Schiefern war (Nicht Ski-Fahren!)? Jedenfalls, es gibt derartig wenig Dachdeckerinnen, dass sie auch ihren Vornamen und ihr Heimatbundesland für sich behalten müsste, um garantiert nicht erkannt zu werden.

»Wo gehobelt wird, fallen Späne.« Das ist die Antwort von Janinas Chef, als sie 2012 allen Mut zusammennimmt und ihm von den sexistischen Sprüchen eines Dachdeckermeisters erzählt. …

Grundsätzlich wird das alles so passiert sein. Dennoch wird jetzt ihr Chef und ihre damaligen Kollegen UND ihre heutigen… ach, egal. Ja, solche Sprüche gibt es. Und wenn es mehr Frauen in dem Beruf gäbe, würden die möglicherweise seltener, allerdings sind gerade Dachdecker – neben den Gerüstbauern und den genderneutral benannten Zimmerleuten – nicht nur die Berufe mit den geringsten Frauenanteilen, sondern auch die mit den meisten tödlichen Unfällen; und wenn IHR denkt, mehr Männer im Beruf = mehr Prestige und Privilegien, seid Ihr Eurem eigenen Narrativ in die Falle getappt.

Dabei zeichnen sowohl die Recherchen der taz wie auch unsere Gespräche mit Handwerker*innen ein ziemlich eindeutiges Bild: Handwerksspezifische Beratungsstellen mit geschultem Personal wären dringend notwendig.

Niemand hindert sie. Ist vllt nicht ganz so wichtig, wie an keinem Arbeitsunfall zu sterben, aber trotzdem ziemlich wichtig. Auch für männliche Azubis.

»Ich kenne kaum eine Dachdeckerin, die von Sexismus kein Lied singen kann. Für viele ist es halt einfach normal«, erzählt uns Dachdeckermeisterin Janina.

Ich kenne drei, hauptsächlich vom Sehen her, aber die, mit der ich ein Gespräch führte, hat exakt dasselbe gesagt. Und ich wette, Janina kennt bestimmt doppelt so viele Dachdeckerinnen wie ich.

»Aber wenn wir ernsthaft wollen, dass Frauen sich männerdominierte Berufe aussuchen, müssen wir Sexismus schon ernst nehmen. Mit Kampagnen Lust auf Handwerk machen reicht halt nicht. Die Lust vergeht einem nämlich schnell wieder, wenn der Umgang nicht stimmt.«

Das ist sicher richtig, aber ich vermute fast, dass viele von „wir“ nicht ernsthaft wollen, dass Frauen männerdominierte, gefährliche Berufe aussuchen.

»Aber es kommt natürlich immer sehr auf deinen Betrieb an.«

Überleben des Unsexistischsten!

Es wird so getan, als wäre das ein persönliches Problem. Ist es aber nicht, das geht uns alle was an.

Ich drücke keiner Frau sexistische Sprüche, ich traue keiner Frau nicht zu, schwindelfrei zu sein, und ich duze niemanden. Umgekehrt werde ich auch mit Respekt behandelt (und kassiere Komplimente wegen meiner Frisur, und letztens zusätzlich, weil ich abgenommen habe), also ist es kein Problem, das ich verursache oder dessen Opfer ich bin.

Ich hatte einen Angestellten letztes Jahr, einen cis Mann, den bezeichne ich gern als meinen Quotenmann. Das spielt der übrigens auch selbst total gerne mit.

Hatte sie ihn oder hat sie ihn noch?

»Das merke ich zum Beispiel, wenn eine Person neben mir stillt. Das wär mit einem cis männlichen Handwerker für viele undenkbar. Neulich habe ich sogar neben einem schlafenden Baby einen Riss in der Wand repariert. Ich bin ja selbst Mutter und sensibel genug, leise zu arbeiten«, erinnert sich Anna.

Hat sie ihn neu verputzt, oder hat sie die Fuge aufgestemmt und neu vermörtelt? Ich traue einer Menge Handwerkern zu, die berufliche Herausforderung, mal keinen Krach zu machen, erfolgreich anzunehmen. Insofern finde ich das jetzt nicht so spektakulär.

Besonders für Frauen und queere Menschen kann es ein mulmiges Gefühl sein, männliche Handwerker in die Wohnung zu lassen. Besonders, wenn auch der berühmte »raue Umgangston« mit ihnen in die Wohnung oder ins Haus tritt.

Das ist dann aber ein Gefühl. Die allermeisten Betriebe nehmen dafür Mitarbeiter, die sich zu benehmen wissen. Der Umgangston betrifft Kollegen oder Leute von anderen Gewerken, nicht die Kundschaft.

Die Driller Queens übernehmen bestimmte handwerkliche Tätigkeiten, die Laien den letzten Nerv rauben – oder für die wir einfach nicht kompetent genug sind: die Installation von Dunstabzugshauben, das Aufhängen von Sexschaukeln, den Balkon katzensicher machen, Möbel montieren.

Okeee. Keine Vorurteile gegen weibliche und/oder queere Menschen.

Ein Betrieb, der Pronomen selbstverständlich abfragt und anwendet, der sichergeht, dass niemand (ob Mitarbeiter*in oder Kund*in) mit Deadname (einige trans* Person legen ihren alten Namen ab, die Verwendung des sogenannten Deadnames, also des abgelegten Namens kann sehr verletzend sein) angesprochen wird, dass Raum für Fragen und Unsicherheiten ist.

Steht das nicht genau SO im Auftrag, wie man das haben will???

Handwerker*innen, denen man gern die Tür aufmacht.

Okeee, auch keine Vorurteile gegen nicht-queere und gleichzeitig männliche Menschen.

Innerhalb einer Wohnung etwas installieren, ist natürlich für viele „Normalos“ die Stelle, wo sie am ehsten mit Bauhandwerkern Kontakt kriegen, da muss man sich über Vorurteile bei Normalos nicht wundern.

3 Gedanken zu “Baustellen und Pinkstinks

  1. Welcher tiefere Sinn dahinter verborgen sein mag, “weiblich gelesenes Dekolleté“ zu schreiben anstelle “weibliches Dekolleté“, bleibt wohl unergründlich.

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