tazächliche Umerziehung

Hier

Linke Selbstveränderung und Kritik an überholten Lebensformen und Werten ist nicht überheblich. Im Gegenteil: Sie ist ein nobles Anliegen.

So formuliert ist das sicher nicht unwahr, aber die DDR hätte das genauso formulieren können, und sich selbst damit gemeint.

Linken wird heute gern vorgeworfen, sie wollten die Menschen „umerziehen“.

Nicht nur heute, aber ja, es macht Spaß! Weil es so einfach ist.

Der Vorwurf kommt von hartleibigen Konservativen, im Chor mit Rechtsextremen.

Nicht nur von denen, aber laut DDR lebte ich ja in einem faschistischen Staat, von daher…

Es ist ein Vorwurf, der auf subtile Weise ins Mark trifft, weil die Linken darauf ja nicht „Genau, das wollen wir“ antworten können.

Ähh, doch. Das könnt Ihr. Dieser Artikel insbesondere tut dies auch. Wo Problem, Alta?

Schließlich hat der Begriff der „Umerziehung“ einen autoritären Beiklang,

Achwas?

es schwingt die totalitäre Konzeption einer „Menschenzüchtung“ mit,

Nein, echt?

oder zumindest deren freundlichere Schwester, der Paternalismus:

Wieso ist Paternalismus eine Schwester? Wasauchimmer…

Wir sind gut, aufgeklärt und liberal, und ihr seid es nicht, weshalb wir euch ein bisschen verbessern müssen

Wohingegen schlechte, unaufgeklärte und illiberale Menschen andere Menschen so leben lassen, wie die das wollen?

natürlich zu eurem eigenen Vorteil.

„Natürlich!“ Das wird sich übrigens als der Haken der ganzen Argumentation erweisen.

Der Vorwurf sitzt, weil viele Linke insgeheim das Gefühl haben, dass die Rechten vielleicht irgendwie recht haben könnten.

Der Vorwurf sitzt, nicht nur, weil er nicht nur von Rechten kommt, sondern vor allem weil Linke, wenn sie denken und weniger fühlen würden, den ganzen Konjunktiv-Potentialfüllwörter-Blah weglassen würden.

Tatsächlich ist das nicht völlig falsch, zumindest auf den ersten Blick.

Wenn Ihr belegen könntet, dass Ihr Menschen zu deren Wohle „umerziehen wolltet, wäre das Thema jetzt durch.

Denn die Linken haben sowohl eine große Tradition als auch das Selbstbild, auf der Seite der einfachen Leute zu stehen,  …

Bisschen wie bei den Eboniern – einige Ebonier tragen Pelze, einige engagieren sich im Tierschutz. Manche Linke sind auf Seiten der einfachen Leute, manche… Moment! Müssten nicht die meisten Linken einfache Leute sein?

…und die, sagen wir es mit einem Modewort, nicht immer vollständig woke sind.

Oder – was viele Linke mehr oder weniger gekonnt ignorieren – nicht immer links sind. Das ist ein Grund, warum solche erzieherischen Versuche der Linken oft nicht gerade als „uneigennützig“ wahrgenommen werden.

Und jetzt kommen die Linken daher und sagen ihnen: Es ist nicht okay, wie ihr seid.

Um das vorweg zu schicken: natürlich soll man Arbeiter nicht von Kritik fernhalten. Rassistische, sexistische, antisemitische etc. Arbeiter gab es früher, gibt es auch heute noch, und nur, weil man sich als links identifiziert, sollte man kein Beißhemmung haben wie früher vor der Sowjet-Union. Aber so etwas Fingerspitzengefühl und Feinabstimmung wäre doch mal ganz schön.

Zumindest haben manche Leute das Gefühl, dass die Linken das von ihnen denken.

Eigentlich ist es nicht nur ein Gefühl… Frauen in Vorständen sollen besser für Frauen in der Belegschaft sein, sagt das Narrativ. Warum dann aber männliche Großbürger im Firmenbesitz der männlichen Fabrikbelegschaft im 18. Jahrhundert nichts genutzt haben, kann das Narrativ dann nicht erklären.

Wer den Rassismus, die Engstirnigkeit, die Dominanz traditioneller Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit in Teilen plebejischer Milieus kennt,

Ja, das ist beim „woke sein“ doch nur das halbe Problem. Dass volle Problem ist der Intersektionalismus, der besagt, dass Hautfarbe, Geschlecht, Religion und sexuelle Orientierung sich als Diskriminierungsgrund aufaddieren, dass aber „Klasse“ inzwischen als Diskriminierungsgrund ignoriert wird. Ein weißer, männlicher, christlicher und heterosexueller Arbeiter liegt in allen „bekannten“ Achsen auf den selben Koordinaten wie sein Chef und kann daher gar nicht diskriminiert sein. Ungeachtet der Frage, ob er selbst andere diskriminieren kann und tut.

dass es auch die Quelle von viel Leid ist, des Leids jener, die Diskriminierung, Mobbing oder Tätlichkeiten ausgesetzt sind.

Also wollt Ihr „plebejischen Millieus“ helfen, oder eher Schwarze, Frauen und Juden vor ihnen beschützen?

All das führt dazu, dass die Linken einerseits auf der Seite der einfachen Leute stehen, andererseits ihnen aber zu verstehen geben, dass sie ihr Verhalten missbilligen.

Tja, wie habt Ihr Euch denn in den Schlamassel nur reingeritten? Irgendeine selbstkritische Überlegung, na?

Und dann kommen die Rechten und sagen diesen Gruppen: „Es ist okay, wie ihr seid.“

Nun, Rechte ignorieren den Klassenunterschied meistens auch, typischerweise zugunsten des Nationenunterschiedes, insofern ist es nicht so, dass sie Euch auf Euren eigenen Kernthema die Wähler absaugen. Trotzdem macht Ihr es Ihen ein bisschen zu leicht.

Es ist nicht verwunderlich, dass einige diese Botschaft lieber hören als Kritik an Lebensstilen und Werthaltungen.

Ich überzeichne vllt., aber nur ein bisschen, wenn ich sage, dass Ihr (ich betrachte Euch mal als ein Kollektiv, heult leise bitte) den weißen Arbeiter vom Unterdrückungsopfer zum Unterdrücker umdefiniert. Es ist nicht nur nicht verwunderlich, sondern logisch, dass man Euch jetzt als Gegner der weißen, unterdrückerischen Arbeiterschaft sieht.

Aber das ist erst der Beginn der Kompliziertheiten.

Reicht doch schon.

Oft kommt als Ergänzung der Vorwurf, dass die Linken früher noch in der konkreten Lebensrealität des einfachen Volkes verwurzelt waren

Jemand, der sich „auf Seiten“ der einfachen Leute verortet, nimmt offenbar nicht in Anspruch, selbst dazuzugehören, ergo ist der Vorwurf insofern berechtigt. Natürlich kann man sich mit Leuten gemein machen, zu denen man eigentlich nicht gehört, sich in sie hineinversetzen, ihre Partei ergreifen oder sie verteidigen, also ist der Vorwurf nicht so schlimm.

Nun wollten Sozialisten, Sozialdemokraten und alle anderen Linken schon früher die arbeitenden Klassen einerseits ermächtigen, aber andererseits immer auch verändern.

Tja – woll IHR die arbeitenden Klassen wirklich ermächtigen? Am Ende diskriminieren sie noch schwule Fabrikanten, weiße Fabrikantenfrauen oder wen es sonst noch treffen kann.

Weltverbesserung und Selbstverbesserung waren stets untrennbar miteinander verbunden.

Wenn ich so viele Muckis aufbaue, dass ich mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren kann, verbessere ich nicht nur meine Chancen beim anderen Geschlecht, sondern tu auch was zum Klimaschutz.

Der Ursprung der Arbeiterbewegung lag oft in Arbeiterbildungsvereinen. Die Idee dahinter war, dass man den ungebildeten, analphabetischen Arbeitern Wissen vermittelt, denn, so hieß die Parole, „Wissen ist Macht“.

Tja, und damals sagten die Rechten den Arbeitern bestimmt auch: „Bleibt, wie Ihr seid!“, aber da hörten die nicht drauf, weil diese Änderung die Arbeiter weiter brachte. Also zu ihrem Vorteil war.

Die Anführer der Sozialisten legten beispielsweise den männlichen Arbeitern nahe, ihren Wochenlohn nicht prompt am Samstagabend zu versaufen, sie ermahnten sie, ihre Frauen anständig zu behandeln, sie propagierten neue Partnerschaftsmodelle, sie hatten sogar die Frechheit, die Männer aufzufordern, sich gelegentlich um die Kinder zu kümmern, damit die Frauen auch in Parteiversammlungen gehen könnten.

Bei 10-h-Schichten. Und ebensovielen Kindern. Hat sich inszwischen geändert, und tatsächlich zum Besseren. Gemessen an den damaligen Zuständen und dem damaligen Verhalten sind die heutige Verbesserungswünsche der Linken eher albern und anmaßend.

Man erklärte ihnen die Vorteile von Sanitärinstallationen, die Sozialisten druckten in ihren Zeitungen Anleitungen, wie man sich die Zähne putzt, …

Und heute gendern Linke in ihren Zeitungen. Zähneputzen hat einen messbaren Effekt auf die Gesundheit und Lebensfreude. Sanitärinstallationen dito. Gender* hingegen eher nicht.

Man hat die Menschen verändern wollen, und niemand wäre damals auf die Idee gekommen, dass daran etwas schlecht sein könnte.

Ohne mit DDR-Vergleichen zu kommen – diese Änderungen waren tatsächlich zum Vorteil der geänderten. Gegenfrage: würdet Ihr heute anderen Menschen, die benachteiligt werden, nahelegen, sich zu verändern? Zu ihrem eigenen Vorteil, natürlich?

Es ist auch gar nichts Schlechtes daran, sich umzumontieren, was ja nichts anderes heißt, als sich zu verändern. Ich bin ein anderer als vor dreißig Jahren – Gott sei Dank.

Ja, weil DU Dich zu Deinem Vorteil verbessert hast. Verdienst mehr Geld. Hast mehr Ahnung von dem, was Du so machst. Wirst weniger ausgebeutet als früher…

…war ich zwar auch als zarter Teenager schon ziemlich woke, aber dass bestimmte Verhaltensweisen, auf die ich keine großen Gedanken verschwendete, andere verletzen könnten, habe ich wahrscheinlich erst nach und nach dazugelernt.

Als Teenager war ich hauptsächlich damit befasst, nicht verletzt zu werden. So ein bisschen fehlt ihm wohl die Voraussetzung, sich in mich hineinzuversetzen.

Mein Freund, der Falter-Chefredakteur Florian Klenk, hat unlängst in einem schönen Text beschrieben, wie ihn Freundinnen und Kolleginnen allmählich zum Feministen umwandelten

Wenn Arbeiter sich öfter die Zähne putzen, seltener krank werden und weniger Alkohol trinken, dient das in erster Linie ihnen selbst, obwohl auch die Fabrikbesitzer das gut finden. Wenn Freundinnen und Kolleginnen einen Mann zum Feministen umerziehen, dient das in erster Linie ihnen selbst, auch wenn der Mann das gut findet…

das nicht ohne innere Konflikte für ihn abging, weil er sich gelegentlich auch angegriffen gefühlt habe.

…was belegt, dass das zwei unterschiedliche Vorgänge sind, was die Motivation betrifft. Und das Ergebnis.

Selbstredend wird man nicht immerzu völlig nach seinen Werten leben, wir Menschen sind nicht fehlerfrei, ich nenne das selbstironisch meine „Woke-Life-Balance“.

Ok – wollt IHR Arbeiter zu Arbeitern erziehen, die sich selbst ermächtigen, oder zu Arbeitern, die linke Parteien wählen?

Auch der oft als Klischee bemühte „typische Stahlarbeiter“ ist heute im Allgemeinen feministischer als seine Vorgängergenerationen,

Weil man als Stahlarbeitersohn Stahlarbeiter wird, genau wie als Stahlarbeiterenkel und Stahlarbeiterurenkel. Kastensystem statt Klassenperforation!

allein schon deshalb, weil er nicht will, dass man seine Tochter so behandelt, wie man sie noch vor fünfzig Jahren behandelte.

Sondern dass auch SIE stahlarbeiten wird, wie ihr Vater und ihre Großväter und Urgroßväter. Statt Abi zu machen, studieren und ganz aus der Arbeiterschicht verschwinden… (Nebenbei, wie hat ihr Urgroßvater eigentlich ihre Großmutter behandelt?)

Skurril ist der Vorwurf der Rechten, weil ihnen gar nicht auffällt, dass auch sie selbst die Menschen ummontieren wollen.

Ja, manche Rechte wollen das. Manche sind mit den rassistischen, sexistischen, judenfeindlichen Arbeitern aber tatsächlich ganz zufrieden, weil sie selber welche sind.

Mit ihrer Propaganda gegen Geflüchtete etwa wollen sie den Leuten den Impuls austreiben, Menschen in Not zu helfen.

D’oh. Die Idee dahinter ist, dass Menschen diesen Impuls gar nicht haben, sondern ihnen nur durch christliches, humanistisches oder halt linkes Gutmenschentum eingeredet wird, aber ja.

Das Erziehungsprogramm der Rechten ist eine Einübung in Verrohung.

Zwischen „Verrohung“ und „Selbstaufgabe“ muss es doch eine goldene Mitte geben.

Neoliberale wollen das „unternehmerische Selbst“, Konservative den angepassten Bürger, Nazis den gnadenlosen Volksgenossen.

Der gnadenlose Volksgenosse soll sich natürlich trotzdem für den Endsieg opfern. Zählt trotzdem nicht als goldene Mitte. Keiner von denen will, dass sich „der Arbeiter“ zum eigenen Vorteil verbessert, und das wäre die Marktlücke der Linken. Aber dann hören die „Markt“ und denken: „Ihgitt, nein danke!“

Linke wollen die Geister für Solidarität und Kooperation wecken.

Soll ich mich mit meinem Arbeitgeber solidarisieren oder mit den Arbeitnehmern bei der Konkurrenz? Ok, mir ist klar, dass die das nicht so meinen, aber dieselben Feministinnen, die mir erzählen, dass das Patriarchat manchmal auch Männern schadet, ich aber trotzdem kein Opfer bin, wollen mir damit offenbar mitteilen, dass ich nicht mit ihrer Solidarität und Kooperation zu rechnen habe.

Kritikwürdig ist nur, wenn das auf arrogante, respektlose oder gar aggressive Art geschieht, da Menschen sich schwertun, selbst die vernünftigsten Ideen anzunehmen, wenn sie sich angegriffen fühlen.

Entweder, ich unterdrücke andere, dann müsst Ihr mich ja angreifen, oder ich werde unterdrückt, dann solltet Ihr mich nicht angreifen, oder ich bin weder Unterdrücker noch Unterdrückter, dann muss ich mich nicht ändern. Was soll es denn konkret sein?

Ein Gedanke zu “tazächliche Umerziehung

  1. Die Anführer der Sozialisten legten beispielsweise den männlichen Arbeitern nahe, ihren Wochenlohn nicht prompt am Samstagabend zu versaufen, sie ermahnten sie, ihre Frauen anständig zu behandeln, sie propagierten neue Partnerschaftsmodelle, sie hatten sogar die Frechheit, die Männer aufzufordern, sich gelegentlich um die Kinder zu kümmern, damit die Frauen auch in Parteiversammlungen gehen könnten.

    Dass sie den ausgebeuteten Arbeiter im System als Unterdrückung zeichnet, markiert die Entfremdung der Linken von sich selbst.

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