Tatsächlich mal ein ernsthaftes Problem

Bei Pinkstinks

§ 218 – MEIN KÖRPER, MEINE ENTSCHEIDUNG?

Mit Körpern ist es wie mit der Freiheit: Der Körper eines Menschen beginnt da, wo der Körper eines anderen endet. Standardmäßige serologische Tests lassen Körperzellen eindeutig einem menschlichen Individuum zuordnen.

Als Mitglied im bundesweiten Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung kämpft Pinkstinks für die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen und damit für die Streichung des § 218 StGB.

Die derzeitige Regelung halte ich für einen Kompromiss, und noch nicht einmal für einen „faulen“ Kompromiss, aber im Detail könnte ich mir andere Regelungen vorstellen, die ggfs. besser wären. Eine Streichung hieße, dass man Schwangerschaften bis zu einem Zeitpunkt durchführen dürfte, an dem das Kind auch außerhalb des Mutterleibes eine Überlebenschance hat (bzw. irgendwann ist das technisch gesehen ein Kaiserschnitt), und daher einen Anspruch auf lebensrettende Maßnahmen, also bspw. einen Brutkasten. Ich habe irgendwie nicht den Eindruck, dass die bei Pinkstinks sich das so ganz zu Ende überlegt haben.

Bei allen möglichen Themen rund um Körper ist mittlerweile klar, dass das niemanden etwas angeht. Tattoos, Piercings, Schönheits-OPs oder Organspendeausweis – dein Körper, deine Entscheidung. Fertig.

Gaaanz vorsichtig gefragt: also sind die gegen die Widerspruchslösung beim Organspendeausweis? Und was ist mit Drogen? Und was ist eigentlich damit, dass man keine ungesunde Lebensmittel mehr bewerben sollen darf? Es ist eindeutig nicht so, dass jeder Mensch jeden körperlichen Eingriff an sich vornehmen lassen darf. Abtreibungen sind nicht die einmalige Ausnahme.

Es gibt allerdings eine Entscheidung, die Frauen und gebärfähige Personen nicht frei treffen können: ob sie eine Schwangerschaft abbrechen. Wieso ist das so?

Weil das zu den Entscheidungen gehört, bei denen der Staat Regelungen entwickelt hat.

Moment, einen Schritt zurück. Es werden doch aber Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland durchgeführt. Dann ist das doch auch die freie Entscheidung der Betroffenen, oder nicht?

Es werden auch Amputationen durchgeführt, aber trotzdem sind Amputationen keine freie Entscheidung. Es werden auch Cannabis und andere suchterzeugende, giftige oder sonstwie semigesunde Substanzen verschrieben, ohne dass man frei darüber entscheiden darf, ob man die haben will. Beschwert sich auch niemand. Nagut, manche beschweren sich beim Cannabis schon, aber offenbar gibt es eine laaange Liste an Freiheitsbeschränkungen durch Gesetze, auch bezüglich körperlicher Eingriffe.

Um besser zu verstehen, warum wir bei diesem Thema nicht von freien Entscheidungen sprechen können, müssen wir uns unterschiedliche Punkte anschauen.

Es ist gesetzlich geregelt. Wie viele andere Dinge. Ob man die konkrete Regelung gut findet oder nicht, die Existenz einer Regelung an sich ist kein Skandal.

Der wichtigste Punkt, der den meisten Einfluss auf diese Entscheidung hat, ist die Rechtslage in Deutschland. Denn der § 218 StGB – also Strafgesetzbuch – legt fest, dass Schwangerschaftsabbrüche strafbar sind. Genau, richtig gelesen. Illegal.

Wie dumm halten die Ihre Leserschaft? Der Handel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten ist übrigens auch illegal, es sei denn, der Verkäufer ist eine zugelassene Apotheke und der Käufer hat ein Rezept, das seinerseots von einem zugelassenen Arzt ausgestellt wurde. Gleicherweise ist Autofahren auf der Straße auch verboten, es sei denn, man hat einen Führerschein und das Auto ist für den Straßenverkehr zugelassen…

Dieser Paragraf gilt seit 1871. ACHTZEHNHUNDERTEINUNDSIEBZIG.

Ok, das ist schon länger als die StrVO. Und? Die Wehrpflicht seit 1813/14. Süß ist es und ehrenhaft…

Die Strafe betrifft auch Ärzt*innen, die den Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Das ist schon mal kein so gutes Gefühl, sich für etwas zu entscheiden, was strafbar ist.

Wieso „auch“? Tatsächlich werden die härter bestraft. Die ehemals Schwangere würde nur mit maximal einem Jahr bestraft, und bei ihr ist der Versuch nicht strafbar. Nebenbei können sich Ärzte auch anderweitig strafbar machen…

Nur unter bestimmten Bedingungen bleibt ein Abbruch straffrei, das ist dann in § 218a geregelt. Dazu kommen wir gleich noch.

Wenn man jemanden das falsche Medikament verschreibt und die fragliche Person an einer Überdosis stirbt, ist das auch nicht schön. Nur mal so als Beispiel, warum man nicht unbedingt Arzt werden will.

Und wenn wir uns die weiteren Paragrafen anschauen, wird deutlich, wie viel Einfluss die Gesetzgebung auf die Entscheidung der (ungewollt) Schwangeren nimmt.

Oder auf Leute, die ein Kind adoptieren oder als Pflegekind wollen. Und wenn man das zuende denkt, was würden die sagen, wenn man (gewollt) Schwangeren verbieten würde, Alkohol zu trinken?

In § 219 geht es um die sogenannte „Schwangerschaftskonfliktberatung”, die alle Schwangeren in Anspruch nehmen müssen, wenn sie einen Abbruch vornehmen lassen wollen.

Stimmt so auch nicht – bei medizinischer Indikation (aka ärztliches Attest) und nach Vergewaltigung ist das nicht erforderlich. Niemand muss für andere Menschen, und wenn es das eigene Kind ist, ernste gesundheitliche Nachteile in Kauf nehmen (Also, jedenfalls in Friedensszeiten…), und niemand muss die Veranwortung für Verbrechen übernehmen, deren Opfer man wurde. Aber gut, da die allermeisten Abtreibungen in D. nicht aus diesen Gründen durchgeführt wurden, ist das eher ungenau als direkt falsch.

 „Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen […].”

Gewisse Parallelen zur Gewissensprüfung bei Wehrdienstverweigerern sehe ich durchaus, und meinetwegen könnte man den Teil direkt lassen. Vor allem, wenn das so eine Formalität geworden ist wie die Verweigerung. Stattdessen würde ich eine „Positivliste“ diskutieren, worin neben Vergewaltigung und Gesundheitsgefahr für die Mutter noch „Minderjährigkeit der Mutter“, „schwere Behinderung des Kindes“ (wo sich die Frage auftut, was „schwer“ ist), und evt. „schwere wirtschaftliche Probleme der Eltern/der Mutter“ (analoge Frage) hinzu kämen, meinetwegen noch differenziert nach der Frage, ob die Eltern verheiratet wären, und für alle anderen Fälle wird die Abtreibung beantragt. Und ich rede noch nicht einmal von Vaterrechten. Aber Pinkstinks will grundsätzlich nicht, dass sich Frauen oder sonstige gebärfähige Menschen für irgendwas rechtfertigen müssen, und sei es nur pro forma.

Es handelt sich um keine neutrale Beratung. Schwangere sollen per Gesetz dazu gebracht werden, die Schwangerschaft fortzusetzen. Freie Entscheidung, my ass.

Männer wurden per Gesetz dazu gebracht, Staat und Gesellschaft zu dienen. Freie Entscheidung, heult leise.

Es klingt auch ganz logisch, dass Betroffene drei Tage Zeit haben, um nach der Beratung über die Situation nachzudenken. Aber wenn wir genauer hinschauen, behindern die Bedingungen eine freie Entscheidung mehr, als dass sie nützen.

Jaha. Wenn jemand etwas will, und nur durch drei Tage nachdenken von diesem Willen abrückt, hat er oder sie in dem Falle entweder andere Argumente gefunden, oder der Wille war nicht besonders gefestigt. Beides beweist jetzt keine besonders harten Bandagen auf Seiten des Staates.

Zuerst einmal müssen Betroffene sehr schnell feststellen, dass sie schwanger sind. Ein erster Verdacht regt sich meist nach Ausbleiben der Periode. Bis dann ein Termin in einer gynäkologischen Praxis für eine Bestätigung der Schwangerschaft stattfindet, können noch einmal mehrere Tage vergehen.

Ja, wenn Gynäkologen so schnell wären wie Psychotherapeuten, hätten sich die meisten Schwangerschaftskonflikte oder -probleme schon vor dem ersten Termin gelöst, weil so eine Schwangerschaft irgendwann auch von alleine zu Ende geht. Mehrere Tage bei insgesamt 12 Wochen, von denen erst ein Drittel vorbei ist, und es gibt doch auch diese Tests, oder?

Wenn die Schwangerschaft bestätigt wurde und ein Fortführen nicht in Frage kommt, gilt es die nächsten Hürden zu nehmen.

Gibt es eine Vorschrift, die besagt, dass man erst zum Gynäkologen müsste, bevor man einen Schwangerschaftskonfliktberatungstermin vereinbaren darf? Und wie viel Vorlauf braucht so ein Konfliktberatungstermin? (Da steht nichts dazu, also vermute ich, dass das nicht allzu lang sein dürfte.)

Zwar ist im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt, dass ausreichend Beratungsstellen pro Bundesland vorhanden sein müssen, allerdings sind viele Stellen, die z. B. in der Google Suche auftauchen, nicht staatlich anerkannt.

Ok, DAS ist tatsächlich ein Problem, aber ein lösbares.

Sie wirken auf den ersten Blick seriös, werden dann aber von ProLife-Anhänger*innen (sogenannte Lebensschützer*innen) mit dem klaren Ziel betrieben, die Schwangeren zu einem Fortführen der Schwangerschaft zu überreden.

Der Staat wird mir sicher sagen können, welche Beratungsstellen anerkannt sind. So, wie ich erfahren habe, welche anerkannten Zivildienststellen es gibt.

Oft passiert das, indem Betroffenen ein schlechtes Gewissen eingeredet und sie mit ihrer „falschen” Entscheidung konfrontiert werden. So sollte nicht mit Menschen in einer Notsituation umgegangen werden.

Weil man mir persönlich kein schlechtes Gewissen bezüglich Wehrdienst und Zivildienst eingeredet hat, beziehungsweise auch der Versuch ausblieb, will ich mich nicht allzusehr darüber lustig machen. Aber nunja…

Parallel müssen Betroffene oft schon nach gynäkologischen Praxen suchen, in denen sie einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen können. 2022 gab es in ganz Deutschland allerdings nur noch 1100 Praxen.

Hier möchte ich einwenden, dass das „Werbeverbot“ meiner Meinung nach nicht auf die reine Information anwendbar ist, dass eine Praxis Abtreibungen anbietet. Wenn ein Bauunternehmen auf seiner Homepage angibt, auch Abbrüche von Häusern durchzuführen, ist das keine Werbung dafür, ein Haus abzubrechen.

Es gibt Gegenden in Deutschland, in denen ungewollt Schwangere bis zu 150 Kilometer weit fahren müssen, um in so einer Praxis behandelt werden zu können.

Das ist jetzt nicht sooo weit, dass es daran scheitert.

Nicht alle Betroffenen haben das Geld, die Zeit und das soziale Netz, um so weite Strecken zurücklegen zu können.

Die Kosten für eine Abtreibung liegen zwischen 350 und 700 €, sagt das Internet. Eine Reise über 150 km hin und zurück mit Bus und Bahn sollte typischerweise noch im zweistelligen Bereich liegen. Die Kosten einer Schwangerschaft liegen deutlich darüber.

Insgesamt kann sehr viel Zeit vergehen, vom ersten Verdacht einer Schwangerschaft bis zum Termin für einen Abbruch. Zeit, die ungewollt Schwangere oft nicht haben, weil sie innerhalb der 12-Wochen-Frist handeln müssen.

Wie viel ist „sehr viel“ Zeit? Zwei Wochen? Zwei Monate? Gibt es Fälle, wo eine Schwangere wegen Terminproblemen nicht abtreiben konnten? Gibt es Fälle nach Einführung der derzeitigen Regelung, in denen tatsächlich eine Frau wegen eines Schwangerschaftsabbruches angeklagt und verurteilt wurde?

Es entsteht ein unglaublich hoher psychischer Druck, der durch das Tabu und die Stigmatisierung noch erhöht wird.

Das ist der Grund, warum es die ärztliche Schweigepflicht gibt. Und das wäre möglicherweise ein Argument, selbst dann eine längere Strecke zur Frauenarztpraxis zur fahren, wenn es eine in der Nähe gibt. Wie groß das „Tabu“ oder die „Stigmatisierung“ genau ist, lässt sich nicht messen, aber diese wird nicht vom Staat verursacht.

Doch wieso nehmen immer weniger Ärtz*innen Abbrüche vor? Das hat gleich mehrere Gründe: Zum einen können ethische und religiöse Beweggründe dahinter stecken.

Das ist nicht die Schuld des Gesetzgebers. Schwangerschaft ist keine Krankheit, also ist man als Arzt nur dann ethisch verpflichtet, eine Abtreibung vorzunehmen, wenn es um die Gesundheit der Mutter geht.

Zum anderen werden Ärtz*innen immer wieder bedroht oder beschimpft.

Man kennt es ja. Wie die immer mit ihren Bonzenkarren und Golfausrüstungen rumprollen müssen.

 Und dass laut § 218 StGB auch Strafen drohen können, macht die Sache natürlich nicht leichter.

Wie gesagt, der Punkt ist abschließend geregelt.

Vor allem liegt es aber daran, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht zur Standardausbildung im Medizinstudium dazu gehören. Angehende Ärzt*innen bringen sich die Methoden in selbst organisierten Workshops bei.

Auch dies ist nicht die Schuld des Gesetzgebers. Aber da man das offenbar lernen kann und darf, wo ist as Problem?

Es ist in Deutschland möglich, Gynäkolog*in zu werden, ohne je die Methoden für Schwangerschaftsabbrüche gelernt zu haben. Bei ähnlich häufigen medizinischen Eingriffen undenkbar.

So häufig, wie Schwangerschaftsabbrüche aus medizinischen Gründen möglich werden, ist es schon denkbar. Aber gut, was hat die bei Pinkstinks davon abgehalten, Medizin zu studieren, sich auf Gynäkologie zu spezialisieren und DANN die Fortbildung zu machen?

Beim gesellschaftlichen Diskurs geht es vor allem um die Stigmatisierung, die schwangere Personen immer noch erfahren, wenn sie einen Abbruch vornehmen lassen möchten.

Manche Teile der Gesellschaft stigmatisieren das nicht. Vllt. sollte man sich iosen Teil der Gesellschaft auch besser aussuchen.

Erfahrungsberichte von Betroffenen zeigen, wie sehr Schwangerschaftsabbrüche immer noch tabuisiert werden.

Von allen Betroffenen? Von 50%? Gibt es Statistiken, oder ist das anekdotisches Wissen? Man weiset nicht.

Ärzt*innen, Berater*innen, Freund*innen und die Familie machen ungewollt Schwangeren oft unmissverständlich klar, wie falsch sie die Entscheidung finden

Ähh, nein. Die machen das Schwangeren wohl eher gewollt klar. Aber dasselbe passiert, wenn jemand  legalerweise Cannabis raucht, also irgendwas ist immer.

dass Schwangere nicht nur eine Verantwortung gegenüber dem Kind haben, sondern auch gegenüber der Gesellschaft.

Den Gesellschaftsteil kann sich das Umfeld meiner Meinung nach tatsächlich klemmen. Das ist dieselbe Argumentations, aus der Männer an die Front geschickt werden. Aber ja, für ein Kind hat man Verantwortung. Bzw., wenn es gibt Gründe, aus denen man diese Verantwortung nicht zu übernehmen braucht oder im Endeffekt nicht kann, aber die treffen nicht immer zu.

Als wenn sie nur diesen einen Lebenszweck hätten: Kinder gebären.

Bei den alten Azteken war das so: Männer sterben in der Schlacht, Frauen im Kindbett. Oder – bei beiden – sie starben als Opfer. Ansonsten kamen sie nicht in den Himmel.

Dabei wird aber auch schnell klar, dass das Interesse der Gesellschaft nur so weit reicht, bis das Kind geboren wurde.

Das Interesse „der“ Gesellschaft oder von Freunden und Familie?

Dann liegt die Verantwortung ganz schnell wieder bei den Privatpersonen und in der Familie.

Wieso „wieder“? Die Verantwortung liegt bei den Privatpersonen und der Familie. Also nicht ganz von ungefähr bei denen, die es mit Schuldgefühlen versuchen.

Und wenn es dort nicht gut läuft, wenn von Depressionen, Zweifel oder vielleicht sogar Reue die Rede ist, bleibt die Unterstützung aus dem Umfeld aus.

Ist das so? Oder ist das anekdotische Dingsbums? Oder gar – ausgedacht? Es gibt bestimmt auch Freunde und Verwandte, die zu einer Abtreibung raten, aber die Mutter unterstützen, wenn die sich anders entscheidet.

Aber wäre es nicht auch unsere gesellschaftliche und politische Verantwortung, die Versorgungslage für Eltern zu verbessern?

Die ist hierzulande nicht so schlecht, dass Mutter und Säugling verhungern müssten. Tatsächlich gibt es zahlreiche Möglichkeiten und Angebote, die dem geborenen Leben helfen, die Pinkstinks aber irgendwie nicht erwähnt.

Stellen zu schaffen, bei denen sich Unterstützung geholt werden kann?

Jugendamt? ASD? Und nötigenfalls Babyklappen?

Politische Maßnahmen zu treffen, die Eltern nicht zu Hause isolieren, sondern die soziale Netze fördern?

Wer oder was isoliert Eltern zu hause? Und inwieweit ist das so schlimm, dass man über eine Abtreibung nachdenken muss? Was jetzt nicht gegen mehr soziale Netze gerichtet ist, aber gegen die Größe des Problems.

Damit alle die gleichen Chancen haben, ihren Kindern ein liebevolles Zuhause zu bieten?

Oder zur Adoption freigeben? Ich weiß, dass das auch kritisiert wird, aber eine werdende Mutter, die ehrlicherweise keine Chance sieht, dass sie das Kind alleine großzieht, von „liebevoll“ ganz zu schweigen, handelt tatsächlich verantwortungsbewusst, wenn sie sich dazu entschließt.

Wie können wir als Gesellschaft für ein Gesetz argumentieren, dass Menschen ermuntern soll, Kinder auszutragen, nur um Eltern und Kinder nach der Geburt völlig allein zu lassen?

Also, „ich als Gesellschaft“ argumentiere, dass Eltern und Kinder nach der Geburt nicht gerade völlig allein gelassen werden. Die entsprechende Hilfe wird u.a. mit meinen Steuern bezahlt. Wenn pinkstinks jetzt sagt, dass das zu wenig sei, ok, meinetwegen kann man darüber reden.

Und wenn uns als Gesellschaft Werte wie Gleichberechtigung und Freiheit so wichtig sind, wie können wir dann dieses Gesetz tolerieren oder gutheißen, das sich über den Willen von ungewollt Schwangeren hinwegsetzt und Traumatisierung, Gewalt und Leid in Kauf nimmt?

Was ist eigentlich, wenn jemand eine Abtreibung vornehmen möchte, weil das Kind das „falsche“ Geschlecht hat? Und ich stelle die Frage absichtlich neutral, damit sie unabhängig davon beantwortet werden kann, welches Geschlecht das „richtige“ wäre. Sollte das erlaubt oder verboten sein?

Es scheint fast so, als würden vor allem Menschen für das Beibehalten des § 218 argumentieren, für die die Konsequenzen keine konkrete Bedeutung haben.

Naja, ungeborene Kinder haben halt keinen Internetzugang.

Insgesamt mischen sich zu viele Akteur*innen in die Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch ein.

Wenn Frau Wagenknecht über Kriegsverbrechen philosophiert, sagt Ihr ja auch keiner: „Das hat für Sie keine konkrete Bedeutung!“ Aber natürlich haben werdende Väter eine Meinung zu Abtreibungen, und es gibt viele Maskulisten, die durchaus für ein liberal(er)es Abtreibungsrecht sind, und Frauen, die dagegen sind. Das Gesetz, wo sich die Geschlechter spalten, ist nämlich die die Abtreibungsfrage, sondern das hier.

Der Staat, der immer noch irgendwie glaubt, einen Anspruch auf „seine” zukünftigen Bürger*innen zu haben.

Und zahlreiche Institutionen, Gesetze, Infrastrukturen und dergleichen unterhält, das Leben seiner gegenwärtigen Bürger zu erhalten. Vor allem die weiblichen und minderjährigen. Was sonst auch doch auch total toll gefunden wird. Das ist ein Schutz von ungeborenen Kindern doch logisch und konsequent.

Beratungsstellen, die nicht immer neutral beraten.

Das ist halt Teil des Kompromisses. Wie gesagt, mein Mitleid ist sehr begrenzt an der Stelle.

Und eine Gesellschaft, die die Selbstbestimmung von Schwangeren als nicht so wichtig erachtet.

Ursprünglich war der Wehrdienst 18 Monate, aka zwei Schwangerschaften lang. Fairerweise muss man auch sagen, dass früher Kinderkriegen und in den Krieg ziehen beides recht gefährlich war.

Gebärfähige Personen werden nur so lange als eigenständige, zu eigenen Entscheidungen fähige Menschen betrachtet, bis sie schwanger werden.

Wehrdiensttaugliche Personen werden nur so lange als eigenständige, zu eigenen Entscheidungen fähige Menschen betrachtet, bis sie eine Uniform anziehen.

Und das ist einfach menschenunwürdig.

Von den einen wird erwartet, das Leben Dritter mit ihrem eigenen Leib und Leben zu schützen, von den anderen wird erwartet, das Leben Dritter nur solange zu schützen, wie die eigenen Leib und Leben nicht in Gefahr geraten. Wer hat den besseren Deal? Und ja, die Wehrpflicht ist ausgesetzt, aber nicht abgeschafft.

Es geht niemanden etwas an, welche Entscheidungen wir in Bezug auf unsere Körper treffen. Wir müssen Schwangerschaftsabbrüche endlich als das betrachten, was sie sind: Dringend benötigte medizinische Grundversorgung. Und die gehört nicht ins Strafgesetzbuch.

Schwangerschaft ist keine Krankheit. Und es ist jetzt nicht die Schuld von Pinkstinks, dass die Medizin noch nicht so weit ist, aber wenn man Kinder schadlos aus der Gebärmutter entfernen und in einen künstlichen Uterus übertragen könnte, wäre das Problem ja gelöst. Für mich jedenfalls.

Es ist nicht der Verdienst von Feministinnen, dass die Wehrpflicht ausgesetzt wurde. Trotz ähnlicher und teilweise identischer Argumente wie in der Abtreibungsfrage war und ist ihnen das egal, oder sie argumentierten, dass Frauen zum Bund dürfen sollten. Statt müssen. Und es gibt mehr Möglichkeiten für Frauen, die Möglichkeit einer Schwangerschaft zu umgehen, als für Männer, nicht eingezogen zu werden. Und Totalverweigerer konnten mit bis zu fünf Jahren bestraft werden, statt nur einem. Wen hatte der Staat wohl mehr auf dem Kieker?

3 Gedanken zu “Tatsächlich mal ein ernsthaftes Problem

  1. Was mir im ursprünglichen Artikel fehlt ist eine Anmerkung zu den Rechten eines ungeborenen Kindes. Wird der §218 komplett gestrichen, ist eine Abtreibung bis zur Geburt straffrei möglich, selbst wenn das Kind außerhalb der Mutter schon lebensfähig wäre.
    Dann wäre aber ein Angriff auf die Mutter, bei der das ungeborene Kind getötet wird, auch „nur“ eine Körperverletzung.
    Von den nicht vorhandenen Rechten, aber sehr umfangreich vorhandenen Pflichten des Kindsvaters will ich gar nicht reden.
    Ich hab letztens mal eine Statistik gesehen, die ich leider nicht wieder finde. Es ging im Groben darum, wie sich Frauen nach dem Beratungsgespräch entscheiden und ob sie diese Entscheidung im Nachhinein bereuen.
    Soweit ich mich erinnere, war der Anteil der Frauen, die im Nachhinein die Abtreibung bereuten, signifikant. Der Anteil der Frauen, die sich nach dem Beratungsgespräch für die Geburt entschieden haben und das später bereuten, war quasi null.

    Like

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s