Nochmal kurz zu meinem Standpunkt: ich hätte lieber heute als morgen ein Kriegsende, ich bin aber nicht in der Position, einem anderen Land zu sagen, was es zu tun hat, und ich hielte es für doppelmoralig, einem anderen Land Waffen vorzuenthalten, die das eigene Land hat und benutzen würde, nur um dieses zu Verhandlungen zu bewegen. Die Existenz von Leopard-II-Panzern hielte Putin ja nicht davon ab, zu verhandeln.
Ich sehe aber trotzdem den Punkt, dass man ein Ende des Krieges notfalls auf Kosten der Ukraine will, weil man eine sehr pessimistische Zukunftsicht hat. Auch, wenn ich bei Wagenknecht nicht wirklich überzeugt bin, dass sie da völlig unvoreingenommen ist. Außerdem hat sie wohl tatsächlich Erfahrungen mit Wehrpflicht gemacht – nicht gerade die besten – und ist tatsächlich von der DDR sanktioniert worden, weshalb ich mich nicht darüber lustig machen will. Die Argumentation ist trotzdem Müll. Zitat von Übermedien:
Klamroth fragte Wagenknecht hinterher, ob sie wirklich meine, ukrainische Frauen sollten dauerhaft unter russischer Besatzung leben müssen. Wagenknecht antwortete:
„Kriege sind immer mit Kriegsverbrechen verbunden. Die UN-Menschenrechtskommissarin hat immer wieder darauf hingewiesen, auch in diesem Krieg, Kriegsverbrechen werden von beiden Seiten begangen.“
Wie bei Übermedien aufgedröselt wird, die Aussage von Wagenknecht bezieht sich nicht explizit oder ausschließlich auf Vergewaltigungen, und die Frage richtet sich auf einen möglichen Zustand nach dem Krieg, in dem russische Soldaten die Ukraine besetzt halten, weshalb Wagenknecht der eigentlichen Frage ausgewichen ist. Und der Faktencheck war nicht ganz richtig, und der Faktenchek-Check auch nicht, aber die Proportionen sind völlig andere, und woher die Annahme kommen sollte, dass nach einer Kapitulation die Verbrechen der Eroberer zurückgehen würden (und nicht etwa mehr werden), sei mal dahingestellt.
Aber um die ganzen Fakten-Checks und Lügen-Checks und Annahmen mal außen vor zu lassen – wenn Wagenknecht der Ansicht wäre, dass die russischen Kriegsverbrechen nach einem „Kriegsende“ nicht als Nicht-Kriegsverbrechen weitergeführt würden, könnte sie das ja sagen. Oder dass ein Ende mit Schrecken besser sei als Schrecken ohne Ende. Aber nein, beide Seiten sind böse. Und zwar gleich böse, sonst funktioniert das Argument nicht. (Die Ukraine ist kein demokratisches Musterland, und Russland hat gewisse Anlässe zum Misstrauen, aber vom Kriterium der Verhältnismäßigkeit hat sich Russland ins Unrecht gesetzt.)
Die Formulierung zu Ende gedacht, hieße das, dass Russen, die Ukrainerinnen vergewaltigen, keine bewaffnete Gegenwehr rechtfertigten, weil es auch Ukrainer gibt, die Ukrainerinnen vergewaltigen. Es gibt Teile der Ukraine, die von Russland kontrolliert werden, und Teile, die von der Ukraine kontrolliert werden, aber keine Teile von Russland, die von der Ukraine kontrolliert werden; die Wahrscheinlichkeit, dass russische Zivilistinnen von ukrainischen Soldaten vergewaltigt oder auch nur belästigt werden, ist eher vernachlässigbar.
„Sie laufen mit Ihrer Freundin durch einen dunklen Park. Eine Gruppe von Männern lauert Ihnen auf, um Ihre Freundin zu vergewaltigen. Zufällig haben Sie eine Waffe dabei. Was tun Sie?“ – „Kriegsverbrechen werden von beiden Seiten begangen, also mache ich gar nichts, um so das Ende des Konfliktes zu beschleunigen.“ Oh, diese brilliante, messerscharfe Analyse – warum ist kein Wehrdienstverweigerer schon vorher darauf gekommen?
Es ist nicht meine Schuld, dass man in der DDR den Wehrdienst nicht verweigern konnte und Sahra Wagenknecht hierhin musste. Und ich finde es gut, dass die Diskussion um solche Themen vom stumpfen Entweder-oder weggekommen ist. Aber dann passiert sowas, und eine gewisse weltfremde Hochnäsigkeit geht von Wagenknecht dann ja doch aus.