Schön wär’s

…aber das passiert nicht.

Cancel-Culture und Wokeness: Gefangen im Debattenkreislauf

Jaaa, viele Debatten werden von allen Beteiligten nicht geführt, um eine Einigung zu erzielen, und kommen daher zu keinem Ergebnis. Insofern macht es aber auch wenig Unterschied, ob man die Begriffe „Cancel-Culture“ und „Wokeness“ durch etwas anderes ersetzt…

Die Warnungen vor „Cancel-Culture“ werden wohl auch im neuen Jahr nicht abreißen. Ein Blick hinter diese Neuauflage des Political-Correctness-Diskurses könnte die Debatten verbessern

Die Anlässe hören ja auch nicht auf. Aber, was hier gekonnt ignoriert wird, die Leute, die vor Cancel-Culture „warnen“, lesen eher selten die Standard, demzufolge denkt man sich am Ende: „So könnte ich also die Debatte verbessern, wenn ich auf der anderen Seite stünde. Aber da ich auf der richtigen Seite stehe, muss ich mich gar nicht ändern.“

Gregor Bloéb ließ kürzlich wohl so manche „Wokeness“-Geplagte aufatmen. Der Schauspieler hat als neuer Intendant der Tiroler Volksschauspiele in Telfs angekündigt, einen „blasenfreien Raum für alle“ zu schaffen.

Erstens, er hat die blasenbezogenen Witze über seinen Namen satt. Zweitens, in TeLfs, nicht in TeRfs. Drittens, Tirol, einfach nur: Tirol. Viertens sind solche Blasen mehr online als offline ein Problem (oder eine Lösung), da man sich online seinen Umgang besser aussuchen kann. Allerdings meint er…

…die Kunst bediene eben nur „die eigene Blase“. Stattdessen müsse sie wieder „dem Volk“ gehören…

„Das“ Volk besteht aber aus einer Reihe von Blasen oder Interessengruppen. Kunst, die allen gleich gefällt, kommt mir enorm schwierig vor.

Wer ihnen die Kunst weggenommen hat, darüber ließ der Tiroler keine Zweifel aufkommen.

Die Künstler. Ganz bestimmt die Künstler.

Es sei die „aktivistische Woke-Bewegung“, die gar faschistoid sei. Sein Gegenprogramm: ein Theater der „Naturinstinkte“, ein „blasenfreier Raum“.

Als Mitglied der Tolkien-Fan-Blase bin ich ehrlicherweise der Ansicht, dass nur Mitglieder der Tolkien-Fan-Blase eine einwandfreiearme Tolkienadaption hinbekommen. „Blasenfrei“ ist Marketing-Bla. Aber ja, faschistoide Anti-Wokisten gegen faschistoide Pro-Woker – Battle des Jahrtausends! Allermindestens!

Und doch wissen nahezu alle, was gemeint ist: Die Debatte über limitierende Diskurse, in denen neuerdings eine arge moralische Diktion vorherrschen soll.

„Neuerdings“ ist falsch. Aber ja, dass Linke limitierende Diskurse pflegen, liegt daran, dass Linke ziemlich moralinsaure Spießer sein können und offenbar auch sein wollen. Und was machen moralinsaure Spießer? Sie beurteilen Kunst und Kultur (also Theater, Bücher, Filme, Computerspiele und dergleichen mehr) ausschließlich danach, ob diese die gewünschte Moral pädagogisch geschickt verbreitet. (Also genau dasselbe wie die rechten moralinsauren Spießer, nur der Inhalt der Moral ist im Detail ein anderer.)

Ein autoritäres Verräumen von Begriffen, obwohl sie uns so schön in Nostalgie hüllen.

Ob sie uns in Nostalgie hüllen, sei mal dahingestellt, das Problem ist das autoritäre daran. Niemand ist gezwungen, Karl May zu lesen, bzw. darauf beruhende Fan-Fiction. Zu sagen, dass es böse ist, solche Literatur zu lesen, ist autoritär. Und ja, das ist unterm Strich die Aussage.

So litten 2022 offenbar viele an der Kritik an Karl Mays Winnetou. Eine Verkitschung des Kolonialismus lautete diese angesichts einer geplanten Neuauflage der alten Plots.

Es war keine Neuauflage ein sogenanntes Prequel: Winnetous Abenteuer als Kind. Und jaaa, das kann man kritisch sehen, wegen „unhistorisch“, und weil Prequels allermeistens Mist sind, und dergleichen Gründe mehr, aber das Buch zum Film wurde nicht veröffentlicht, um moralbezüglichen Beschwerden zu entkommen. Ob das Buch – das bis dahin niemand in der Öffentlichkeit gelesen hat – kindgerecht, literarisch gut oder meinetwegen auch historisch akzeptabel war, war nämlich gar nicht das Argument. Das Argument war, dass Weiße, die in dem Fall eindeutig nicht die Absicht hatten, amerikanische Ureinwohner als brutale Wilde darzustellen, ein Buch über Indianer schrieben, UND die Kolonialverbrechen nicht so schlimm darstellten, wie sie waren. (Wegen Jugendschutz? Bestimmt wegen Jugendschutz.) Das ist halt das autoritäre Argument des moralingesättigten Spießertums.

Ebenso Ärger gab es über die Einladung des Hip-Hop-Musikers Yung Hurn zur Eröffnung der Wiener Festwochen im vergangenen Sommer.

Dieser Kelch ist komplett an mir vorbeigegangen. Aber hey, bei judenfeindlichen Darstellung auf einer deutschen Kunstausstellung gab es nicht nur keine Cancel-Culture, sondern die Verantwortlichen stellten sich extrem dumm zu Frage, warum gewisse Bilder, wenn man sie schon aus Gründen der Dokumentation zeigt, vllt. nicht ganz nach vorne gehören.

Jedenfalls ist der Tiroler Neo-Intendant nicht allein mit seinem Unbehagen.

Geil! Matrix kommt auf die Bühne!

Wahrscheinlich wieder ohne Erkenntnisgewinn. Was passiert da eigentlich?

Was hat die wohl an „ohne Erkenntnisgewinn“ nicht verstanden? Wenn man wüsste, was da passiert, hätte man doch eine Erkenntnis gewonnen. *augenroll

Keine kritischen Diskussionen, keine Herausforderung der eigenen Position – ein Zustand, der zuletzt immer öfter auch im analogen Raum identifiziert wurde.

Das stimmt so halt nicht – keine Seite akzeptiert die Argumente der anderen Seite. Aber in der Konsequenz kommt es wohl aufs selbe heraus.

Blasenmäßig scheint auch „Wokeness“ zu sein, das sich auf ein Weltbild der moralischen Überlegenheit limitiere und infolgedessen alles „canceln“ würde, was dem nicht entspricht.

Fairnisshalber muss ich sagen, dass „Wokeness“ eigentlich mehr als das ist bzw. sein kann. Man kann sicher einen Roman über Apatschen schreiben, der historisch korrekt ist, die Probleme der Kolonialzeit thematisiert UND ein spannendes, schönes Buch ist. Und zwar auch, ohne ein Apatsche zu sein. Man muss auch keine Noldo-Elbin sein, um ein gutes Drehbuch über Nerwens Jugendjahrhunderte zu schreiben.

Woke und Cancel-Culture landeten jedenfalls mit großem Karacho in den Diskursen des letzten Jahres. Doch konnte anhand dieses neuen Begriffsinstrumentariums irgendwas geklärt werden?

Wie gesagt, „moralinsaures Spießertum“ ist mMn tatsächlich der bessere Begriff.

Der Literaturwissenschafter Adrian Daub sieht im Diskurs über Cancel-Culture klar die Neuauflage der Political Correctness.

Oder die Killerspiel-Debatte. Man verknüpft eine Sache, die definitiv schlecht ist – wie Amokläufe oder Rassismus – mit einer anderen Sache, die man definitiv nicht leiden kann – wie Killerspiele oder Karl May – und fertig ist das Argument. Und, damit das klar ist, man ist niemals nur gegen das Kunstwerk oder den Künstler, sondern immer auch gegen die Fans(m/w/d) des Werkes.

Unter diesem Label wurden unzählige Artikel darüber geschrieben, wie eine neue kulturelle Hegemonie den Menschen diktieren würde, wie sie über Minderheiten und Genderhemen zu sprechen und zu schreiben hätten.

Wenn sagen wir Diht an-Nuur, der Hassprediger der deutschen Kommedih, einen an sich recht harmlosen Witz über sagen wir Greta Thunberg macht, ist der Widerspruch nicht der, dass der völlig übertrieb, oder hart unter die Gürtellinie zielte, oder generell „geschmacklos“ war (was letzteres ja auch so ein Füllwort ist), sondern der, dass man über eine Jugendliche keine Witze machen dürfte. Weil sie dieses „unten“ sei, wohin man nicht treten dürfe. Also wurde nicht einmal das wie kritisiert, sondern direkt das ob.

Im Oktober 1990 schrieb der Journalist Richard Bernstein für die New York Times über die „wachsende Hegemonie der politischen Korrektheit“, die in den Unis Einzug halte und sich in Intoleranz und einem linken Konformitätsdruck äußere.

Was – ich wiederhole mich – als rechter Konformitätsdruck genauso schlimm wäre. Bzw. war, weil es solche Phasen ja auch schon gab.

Es entstanden Angebote zu Critical Race Studies oder Gender-Theorien. Und queere und nichtweiße Menschen übten hörbarer Kritik am Literatur- oder Wissenschaftskanon, wenn auch längst nicht in dem Ausmaß, wie Medienberichte schon damals behaupteten.

Bei Literatur, also jetzt explizit als Roman-Kanon, wäre ich tatsächlich der Ansicht, dass es keinen Kanon geben sollte. Bei Physik oder Medizin hingegen sind manche Themen wichtiger oder grundlegender als andere. Welches Ausmaß an Kritik wäre da gerechtfertigt?

Bereits 1984 etwa im US-Bundesstaat Illinois eine Initiative, die Harper Lees Wer die Nachtigall stört wegen der Verwendung des N-Worts nicht mehr im Lehrplan sehen wollte. Es blieb beim Versuch.

Welches N-Wort jetzt? Das, das sich auf Fliesenleger reimt, oder das auf Trigger? Und was war die genaue Begründung? „Ich will das Wort nicht lesen“, oder „Ich will nicht, dass andere das Wort lesen“? Und natürlich kann der nächste Versuch Erfolg haben.

„Eine Schnapsidee? Vielleicht. Aber jedenfalls keine neue“, schreibt Adrian Daub über derartige Initiativen in seinem kürzlich erschienenen Buch Cancel Culture Transfer. Wie eine moralische Panik die Welt erfasst.

Gibt es auch unmoralische Panik? Und wessen Panik ist jetzt gemeint? Die, die gegen Bücher aus moralischen Gründen sind, oder die, die gegen das Canceln von Büchern aus moralischen Gründen sind? Denn das ist wohl das, was mit „Canceln“ gemeint ist.

Die Kontinuität dieser Debatte passt so gar nicht zu dem, was Daub mit der Verbreitung einer „moralischen Panik“ beschreibt.

Ahh! Dann ist der Begriff „moralische Panik“ also falsch. Wer hätte das gedacht.

Panik ist eine Reaktion auf eine unmittelbare reale oder angenommene Gefahr.

Panik ist insbesondere keine bewusste Entscheidung. Ich kann der Ansicht sein, dass „Wer die Nachtigall stört“ kein gutes, interessantes oder sonst wie relevantes Buch ist, aber dass man als Student Bücher zu lesen hat, die man sonst nie anfasst, weil das den Charakter formt.

Würden wir also weiter von Political Correctness sprechen, müsste langsam deutlich werden, dass so unmittelbar und groß die Gefahr wohl nicht sein kann:

Die Tatsache, dass Corona nicht so schlimm wurde wie befürchtet, liegt daran, dass man etwas gegen die Gefahr getan hat. Aber das ist nur das halbe Argument.

Bis heute lenken keine linksgeneigten, queer-feministischen und antirassistischen Kräfte die Geschicke der USA und Europas.

Die Ampel ist also nicht linksgeneigt, queer-feministisch oder antirassistisch? Sondern? Nebenbei, das ist ja nicht die tatsächliche oder eingebildete Gefahr, sondern dass Bücher, Filme und dergleichen genau dann das Licht der Öffentlichkeit erblicken sollen, wenn sie pädagogischerweise die richtige Moral vermitteln. Und, bei Büchern über Apatschen, von Apatschen geschrieben wurden.

… dass eine neue urbane Elite auf Arbeiterinnen und Arbeiter vergessen würde. Nach diesem Narrativ hätten sie ihre Probleme nicht wegen …[langer Liste von Gründen, sondern] … weil sie wegen queerer, nichtweißer Menschen oder Frauen- und Minderheitenrechten beiseitegeschoben werden würden.

Die natürlich keine Arbeiterinnen oder -beiter sind, weil. Ja, dass da ein falscher Gegensatz erzeugt wird, ist sicher richtig, aber die Gegner von Winnetou, Pippi Langstrumpf und dergleichen geben sich auch nicht gerade Mühe, diesen – doch nur konstruierten Gegensatz – zu überwinden. Der weiße, männliche, alte Arbeiter ist ein Fan von „Kleiner Häuptling Winnetou“ und gehört ja sowieso zur selben Gruppe wie der weiße, männliche, alte Großbürger, also warum also auch nur so tun, als wolle man Solidarität heucheln?

Bis heute sind Anekdoten über verjagte Professoren, weil sie mal was Falsches gesagt hätten

„The human stain“? Darin geht es mWn genau darum.

die Verbannungen von Shakespeare und Kant von Leselisten ein zentraler Anker für die Erzählung einer Bedrohung von Meinungsfreiheit und liberalen Werten.

Naja, eigentlich ist das die Stelle mit „Dann lies es halt nicht!“. Aber das Argument ist, dass man Leute, die ernsthaft etwas canceln wollen – also bspw. Shakespeare oder Kant – ja nicht zu kritisieren braucht, weil die damit scheitern. Aber sie scheitern, weil sie kritisiert werden.

… in den USA seit Aufkommen der #MeToo-Bewegung 2017 Männer nicht mehr allein mit einer Frau im Aufzug fahren – denn die Frau könnte den Mann ja des Missbrauchs beschuldigen …

Wenn ich die Straßenseite wechseln soll, um Frauen keine Angst zu machen, ist es konsequent, auch nicht denselben Aufzug zu benutzen.

Angesichts der anhaltenden sexualisierten Gewalt gegen Frauen sind das zynische Anekdoten.

Wie sie hier? Oder die hier? Allzeit beachte: „Niemand wird Dir glauben!“ Außer, Du bist ein sehr berühmter Mensch mit sehr viel Geld, oder die Frau gibt es zu.

Shakespeare und einem vorwiegend weißen Literaturkanon geht es an den Theatern auch bestens

Ach, das Ozonloch wird auch immer kleiner. WEIL etwas dagegen getan wurde.

Und Kant, dem kleinen Rassisten, an den Philosophie-Instituten sowieso.

Hatte der seinen Freiheitsbegriff auch mit Hilfe seines Ex-Sklaven verteidigt? Erinnert Euch an Alamo! Immerhin, aus analogen Gründen wird die hier auch gecanc nicht sehr oft gesehen.

Dass Leselisten an Universitäten nicht ewig gleich bleiben, ist eigentlich normal.

Was jetzt tatsächlich auch auf das Fach ankommt. Dass jemand bspw. in tausend Jahren Altgriechisch studiert, OHNE Ilias und Odyssee zu lesen, käme mir extrem seltsam vor, weil das heute so ist, und vor 1.000 Jahren so war und vor 2.000 auch. Vor 3.000 Jahren wiederum war Altgriechisch noch nicht erfunden, und die beschriebenen Vorgänge fanden gerade erst statt. Also, die wahren Begebenheiten davon.

Das wird aber als die absolute Einschränkung der Meinungsfreiheit hochstilisiert, während ignoriert wird, dass in US-Schulen tatsächlich Bücher per Gesetz verboten werden, weil sie queere Lebensrealitäten zeigen oder in die verhasste Kategorie „Critical Race Theory“ eingeordnet werden.

Ich ignoriere das nicht. Offenbar ist die Meinungsfreiheit in den USA also nicht so toll wie gedacht oder wünschenswert. Dass beide Seiten mit ihren Canceleien nicht so erfolgreich sind, wie die sich das wünschen, ist ja ein Trost, aber die Denke gibt es ja, und das ist das Problem, weil irgendwann eine Streitpartei gewinnen könnte.

Aber es ist kein Beleg dafür, dass sich die Machtverhältnisse gerade umkehren. In den USA werden überdurchschnittlich viele schwarze Menschen inhaftiert, sie sind ärmer, von Polizeigewalt bedroht, die sie oft das Leben kostet.

Dass sich „Machtverhältnisse“ ändern würden, hat auch keiner behauptet. Oder ja, irgendwer bestimmt, aber Polizeigewalt ist nicht dadurch bekämpfbar, dass im Philosophieseminar weniger Kant gelesen wird.

Und noch einen zentralen Mechanismus hat die Rede von Cancel-Culture respektive Political Correctness: Sie erlaubt es, auf Kritik einfach nicht zu reagieren.

Kann ja sein, aber gerade Trump ist dafür kein guter Beleg – DER ist so kritikresistent, dass es darauf nicht ankommt. Und ich kann Karl May tatsächlich auch so verteidigen. Insofern… Keks.

Bei der Kritik an Yung Hurns Auftritt bei der Festspieleröffnung war die vorrangige Reaktion nicht argumentativer Natur, sondern: Das ist Cancel-Culture.

Bei der Kritik an Amber Heard war die vorrangige Raktion nicht argumentativer Natur – ihre Aussage wäre schlüssiger, ihre Geschichte stimmiger, es gäbe insgesamt mehr Zeugen und Beweise für ihre Version – sondern: Das ist misogyn.

Ähnlich war es bei der Kritik an Lisa Eckart und ihren als antisemitisch wahrgenommenen Aussagen in einem ihrer Programme.

Nunja, ein Gegenbeispiel gibt es hier. Aber eigentlich, wenn die Argumentation gegen Eckhart sauber ist und nicht auf „jemand könnte sich in seinen antisemitischen Vorurteilen bestätigt sehen, und deshalb ist es nebensächlich, ob Eckhart selbst antisemitisch ist“, wäre der Cancel-Culture-Vorwurf weniger wirkungsvoll.

Dabei wäre es doch interessant zu erfahren, wo Eckart in manchen ihrer Witze nun genau den Unterschied zu dem noch immer weit verbreiteten Antisemitismus sieht.

Erstens – ich glaube Euch nicht, dass Euch das interessiert. Zweitens – Eckhart würde möglicherweise sagen, dass sie nicht an diese Witze glaubt, wohingegen Antisemiten diese Witze als Wirklichkeit wahrnehmen. Drittens – wenn sie sich nicht als Antisemitin definiert, ist das ja nichts anderes, als wenn sich jemand nicht als Mann definiert.

Oder wie Ironie jetzt tatsächlich im Zusammenhang mit Sexismus funktioniert.

Ohh, wie könnte Ironie nur im Zusammenhang mit Sexismus funktionieren? Keine Ahnung, ich bin ein Mann, und kann dazu keine Aussage machen. Auch wenn ich davon betroffen werde, mir fehlt einfach die Hirnwindung.

Die Frage ist, ob Kritik – auch wenn sie massiv ist – Gesprächsverweigerung ist.

Manche ja.

Oder ist es die Empörung über Cancel-Culture, wenn sie jede Kritik übertönt?

Das ist ja auch Kritik, also auch hier: manche ja.

Von dieser fühlen sich im Übrigen oft die betroffen, die zahllose Bücher verkaufen, massig TV-Auftritte haben und gerade mit diesem neu errungenen Opferstatus der Gecancelten noch mehr Aufmerksamkeit generieren.

Selber schuld: wenn man nicht will, dass Lisa Eckhart mehr Auftritte hat, sollte man sie eben nicht zu canceln versuchen.

Kürzlich erzählte die Autorin und Moderatorin Jagoda Marinić, weshalb sie keine Lust mehr habe, sich zu den „Woken“ zu zählen.

Weil sie eine den Woken intellektuell überlegene Frau ist, die nicht mit jedem Quatsch assoziiert werden will? Nur so eine Theorie.

Sie kam zu spät zu einem Termin und bat mit dem Satz „Entschuldigt bitte, mein Zeitgefühl ist eher mediterran“ um Nachsicht.

Autsch. Man stelle sich vor, sie käme zu spät zu einem Termin, und jemand dort meinte – sei es ironisch oder ernsthaft – dass das an ihrem mediterranen Zeitgefühl läge. Welche Reaktion würdet IHR, liebe Leserschaft, von, sagen wir, Frau Hausbichler erwarten?

Daraufhin wies sie ein weißer Deutscher zurecht:

Sie ist btw selbst weiß. Aber es ist anscheinend ein Mann.

„Wieso Mittelmeer? Du kommst aus Schwaben! Es ist rassistisch, deine Herkunft auf die deiner Eltern festzulegen.“

Ich kann jetzt, ehrlich gesagt, nicht erkennen, wie ironisch das ist. Vllt. will sich der Mann darüber lustig machen, dass sie sich sonst genau SOLCHE Sprüche vermutlich SEHR verbitten würde. Vllt. will er betonen, dass er selbst nicht rassistisch ist. Vllt. geht es ihm darum, dass er dergleichen so oder so nicht lustig findet. Vllt. ist will er ihr zu verstehen geben, dass sie nicht gut integriert ist mit ihrer Unpünktlichkeit. Oder, dass es einfach keine Entschuldigung gibt für die, die zu spät kommen. Und Schwaben liegt in dem Teil von Alemanya, in dem tatsächlich Alemannen leben, also der deutscheste aller deutschen Landesteile (wenn man die fremdartige Mundarten geflissentlich ignoriert, jedenfalls). Oder, er dachte, das sei ein Schitttest, und sie wollte Widerspruch hören. Männer ey, man weiß einfach nicht, was die denken.

Marinić, deren Familie aus Dalmatien kommt, stellte fest: Der Mann meint, ihr erklären zu müssen, woher sie zu kommen habe und wann sie selbst zu sich rassistisch ist.

Ach? Wenn es ihr zugute kommt, identifiziert sie sich als Deutsche. Oder als Dalmatin*, wenn ihr DAS zugute kommt. Bzw., sie argumentiert mit Genen oder mit Sozialisation, wie es ihr besser passt, und merkt erst jetzt, dass das nicht gut ankommt?

Nervig.

Tja. Aber vermutlich ist Ihr jetzt klar geworden, dass die Woken überwiegend humorbefreite Spaßbremsen sind, die jeden Witz mit spießigem Moralismus vernichten, und mit denen man nicht freiwillig in dieselbe Schublade gesteckt werden will. Immerhin ist sie eine ihnen intellektuell überlegene Person.

Klugscheißer gab es auch schon immer.

Wir bevorzugen die Formulierung: „Intellektuell überlegenes Individuum“

*Kroatien – Kroatin, also Dalmatien – Dalmatin. kA. Sprache ist ein Haufen unlogischer Sonderregeln.

Ein Gedanke zu “Schön wär’s

  1. Sie: „Entschuldigt bitte, mein Zeitgefühl ist eher mediterran.“

    Er: „Wieso Mittelmeer? Du kommst aus Schwaben! Es ist rassistisch, deine Herkunft auf die deiner Eltern festzulegen.“

    Sie: „Du hast soeben meine Fallenkarte aktiviert. Ich spiele: MANSPLAINING! Meine Fallenkarte „Mansplaining“ deaktiviert Deinen Angriff Deines „Rassismus!“. Und nun spiele ich „Sexismus“ im Verteidigungsmodus und beende meinen Zug.“

    Er: Was?
    Sie: Was?

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