Heldentum

Gemäß Böllstiftung.

Wir brauchen keine Helden

„Wir“ mal wieder. Wie man möglicherweise merken konnte, bin ich kein Fan der Phrase „Das Patriarchat schadet manchmal auch Männern!“. Erstens, weil ich einerseits einen gewissen inneren Widerspruch darin sehe, dass Feminismen aller Art in Anspruch nehmen, Männer von der Last ihrer Rollenbilder befreien zu wollen, aber gleichzeitig an den „Weißen Ritter“ appellieren, der Frauenrechte durchsetzen soll und Fraueninteresse wahrnehmen, der Frauen beschützt und andere, böse Männer zu guten Männern erzieht, und zweitens, weil das eine Sackgasse ist. Wenn man nicht erkennt, oder wenn doch, es nicht zugibt, dass eine Menge Rollenerwartungen an Männer nicht einfach „Männern schaden“, sondern ganz offensichtlich dazu entwickelt wurden, Frauen zu nutzen – wie der „Weiße Ritter“ eben – dann kommt man an einigen Stellen mit Gleichberechtigung und Emanzipation einfach nicht weiter.

Die ganze, berechtigte Diskussion um den Ukrainekrieg – sollte man der Ukraine helfen oder sie zu ihrer Kapitulation überreden, reichen Embargos oder Waffen (wenn vorhanden), sollte/würde/wollte man, notwendigenfalls (was immer notwendigenfalls ist) selbst in den Krieg ziehen – klemmt an der Stelle, an der man sich nicht festlegen will, wer denn in den Krieg zieht. Und mit „man“ meine ich z.B. Thomas Gersterkamp.

Politiker fordern die Rückkehr zur Wehrpflicht, Feuilletonisten machen sich lustig über angeblich zu weiche Männer: Der Ukraine-Krieg reaktiviert traditionelle Rollenstereotype

Was daran liegt, dass die männlichen Rollenerwartungen eben praktisch alle aus „Risikobereitschaft“ bestehen, und das wiederum liegt daran, dass Frauen keine anderen Risiken eingehen sollen als Schwangerschaften, so das der Rest eben bei Männern bleibt, und von allen möglichen Risikoquellen hat der technische Fortschritt seit der Steinzeit nur den Krieg irgendwie nicht irgendwie harmloser gemacht.

“Pesto schützt nicht vor Pistolen”, unter dieser provokativen Überschrift fordert der Münchner Autor Tobias Haberl im Spiegel mehr “Männlichkeit in Zeiten des Krieges”.

Ich hörte davon. Von der Logik her, wenn Männer zu verweichlicht sind, dann müssten Frauen doch verhärtet sein – dann gleicht sich das doch aus.

Essayisten monieren dort seit dem russischen Angriff auf die Ukraine die mangelnde “Wehrhaftigkeit” des deutschen Mannes. Dieser sei verweichlicht, beschäftige sich zu viel mit Kochrezepten und väterlichen Gefühlen, statt die althergebrachte Rolle des Beschützers einzunehmen.

Weil „Beschützen“ kein väterliches Gefühl ist? Ach, egal, ein Stück weit ist das der Backslash gegen Verächtlichmachungen wie „toxische Männlichkeit“. Nun, wenn „wir“ doch Rollenklischees und so aufbrechen wollen, warum schicken „wir“ keine Frauen ins Feld? Wenn Männer immer privilegiert waren, wie kann einer der männerlastigsten Berufe der Weltgeschichte, der Soldat, kein Privileg sein? Wieso melden sich so wenige Feministinnen freiwillig? Weil das Patriarchat eben auch Frauen nutzt: es schützt sie davor, in den Krieg geschickt zu werden. Ob der Mann zu weich dafür ist oder nicht, ist sonst doch auch egal.

Durch militärischen Drill geprägtes Mannsein hatte in Deutschland nach Faschismus und verlorenem Weltkrieg für lange Zeit ein extrem schlechtes Image – ein wichtiger Unterschied etwa zu den USA und erst recht zu Israel, wo archaische Elemente von Maskulinität ungebrochen hoch angesehen sind.

Ja, Juden und Cowboys, ey! Was? Aber hey, offenbar bin ich als wehrdienstverweigernder Deutscher tatsächlich nicht maskulin genug. Jedenfalls habe ich das nicht gemacht, um bei Frauen zu punkten, und bei Essayisten erst recht nicht. Sonst wäre ich jetzt mal richtig frustriert.

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, wegen der Erfahrungen mit dem Nazi-Regime in der Bundesrepublik gesetzlich verankert, nahmen die Söhne und Enkel der Wehrmachtsangehörigen massenhaft in Anspruch.

Ich habe keine Erfahrungen mit dem Nazi-Regime gemacht. Aber ja, der Wunsch, sich nicht vom eigenen Staat instrumentalisieren zu lassen, war schon ein wichtiger Beitrag bei dem Vorgang. (Inwieweit das auf Russlands Aggression einen Einfluss hatte, weiß ich dennoch nicht zu sagen. Was ja der eigentliche Vorwurf ist.)

Als auch die bizarre Gewissensprüfung (“Was würden Sie machen, wenn Ihre Freundin im Park überfallen wird?”) abgeschafft wurde

… war Peak Feminismus erreicht. „Ich werde mich nicht mit Waffengewalt verteidigen, nicht mein Leben, nicht meine Freiheit, nicht mein irdisches Hab und Gut, meinen Staat, meine Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit.“ – „Aber wenn Ihre Freundin vergewaltigt wird?“ – „Schon?“ – „Dann müssen Sie trotzdem Soldat werden, weil genau DAS sonst passieren wird. Willkommen bei der Truppe.“ Seither wurde es nicht feministischer.

Das förderte die Erweiterung ihres Rollenspektrums: Der Trend ging weg vom harten Kämpfer, hin zum soften, fürsorglichen Mann.

Es führte aber nicht etwa dazu, dass Frauen mit einer Knarre nachts durch den Park gehen. Und ob ich durch meine Zivizeit „softer“ geworden bin, wage ich zu bezweifeln.

Vor allem konservative Politiker wie CDU-Chef Friedrich Merz fordern eine Wiedereinführung der Wehrpflicht – die vor gut zehn Jahren nicht abgeschafft, sondern, was kaum bekannt ist, nur ausgesetzt wurde.

Also, mir war das bekannt. Aber Dr. Gerstenkamp hatte es vorher vllt. nicht interessiert. Außerdem siehe hier. Wenn Männer nicht mehr hart genug sind, dann müssen das eben Frauen machen. Kleine Leute mit Abi, so wurde mir gesagt, kämen in den Panzer.

Im “Verteidigungsfall” kann der Staat also nach wie vor über die Körper junger Männer behördlich verfügen, sie in Kasernen “einziehen” und auf die Schlachtfelder schicken.

Ich weiß jetzt nicht genau, was die „Gänsefüßchen“ bedeuten sollen, aber hey! Aus Gründen der Gleichberechtigung wird man auch über die Körper junger Frauen bestimmen. Und plötzlich erscheinen Schwangerschaften wieder als das kleinere Übel…

Im gesellschaftlichen Konsens wurde der männliche Zwang zu “dienen” als eine Art Ausgleich im Geschlechterverhältnis betrachtet, mit der Last des weiblichen Gebärens moralisch verrechnet.

Stimmt schon, aber da inzwischen die Antibaby-Pille und ähnliche Produkte erfunden wurden, die es Frauen ermöglichen zu entscheiden, ob, wie oft und wann sie schwanger werden wollen, haben Frauen viel mehr Kontrolle über ihre Leben als zur Gründung der BRD.

Protest dagegen kam aus dem linken oder christlichen Pazifismus, später auch von eher rechtspopulistisch ausgerichteten Männerrechtlern.

Eigentlich von denjenigen Männerrechtlern, die nicht rechtspopulistisch sind. (Möglicherweise meint er auch, dass alle Männerrechtler „eher“ rechtspopulistisch sind, aber Semantik, Schmemantik.)

Der Verein MANNdat zum Beispiel, sonst für angeblich benachteiligte Jungs oder polemisierend gegen den “feministischen Gouvernantenstaat” unterwegs, veröffentlichte auf seiner Webseite das Tagebuch eines antimilitaristischen “Totalverweigerers”.

Genau MANNdat, was sollte das? Anstelle von angeblich benachteiligten Jungs schwenkt Ihr den Fokus um auf tatsächlich benachteiligte Jungs? Konntet Ihr Eure Kapazitäten nicht sinnlos verplempern wie andere Leute auch?

Auch radikalisierte Trennungsväter, eine andere Strömung der maskulinistischen Szene, haben kein Problem damit, dass ihnen ausgerechnet die Rolle des Vaterlandsverteidigers vorenthalten wird.

Maskulistische Szene – in was hat der Mann seinen Doktor gemacht? Niemanden wird die Rolle des Vaterlandsverteidigers vorenthalten. Die radikalisierten Trennungsväter sind jedenfalls dadurch radikalisiert, dass ihnen die Rolle des Vaters vorenthalten wird.

Ganz im Gegenteil

Besagte Trennungsväter dürften sich beim Bund melden und würden ggfs. genommen. Ein einziges non sequitur.

Sie hadern, weil Familiengerichte sie von sorgenden und alles andere als soldatischen Tätigkeiten ausschließen.

Es sind jetzt nicht einfach „Familiengerichte“, sondern die Mütter ihrer Kinder. Und diverse Feministinnen, die sich gegen das Wechselmodell als Standardmodell wehren. Aber ja, davon werden die radikal.

AfD-Rechtsaußen Björn Höcke redet gerne über die fehlende “Maskulinität” deutscher Männer.

Was jetzt eigentlich rein gar nichts mit „Maskulismus“ zu tun hat. „Feminismus“ heißt ja auch nicht, dass Frauen möglichst feminin zu sein haben.

Seine nun von bürgerlichen Leitartiklern aufgegriffenen Appelle, “mannhafter” zu agieren, stehen historisch in einer höchst problematischen Kontinuität.

Selbst die unangenehmeren Incel-Theoretiker sagen nicht, dass man „mannhaft“ sein müsse, um Russland zu besiegen, sondern, um die eigene Attraktivität zu erhöhen – auch, wenn diese mit militärischen Tugenden wie „Selbstsicherheit“, „Risikobereitschaft“, „sportlicher Körperbau“ und dergleichen mehr einhergeht. Aber ja, problematisch.

Hedonismus untergrabe die traditionelle Männlichkeit und schwäche die Volksgemeinschaft.

Wie der Pick-Up-Artist, der jede Nacht eine andere abschleppt? Diese hedonistischen Heteros immer, tststs.

In dem von den Nationalsozialisten angezettelten Krieg kämpften deutsche Männer dann “hart wie Kruppstahl” für Frauen und Kinder.

Die Denke gab es anderswo auch. Hier zum Beispiel. Bzw., es gibt sie noch immer. Aber natürlich gilt diese Besorgnis typischerweise nicht den Männern, sondern den Frauen und Kindern…

Spiegel-Autor Haberl, … wiederholt nicht zufällig das Narrativ rechter Kommentare zur Kölner Silvesternacht 2015, als Frauen von migrantischen Männern belästigt wurden:

Was genau erwartet er, wenn nicht das?

“Wo waren eigentlich die Freunde dieser Frauen? Am Ende fanden einige Schutz hinter dem Türsteher eines Hotels, einem im heutigen Kroatien geborenen Mann.”

Erstens: Keks. Zweitens: Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad. Moderne Frauen brauchen doch gar keine Beschützer, schon deshalb besteht für Männer kein Grund, hart oder stark zu sein.

Lange waren sie bestenfalls Objekte des Spotts: Posierende Machos, die sich im Bierzelt, am Ballermann oder im Stadion “daneben” benahmen. Mit nacktem Oberkörper grölten sie lautstark seltsame Lieder, tranken bis zum Koma.

Ich glaube, denen geht es wirklich mehr um den Spaß mit Kumpels als um Frauen. UND das ist nicht unbedingt das, was man Härte nennt. Oder etwas, das Putin abschrecken würde, irgendwo einmarschieren zu lassen.

Solche Rituale waren nicht neu, sie fielen nur stärker auf, weil Männlichkeit vielfältiger geworden war, homogen geschlechtsspezifisch strukturierte Räume sich aufgelöst hatten.

Das ist genau der Hedonismus, vor dem unsere Urahnen uns immer warnten! Das ist also nicht die „Maskulinität“, die Höcke so vorschwebt, weil Männer hart wie Kruppstahl mehr Sport treiben. Na gut, mit nackten, muskelbepackten, harten Oberkörpern, aber eben nicht besoffen. Und am besten auch nicht schwul.

Auch Frauen gehen heute zum Fußball, und sie goutieren nicht unbedingt den Möchtegerngorilla auf dem Nachbarsitz.

Meine Oma fand die italienischen Fußballer am besten. Wegen der hübschen Beine. Natürlich gingen Frauen auch früher gerne zum Fußball. Natürlich geht niemand wegen der Zuschauer ins Stadium. Schnellmerker.

Einst zentrale Elemente früherer Männeridentitäten sind längst nicht mehr selbstverständlich.

Was ja nur heißen kann, dass auch Frauen Risiken eingehen. Gleiche Pflicht für alle!

Der Familienernährer hat an Bedeutung verloren

…und Väter sind ja auch für sonst nichts gut.

seit seine Partnerin kaum weniger oder sogar mehr verdient.

Ja, viele Frauen versuchen das glücklicherweise zu vermeiden.

Hart schuftende Industriearbeiter verloren ihre Jobs

Das ist nicht gerade das Idealbild an Männlichkeit.

Im Callcenter, in Erziehung und Pflege und sogar bei der Polizei fordern Arbeitgebende

Der t.t. lautet Arbeitgeber. Dabei handelt es sich meist um juristische Personen.

Kommunikationsfähigkeit, Einfühlungsvermögen und Kundenorientierung: Qualifikationen, die sie eher Frauen zutrauen.

Ok, das sind dann sexistische Vorurteile, die man sich abgewöhnen sollte.

Das starke Geschlecht, so die Forderung, muss wieder ganz real seinen Mann stehen.

Jaaaa, aber nicht, damit Männer irgendwie dadurch glücklicher sind, sondern, damit nicht etwa Frauen in den Krieg ziehen müssen und/oder von irgendwelchen Russen vergewaltigt werden. Wer, außer möglicherweise Höcke, behauptet, dass es Männern Spaß macht, für andere den Kopf hinzuhalten.

Ist die vieldiskutierte “Krise der Kerle” damit vorbei?

Natürlich ist sie es nicht.

“Die Brust des Mannes soll stark sein, aber wenn er mit stolz geschwellter Brust flaniert, wird er ruckzuck als Macho beschimpft”, schrieb damals Jonathan Widder in einer Replik auf die Klage von Pauer

Er wird so oder so als Macho beschimpft, es sei denn, man beschimpft ihn als Incel. Die einzige Konsequenz, die man als Mann daraus ziehen kann, ist die, dass man sich möglichst wenig um die Meinung anderer schert.

“Sensibel soll er sein, aber sobald er seine Gefühle zeigt, wird er als weinerlich verspottet. …

Er soll Gefühle zeigen, aber nicht über seine Probleme reden. Und Männertränen sind gut gegen Cellulite. Hab ich gehört.

Am besten soll er auch noch akzeptieren, dass die Frau das intelligentere, gefühlvollere und moralisch bessere Wesen ist…

…das darum nie mit der Schlechtigkeit der Welt konfrontiert werden darf…

…aber er darf darüber bitte nicht sein unverwundbares Selbstbewusstsein verlieren und seine wilde, männliche Stärke.”

Wegen: Weißes Rittertum! Zu Euren Diensten!!!

Körperkraft, Risikobereitschaft oder Mut sind keine schlechten Eigenschaften.

Was genau ist der Unterschied zwischen Risikobereitschaft und Mut?

Aber sie allein repräsentieren eben nicht die Vielfalt von Männlichkeiten, die von der Genderforschung bewusst im Plural diskutiert wird.

Äh, doch? Jede Kultur auf der Welt erzieht Männer zum Risiko und Frauen zur Vorsicht. Der Männeranteil in Berufen steigt mit deren Gefährlichkeit. Und JA, ich war Zivi, aber eben nicht mit der Idee, meine Männlichkeit unter Beweis zu stellen.

Das modische Bashing des “Caretakers” ist vollkommen überflüssig.

Das ja, aber das ist jetzt nur das halbe Argument. Wenn man will, dass nicht-riskante Tätigkeiten in Zukunft auch als „männlich“ wahrgenommen werden, dann hieße das, dass doch-riskante Tätigkeiten auch als „weiblich“ wahrgenommen würden. Sonst wäre die Konsequenz, dass Krankenpfleger zwar auch was für Männer ist, Militär aber trotzdem nichts für Frauen. Und das ist eben die Sackgasse: man will mehr Rollen für Männer, aber keine Risiken für Frauen.

Ein Gedanke zu “Heldentum

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