Hauptsache sexy. Alter, Figur, Geschlecht egal.

Hierzu.

Einflussreich, männlich und sexy Pose: Finde den Fehler

Einflussreiche Männer müssen nicht sexy aussehen?

Der neue „New York Times“-Chef zeigte sich in ungewöhnlicher Pose, die fast sexy anmutet.

Nun, mutet sie sexy an? Ich muss mich da auf die Perspektive von Leuten verlassen, die auf Männer stehen. Ich mag z.B. auch keine Lakritze – ob ein Foto mit Lakrtize lecker aussieht, kann ich daher gar nicht beurteilen.

Dass daran etwas falsch zu sein scheint, erzählt viel über festgefahrene Sehgewohnheiten.

Also, mir kommt es vor, als wäre er gerade hingefallen, weil die Pose zu sehr nach Pose aussieht und nicht nach etwas, was er normalerweise täte. Was bei vielen „sexy Posen“ von Frauen vermutlich auch so ist.

Fotos von mächtigen Männern sehen üblicherweise anders aus. Oft lehnen sie mit verschränkten Armen an ihrem riesigen Schreibtisch in ihrem noch riesigeren Büro. Sie posieren mit festem Stand und blicken frontal in die Kamera, oder sie schauen mit finster-wissendem Blick in die Ferne.

Das ist in der Tat so. Und da solche Männer solche Fotos machen lassen, weil sie damit etwas erreichen wollen, sind die natürlich nicht minder gestellt als Fotos aus der Waschstraßenwerbung. Also bis dahin ist die Kritik noch verständlich: natürlich sehen diese Büros und Konferenzräume in Wahrheit nicht so aus.

So wie auf dem Foto des neuen „New York Times“-Chefredakteurs sehen sie jedenfalls nicht aus. Dabei sind es im Grunde nur Kleinigkeiten, die auf dem Foto von Joseph Kahn anders sind als die, die wir von erfolgreichen Männern kennen.

Hmmm. Er liegt buchstäblich auf dem Boden. Die Redensart „jemand ist/liegt am Boden“ heißt typischerweise, dass die Person besiegt ist. Ich habe eine gewissen Vermutung, warum erfolgreiche Männer, und auch erfolglose, sofern jemand von denen Fotos machen will, sich lieber stehend oder zumindest im Sitzen ablichten lassen.

Diese Kleinigkeiten sorgten aber schon für derart viel Irritation, dass es dem designierten Chefredakteur schon ein Learning im Umgang mit Fotograf:innen abrang: nämlich einfach mal Nein zu Vorschlägen zu sagen, die ein Bild aufpeppen sollen.

Es gibt in manchen Zeitungen zumindest eine Abteilung namens Bildredaktion – Nicht zu verwechseln mit der Redaktion der BILD – und die entscheiden, welche von den drölfzig Fotos je Thema Verwendung finden, und die könnte man so als Chefredakteur auch einfach mal fragen. Aber gut, er merkt es selber.

Obwohl: Ästhetische Revolutionen sehen wohl anders aus.

Ich halte, meinetwegen nur aufgrund meiner sexuellen Orientierung, dieses Foto nicht für sexy, aber ich bin ehrlich gesagt auch nicht sicher, ob das überhaupt sexy sein soll. Also ist jetzt die Kritik, dass es sexy ist, oder dass es nicht sexy ist?

Der obligatorische Anzug, auf den Männer immer zurückgreifen können, ohne Gefahr zu laufen, wegen ihres Outfits vorgeführt zu werden…

…aka: das einzige Kleidungsstück, mit dem Männern das nie passiert …

…ist ebenso da wie Interieur-technische Insignien der Oberschicht. Dunkles Holz, Möbel, die nach Antiquitäten aussehen, die Altbauwohnung mit Erker, ein riesiger Perserteppich.

Ja. Offenbar kann er sich das leisten. Offenbar will er auch, dass man das sieht. Wegen Inszenierung und so.

Doch dann das: Der zweimal mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Joseph Kahn sitzt auf diesem Teppich. Auf dem Boden, ohne Schuhe, in Socken! Ein Bein ist angewinkelt, das andere ausgestreckt.

Im Schneidersitz wäre irgendwie cooler. Soll das sexy sein?

Seine Hände stützen den in ein weißes, zugeknöpftes Hemd gehüllten zurückgelehnten Oberkörper.

Es sieht für mich nicht direkt entspannt oder bequem aus. Fast eher so, als sei er in Socken ausgerutscht. Vor allem frage ich mich, warum er kein gemütliches Sofa hat oder so? Und dass er kein Sakko trägt, soll wohl „leger“ sein. Und im Hintergrund sieht man einen Plüschsessel. Und im Vordergrund das Bein von einem Schreibtisch. Mindestens zwei Stellen, die zum Teitungslesen besser geeignet sind als der Perserteppich.

Sein Körper dominiert das Bild, die „New York Times“, neben der er sitzt, wird eher zur Nebensache.

Achja: wenn er auf dem Bild nicht die Zeitung liest – was macht er dann auf dem Boden?

Die Pose ist keine, die wir mit Männlichkeit assoziieren würden.

Mit Weiblichkeit aber auch nicht.

Und dafür reichen schon ein paar kleine Details, die verändert wurden.

Eine Menge, auch größerer Details. Wenn ich raten müsste, wozu dieses Foto dienen sollte: Kahn will nicht wie ein distanzierter Machtmensch aussehen, sondern wie jemand, der es sich auch mal gemütlich macht, hemdsärmelig ist, so viel Bodenhaftung hat, dass er auf dem Boden sitzt, auf dem Teppich bleibt und dann bei einem Kaffee mal in aller Ruhe Zeitung liest. Aber das ist jetzt extrapoliert und basoert auf deutschen Redensarten, das einzige, wonach das aussieht, ist, dass er kein Machtmensch ist. Was er qua Machtposition tatsächlich DOCH ist.

Uns ist zwar klar, dass Frauen auf Fotos völlig anders dargestellt werden und sich auch selbst anders darstellen.

Aber? „Feminin“ finde ich diese Pose, ehrlich gesagt, auch nicht.

Prominente Frauen, die etwa auf Fotos nicht den Ansatz eines Lächelns zeigen, sind weitaus seltener, als das bei prominenten Männern der Fall ist.

Er lächelt in der Tat nicht. Nicht im Ansatz. Ergo wäre das „männlich“?

Barbara Blaha, Chefin des Momentum-Instituts, weist in einem interessanten Thread auf Twitter auf weitere Unterschiede bei der Darstellung von Männern und Frauen hin, die so felsenfest zu unseren Sehgewohnheiten gehören, dass sie uns kaum noch auffallen.

Ja, aber ich bin nicht ganz überzeugt. Er guckt nicht in die Kamera, er lächelt nicht, er sieht absolut nicht entspannt aus – was Frauen praktisch immer tun, obwohl sie es nicht immer sind – er betont auch nicht gerade seine Sportlichkeit, was bei Männern, die sexy wirken wollen, Usus ist, und er sieht keinesfalls wie eine geschlechtergetauschte Parodie auf „sexy Frauen-Fotos“ aus.

Etwa, dass Frauen eher von oben fotografiert werden, was auch bei erwachsenen Frauen ein Kindchenschema entstehen lässt. Der Blick auf Männer geht auf Fotos hingegen eher von unten nach oben, was einen Eindruck des zu ihm Aufschauens abgibt.

Kindchenschema? Ähh, nein? Also, weder bei den Frauen in den Beispielfotos noch bei Kahn. Die eine Frau wirkt aber tatsächlich noch mehr als er wie frisch hingefallen. Aber bei hübschen Frauen erzeugt das tatsächlich eher Hilfsbereitschaft als bei Kahn. Scheiß internalisierter Sexismus, an der Stelle. Andererseits wollte Kahn bestimmt auch keine Hilfsbereitschaft auslösen…

Das Foto von Joseph Kahn bricht jedenfalls mit den üblichen Männlichkeitsinszenierungen.

Kann sein, aber mein „Problem“ damit ist, dass es einfach eine schlechte, weil durchschaubare, Inszenierung ist. Den beiden Frauen bei Tweet 4/9 bspw. würde ich abkaufen, dass sie tatsächlich nicht nur freundlich lächeln, sondern freundlich sind. Kahn kaufe ich – schon wegen Dinge, die im Foto zu sehen sind – nicht ab, dass er sich manchmal auf den Boden setzt, um Zeitung zu lesen.

Und das ruft Aggressionen hervor – und Frauenhass, um sich damit gleich der eigenen Männlichkeit zu versichern.

???

So kamen von rechter Seite flugs Kommentare wie dieser: „Draw me like one of your French girls“, schrieb etwa der „Real Clear Politics“-Journalist Mark Hemingway.

Okeee, manche Männer assoziieren das Foto tatsächlich mit „Weiblichkeit“.

Ja, so lustig, wie ein „Mädchen“ – die ultimative Beleidigung für unsichere Männer.

Weil EIN schlecht gemachtes Foto – gemacht von Leuten, die es aufgrund ihrer beruflichen Erfahrung besser können müssten – nicht einfach schlecht ist, sondern die „ultimative Beleidigung“ rechtfertigt. Für Frauen schlägt „Mädchen“ also bspw. „pädophiles Arschloch“.

So gesehen sollte Kahns Learning aus der Aufregung um dieses Foto keines sein.

Doch. Wenn er auf einem Foto sexy, entspannt, sympathisch, freundlich oder unkonventionell wirken will, oder meinetwegen weiblich, dann sollte er eine dazu passende Pose einnehmen. Und dabei zumindestens ein Gesicht machen, als ob ihm diese Pose nicht unangenehm wäre.

Männer in seiner Position sollten sich durchaus öfter von Fotograf:innen zu einem originelleren Posing hinreißen lassen, um mit Gewohnheiten zu brechen.

Im Prinzip ja, Männer mit Macht, die dauernd vor ihren Schreibtischen, Tresoren und Fabriken stehen und dann unternehmerisch in die Ferne schauen, sind irgendwann austauschbar. In der Praxis heißt das: „Männer in seiner Position sollten solche Posen besser faiken als SO!“

Während sich Frauen einfach mal auf ihren Schreibtisch lehnen – und fertig.

Jaaaa, und dann kommt die Beschwerde, dass viele Pornos auch so anfangen würden.

3 Gedanken zu “Hauptsache sexy. Alter, Figur, Geschlecht egal.

  1. „Frauen verkleinern sich eher symbolisch: …“
    „Sie legen den Kopf schief, …“ — nicht etwa, weil das Vertraulichkeit und Aufmerksamkeit signalisiert und weibliche Aufmerksamkeit begehrlich wirkt.
    „senken das Kinn, …“ — Ich bin mir sicher, dass die durch gehobene, gestreckte Kinns signalisierte Konfliktbereitschaft super ankommt, auch und besonders bei Geschlechtsgenossinnen. Vorbildfunktion und so. Kommentar von links aus dem Off: „Nee, das ist einfach nicht schön.“
    „knicken die Hüfte, …“ — was definitiv nie nicht der Hip-Waist-Ratio-Betonung dienen könnte.
    „sie stehen unsicherer, brauchen weniger Platz, auch in einer Power-Pose, etwa weil sie schräg zur Fotolinse stehen.“ — Fällt auf, dass das alles Posen sind, die auch dem Betrachter signalisieren, dass soe ihre Aufmerksamkeit bekommt, obwohl da gerade ein Fotograf ein Titelfoto für eine Zeitschrift macht?

    Irritiert eigentlich noch wen dieses Loch im Parkett rechts im Bild?

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