Warum es nicht Humanismus heißt

Das Wort ist mit Humus verwandt – heute Menschen, morgen Dünger!

Nein, Scherz. Pinkstinks sind aber auch Ulknudeln.

Mehr Fremdwörterkunde.

„Tja, aber wenn Feminismus echt für alle ist und nicht nur für Frauen – wieso heißt es dann nicht Humanismus, hm?“

Eigentlich wäre das Äquivalent „Hominismus“, zu homo, hominis, der Mensch. Aber „Leberkäse“ ist auch nicht das, was man denken könnte.

Leute, die diesen Satz sagen, grinsen meist selbstgefällig.

Tja. Warum wohl?

Erstens, weil sie das Wort „Humanismus“ kennen.

Leute, die Ihrer Leserschaft erst letztens „Intersektionalismus“ als Ableitung vom englichen Wort für Kreuzung erklärten, sollten denselben Stolz empfinden. Oder halt Leserinnenschaft.

Zweitens, weil sie glauben, sie hätten eine entscheidende Schwachstelle entdeckt. So ein bisschen wie im Sandkasten. Nänänä! Erwischt!

Die Schwachstelle ist die, dass einige Feministen tatsächlich nicht glauben, dass Männer Probleme hätten, die nicht mit entsprechenden Vorteilen für Frauen einhergehen, wohingegen andere das tatsächlich wissen, sich aber dumm stellen.

Aber es ist natürlich nicht so einfach, wie sie es gern hätten. Um den Unterschied zu verstehen, hier ein paar Erklärungen.

Die reine Bezeichnung wäre nicht der Beweis, dass heutiger Feminismus sich nur für Frauen interessiert. Wenn die Frage wäre, warum sich Feministen nicht anders nennen, könnte man jetzt einfach sagen: „Das hat sich so entwickelt.“ Aber die Gründe, warum man die Behauptung bezweifelt, dass es im Feminismus nicht um Männer geht, beruhen auf weiteren Beobachtungen, und da bringt es wenig, eine rhetorische Frage unironisch zu beantworten.

Es beginnt mit der Sprache. In dem Wort Feminismus steckt das Wort „Femina“. Das ist Lateinisch für Frau.

Den meisten Leuten, die dergleichen Fragen stellen, dürfte das prinzipiell klar sein.

Die Endung -ismus macht daraus ein Hauptwort und ist sprachlich gesehen ein Hinweis auf eine Theorie, eine Praxis, eine geistige Strömung, ein System.

„Femina“ oder „Frau“ ist demnach kein Hauptwort? Okeee? Kommt mir jetzt etwas ähh, frauenfeindlich vor, aber ok.

Rein sprachlich gesehen ist Feminismus – sehr vereinfacht gesagt – also die Angelegenheit der Frau.

Ja, ne. Blitzmerkerin.

Beim Humanismus geht es demnach logischerweise – rein sprachlich gesehen – um den Menschen. So weit, so klar.

Jein. Man kann das auch anders herleiten, z.B. von „humanitas“, Menschlichkeit. Der Hauptpunkt ist, dass das Wort „Humanismus“ im Nachhinein für eine geistesgeschichtliche Tradition geprägt wurde, die in der Renaissance entstanden ist, und dass daher keine allgemeine Definition für „Humanismus“ existiert.

Aber Sprache ist nun mal viel mehr als Worte. Sprache hat Bedeutung.

Außer dem generischen Maskulinum. Generisches Maskulinum ist böse.

Manchmal auch mehrere Bedeutungen, die sich je nach Zusammenhang unterscheiden.

Also wie „der Leser“ mal einfach der generische Begriff für jede Person ist, die einen Text liest und sich bspw. darüber wundern könnte, und mal die konkrete Person, die einen Text gelesen hat und einen Leserbrief schrieb? Nur so als Beispiel.

 Das bringt uns zu dem, was jeweils hinter Feminismus und Humanismus steckt – und warum man beides eben nicht ohne weiteres austauschen kann.

„Der“ Humanismus ist ein Sammelbegriff für verschiedene Menschenbilder; die größte Gemeinsamkeit ist (mMn) die Wichtigkeit, die guter Bildung zugeschrieben wird. Ja, ok. Sollte man nicht mit gewissen anderen „ismen“ austauschen.

Die Bedeutung des Begriffes Feminismus bezieht sich nicht nur auf Frauen. Sie ist größer als das reine Wort.

Der Begriff der Leserschaft bezieht sich nicht nur auf biologisch männliche Personen, die lesen. Er ist größer als das reine Wort.

Das Oxford English Dictionary (OED) definiert Feminismus als das „Eintreten für die Gleichstellung der Geschlechter und die Durchsetzung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Rechte des weiblichen Geschlechts; die damit verbundene Bewegung“.

Wieso steht ein deutsches Wort im englischen Wörterbuch? Bzw., wenn da, wie ich vermute, „feminism“ steht – was sagt das dann über das deutsche Wort „Feminismus“ aus? Es gibt „falsche Freunde“, das sind Wörter in unterschiedlichen Sprachen, die aussehen oder klingen, als bedeuteten sie dasselbe.

 Die erste Erwähnung des Wortes Feminismus gab’s laut OED im Jahr 1895. Das war die Zeit, in der die erste Welle des Feminismus … immer größer und drängender wurde.

„Feminismus“ oder „feminism“? Wieso macht sich niemand die Mühe, deutsche Lexika zu wälzen?

Humanismus hingegen ist eine intellektuelle Strömung, die im spätmittelalterlichen Europa entstanden ist und sich aufs antike Rom und Griechenland beruft.

Die erste Erwähnung des Wortes ist allerdings erst von 1808. Also keine 100 Jahre zuvor.

Außerdem ist Humanismus laut OED auch ein „Gedankensystem, das den Menschen oder die Menschheit als Ganzes in den Mittelpunkt stellt“ und „ein System, das sich in erster Linie mit den Interessen und dem Wohlergehen des Menschen befasst“.

Ok, mal abgesehen davon, dass das wohl wieder „humanism“ oder so sein soll – ein Wörterbuch gibt die eher allgemein und abstrakt verstandene Bedeutung eines Wortes an. Marx meinte mit „Humanismus“ z.B. etwas anderes als Huxley. Doch beide Auffassungen sind mit der obigen Definition erfasst.

Der Mensch steht also im Mittelpunkt. Wie hier Leonardo da Vincis vitruvianischer Mann:

Der Nabel steht im Mittelpunkt. Vitruv war ein römischer Ingenieur, der die Proportionen der menschlichen Anatomie mit Quadrat und Kreis beschrieben hat, und da Vinci las das und dachte sich: „Das probiere ich aus!“ Das Bild kann man auch als Beispiel für die Schönheit der göttlichen Schöpfung sehen. Oder als Verehrung antiker Heiden (Vitruv).

Doch genau hier liegt das Problem. Was fällt bei Leonardos Zeichnung auf? Richtig: Es ist ein Mann.

Oh, nein! Die nackte Gestalt ist keine Frau? Bei Tante Wiki steht, dass da Vinci sich mehr für die Anatomie von jungen Männern interessierte.

Der Humanismus stellt zwar den Menschen in den Mittelpunkt. Aber dieser Mensch wird in einer patriarchalen Gesellschaft ganz selbstverständlich als Mann identifiziert: generisches Maskulinum in a man’s world.

Ok, und wenn das eine nackte Frau wäre, wäre das auch frauenfeindlich. Dessenungeachtet, da Vinci betrachtete sich selbst nicht als „Humanisten“, wohingegen Feminisiten sich stets so identifizieren. Ergo sagt etwas, was er mal gemalt hat, wenig über „den“ Humanismus aus.

Bestimmt war es um 1490 fein und fortschrittlich, den Menschen ins Zentrum zu stellen und nicht mehr Gott – aber „der Mensch“ lässt sich eben nicht bloß mit „der Mann“ übersetzen und alle anderen sind halt mitgemeint.

Kommt tatsächlich drauf an. Das lateinische „homo“ bedeutet Mensch, im Italienischen das davon abgeleitete „uomo“ aber tatsächlich Mann. Findet Ihr Sprachwandel eigentlich immer noch so toll? Nebenbei war vor 1490 nicht Gott im Zentrum, sondern der Teufel. Göttliche Komödie und so.

Denn es gibt in einer patriarchalen Gesellschaft nun mal leider (menschengemachte) Unterschiede zwischen Menschen, die sich in Ungerechtigkeiten und in Diskriminierung ausdrücken.

Ja, so human war die Gesellschaft 1490 in Europa wirklich nicht. Oder sonstwo.

Und genau das berücksichtigt der Humanismus nicht genug.

„Den“ Humanismus gibt es ja gar nicht. Aber das ist sowieso nicht der Grund, warum Ihr Feminismus nicht „Humanismus“ nennt.

Das Patriarchat – also wörtlich die „Väterherrschaft“ – sieht alle als unterlegen, die eben keine „Väter“ sind, also – vorzugsweise – weiße Männer mit Macht.

Es gibt auch afrikanische, arabische, indische, chinesische und andere Patriarchate. Aber natürlich sind die Wham die schlimmsten. Natürlich sind sie das.

In der Hierarchie der Unterlegenen gibt es in diesem schädlichen System auch noch Abstufungen. Aber ganz oben steht immer unangefochten der weiße, heterosexuelle Mann. … Das betrifft alle Geschlechter und schränkt auch Männer ein.

Ähm, DAS ist eigentlich nicht Humanismus. Das ist auch nichts, was humanistische Philosophen propagieren oder billigend in Kauf nehmen. Also im allgemeinen Durchschnitt.

Feminismus will etwas verändern. Er ist mehr als ein Konzept oder eine Philosophie. Er ist eine gesellschaftliche und politische Bewegung.

Jaaaa, aber wenn sie auch für Männer sein soll, dann beweist das doch nicht mit Verweis auf 500 Jahre alte Zeichnungen, sondern mit konkreten Taten von heute.

Und zwar eine, die nach Chancengleichheit für alle strebt und auf sozialem Engagement und aktivem Handeln basiert. Feminismus zeigt, wo das humanistische Ideal zu kurz greift; er guckt sich Machtverhältnisse und diskriminierende Strukturen an

Also steht nicht der Mensch im Mittelpunkt, sondern die Gesellschaft. Ja, okeeee….

Der Humanismus sagt in der Theorie, dass die Würde des Menschen unantastbar ist.

Das ist insofern weder „Theorie“ noch „Humanismus“, weil es eine Rechtsnorm des GG ist. Aber gut, dass kann man humanistisch sehen.

Aber er hilft leider kein Stück weiter, wenn sie dann doch angetastet wird – und Menschen diskriminiert, unterdrückt und ausgebeutet werden.

Ein Fernseher nutzt auch nichts, wenn man einen Milzriss hat. Gegen Gesetzesverstöße nutzen die einschlägigen staatlichen Organe.

Humanismus: „Die Würde des Menschen ist unantastbar!“ 

Feminismus: „Nice. Ja, aber hier – was ist zum Beispiel mit Frauen, trans Personen, nicht-binären Menschen, BIPoC? Was machen wir denn da? Hier, zum Bei-…“ 

Humanismus: „Das ‚I‘ in BIPoC steht doch für Indigene, also Kartoffel-Klaus und Spargel-Tina, oder? Die werden zumindest nicht unterdrückt, richtig? Aber wieauchimmer, jedem Menschen steht der Rechtsweg offen.“

Feminismus: „Äh, okay, cool. Cooles Konzept. Aber hast du mir grad zugehört? Wir brau-…“ 

Humanismus: „Ich muss los, ich hab’ noch Wurst im Auto.“ 

Weil Kartoffeln und Spargel halt keine ausgewogene Ernährung sind. Ok, Humanismus wird heute auch als nicht-religiöse Bewegung aufgefasst, die sich mit sozialen Fragen abseits der Achse Theismus-Atheismus wenig befasst, bzw., dort weniger feste Inhalte liefert.

Heute ist der Begriff Feminismus dynamisch definiert und wandelt sich.

Also, wenn ich ihn als Frauenlobby definiere, ist das also richtig.

Es wird anhaltend und leidenschaftlich diskutiert, was Feminismus im 21. Jahrhundert bedeutet und welche Ziele er hat.

Frauenlobby.

Doch es geht im Feminismus NICHT um eine Herrschaft der Frauen bzw. Mütter – also ums Matriarchat.

Frauen stellen die absolute Mehrheit der Wahlberechtigten. Frauen – im tatsächlichen Unterschied zu Minderheiten – können durch Wahlen JEDE Politikerin an die Macht bringen, die sie wollen, jede Partei und generell jede Politik. Wenn das nicht passiert, kann das also nicht am Patriarchat liegen.

Es geht um Gleichberechtigung: nicht mehr, sondern endlich mal genau gleich viel Rechte.

Habt Ihr, jedenfalls in Deutschland. Bzw., wegen Eurer Mehrheit könntet Ihr jedes Gesetz abschaffen, was Euch benachteiligen würde, aber da es solche Gesetze nicht mehr gibt…

Dabei schließt der Feminismus alle Geschlechter ein. Darunter auch Männer.

Ja, deshalb seid Ihr auch so ganz vorne mit dabei, Männerhäuser zufinanzieren.

Beispiel, wenn sie nicht dem patriarchalen Ideal des starken, gefühlsarmen, heterosexuellen, mächtigen Machers entsprechen können oder wollen.

Weil ihre Frau sie täglich verprügelt, und sie ins Männerhaus müssten? Anspruch und Wirklichkeit gehen bei Euch deutlich auseinander, und deshalb, nicht wegen der „Humanismus vs. Feminismus“-Frage, glaubt man Euch Eure Behauptungen nicht.

Humanismus und Feminismus schließen sich keinesfalls aus.

Jaaa, theoretisch vllt., aber egal.

Wenn wir eine gerechtere Welt für alle Menschen wollen, dann reicht der Humanismus als hübsches Konzept nicht.

Wenn man Humanismus nicht nur als „der Mensch im Mittelpunkt“ auffasst, sondern als „das Individuum im Mittelpunkt“, dann ist es sogar kontraproduktiv. Jemand könnte sich ja entscheiden, die Gesellschaft gegen eine andere auszutauschen…

Wir brauchen Aktionen. Kampagnen. Pläne. Protest. Mut.

Prost (der musste sein). Außerdem, wer ist „wir“?

Solange wir einer unterdrückenden und diskriminierenden patriarchalen Gesellschaft leben und die Würde etlicher Menschen täglich nicht nur angetastet, sondern regelrecht begrapscht wird, brauchen wir Feminismus.

Staat oder Gesellschaft? Menschen oder Individuen? Wer? Ist? WIR?

Für alle.

Das Kollektiv muss wachsen! Sorry, ich kanalisiere meinen inneren Borg.

3 Gedanken zu “Warum es nicht Humanismus heißt

  1. Humanismus: „Die Würde des Menschen ist unantastbar!“

    Feminismus: „Nice. Ja, aber hier – was ist zum Beispiel mit Frauen, trans Personen, nicht-binären Menschen, BIPoC? Was machen wir denn da? Hier, zum Bei-…“

    Ok, aus feministischer Sicht sind die genannten Gruppen nicht in „Menschen“ inkludiert.
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    Ich will nicht mehr. Echt. Ich weiß nicht, wie ich das kommentieren soll.

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