Stichwortgeben als Interview

Aber man erfährt trotzdem nichts.

Pickert wird befragt.

Zu seinem Buch. Wie immer, und weil das auch bei mir ein Dauerthema ist, der Hinweis, dass ich schon dabei bin, dass allzu naive, überspannte oder sonstwie unrealistische Erwartungen an romantische Liebe für schlecht halte. Aber ich bin weder der Ansicht, dass romantische Liebe notwendigerweise ungleichberechtigt sei, noch gleichberechtigte Liebe unromantisch, und halte die Vorstellung, dass man ohne Romantik „mehr“ Gleichberechtigung bekommt, vor allem in Beziehungen, für nicht minder naiv.

Autor Nils Pickert sagt, Sex darf schlecht sein und Liebe in Verfallsdatum haben. Trotzdem will er die Liebe retten. Wie soll das gehen?

Tja, keine Ahnung. Und das hat er am Ende auch nicht verraten.

Wie viele von uns können behaupten, noch mit ihrer ersten Liebe zusammen zu sein?

Ich war mit meiner ersten Liebe überhaupt nicht zusammen. Das ist nämlich regelmäßig die erste Hürde, Liebe muss erwiedert werden.

Nils Pickert liebt immer noch die Frau, in die er sich als Junge in der Schule verliebt hat. Er hat durch diese lange Beziehung viel über die Liebe gelernt und weiß: Liebe ohne Augenhöhe ist möglich, aber sie hat keine Zukunft.

Technisch gesehen sollte jemand, der mehr als eine Beziehung geführt hat, mehr über Beziehungen wissen, als jemand, der nur eine geführt hat. Aber ja, nehmen wir mal an, der Erfolg dieser Beziehung liegt an der Augenhöhe.

Für sein Buch Lebenskompliz*innen hat er sich die Liebe genau angeschaut und festgestellt: Wir müssen aufhören von Liebe zu erwarten, dass sie für immer ist.

Jaaa, da war ja was. Liebe ohne Augenhöhe hat vllt. keine Zukunft, aber Liebe ohne Zukunftserwartung ganz bestimmt nicht. Und es nervt mich, dass dieser Widerspruch nicht angesprochen wird – vllt. vertue ich mich ja, und er meint das anders, als ich ihn verstehe?

Mit uns hat er darüber gesprochen, wie eine Beziehung auf Augenhöhe aussehen kann, wieso Sex auch mal schlecht sein muss und warum allein Liebe nie genug ist!

Zumindest in diesem Interview sagt er zwar nicht, warum Sex schlecht sein muss, aber offenbar ist meine Erwartungshaltung an Interviews entweder zu romantisch – die Gedanken- und Gefühlswelt des Interviewten wird empathisch durchdrungen – oder zu aufgeklärt – Inhalte werden sauber analysiert oder zumindestens richtig wiedergegeben.

WIENERIN: Was sind deine wichtigsten Erkenntnisse über die Liebe?

Nils Pickerts: Bedingungslose Liebe existiert nicht, weil wir nicht ohne Bedingungen existieren.

Bedingungen, die man zum Leben braucht, sind nicht die Bedingungen, die man von seinem Partner erwartet. Außer, man macht sich abhängig. Aber gut, typischerweise gibt es Bedingungen an einen Partner.

Wenn wir alle von dem hohen Ross heruntersteigen, auf dass wir als Liebespaar in den Sonnenuntergang reiten sollen, dann trägt uns unsere Liebe sehr viel weiter.

Die Vermischung verschiedener Klischees und Redensarten ist ja ganz witzig, aber wen meint er mit „uns“? Theroretisch sich und seine Frau, aber wer bin ich schon, das zu wissen?

Wenn wir uns als Paare nicht durch die Gleichberechtigung unserer Ansprüche und Bedürfnisse in Wohlwollen halten können, machen wir es der Liebe sehr schwer.

DAS ist mal eine Andeutung, warum er „Gleichberechtigung“ und „Romantik“ für Gegensätze hält. Ein „romantisches“ Paar versucht vllt. nicht, einen Kompromiss aus den jeweiligen Ansprüche und Bedürfnissen zu finden, was irgenwann ein Problem wird. Aber hauptsächlich dann, wenn das asymetrisch abläuft: die eine Hälfte des Paares verzichtet aus „romantischer Liebe“ auf vieles, die andere auf weniges.

Gleich im ersten Kapitel sagst du: Wer weiß, ob deine Beziehung ewig halten wird. Sollten wir aufhören uns an das „Für immer“ zu klammern?

Unbedingt. Wieso sollte eine Liebe, die ein paar Wochen, Monate oder Jahre andauert schlechter sein als eine, die ein Leben lang anhält?

Warum sollte ein Haus, ein Auto, ein Fernseher oder was auch immer, was nach kurzer Zeit kaputt geht, schlechter sein als eine ansonsten gleichwertige Sache, die länger hält als die Eigentümer leben? Oder umgekehrt – ist es nicht einfacher, eine vorhandene Beziehung möglichst stabil zu führen, als nach jedem Scheitern von vorne anzufangen?

Liebe darf ein Verfallsdatum haben. Sie darf scheitern, straucheln und fallen. Wir tun es doch auch.

Ok, manche Sachen halten leider nicht so lange wie es wünschenswert ist. Warum jahrelang für einen Beruf lernen, den man nur ein paar Jahre lang ausübt? Achja, macht niemand freiwillig so.

Du sprichst in deinem Buch an, dass jede Beziehung einen Beziehungsvertrag braucht. Wie kann so etwas aussehen?

Er beinhaltet einfach, was wir von einer Beziehung erwarten

Und wenn die eine Hälfte sagt: „Lebenslang!“ und die andere: „20 Jahre reichen.“ ist das evt. etwas, was man vllt. vorher ausdiskutieren sollte, ok. Aber auch hier die Frage: Warum sollte man gegensätzliche Erwartungen überhaupt versuchen zu erfüllen, wenn man einfach sagen könnte, „Dann halt nicht!“??

Was es braucht, ist einen klug ausgearbeiteten, transparenten Beziehungsvertrag, in dem wir festhalten, was uns wichtig ist und wer wir gemeinsam sein wollen.

Verträge definieren typischerweise weniger Rechte, sondern Pflichten. Aber mal angenommen, dass das hier etwas anders formuliert gemeint wäre, wenn zwei Menschen sich an einer wichtigen Stelle grundlegend anderer Meinung sind, wird nicht „verhandelt“ werden, sondern der Vertrag und die Beziehung kommen nicht zustande.

Können und wollen wir zusammenleben?

Ok, das ist tatsächlich oft das Ausschlusskrieterium.

Wie sieht es mit der Familienplanung aus?

Dito.

Was ist mit sexueller Exklusivität?

Jaaa, will man selbst sexuell exklusiv sein, oder nur, dass der andere das ist?

Viele Paare übernehmen einfach die Vorgaben, die ihnen die romantische Liebe macht, ohne dass diese wirklich etwas mit ihnen und ihrer Liebe zu tun haben.

Und viele Vermieter benutzen auch Vordrucke von Mietverträgen, die jemand völlig anderes geschrieben hat, damit sie nicht jedesmal von vorne anfangen müssen. Wenn man schon unromantisch ist, warum nicht auch Zeit sparen?

Wenn Paare nicht zusammen verreisen, weil sie vollkommen unterschiedliche Vorstellungen von Urlaub haben, macht das ihre Liebe nicht besser oder schlechter als die von Paaren, die alles zusammen machen.

Einerseits ja, aber andererseits: unterschiedliche Urlaube, unterschiedliche Hobbys, unterschiedliche Fernsehserien, Wohnorte, Schlafenszeiten – man muss gar keine Gemeinsamkeiten haben, um ein Paar zu sein. Das ist romantischer Aberglaube.

Ein guter Beziehungsvertrag informiert uns zuverlässig über die Rahmenbedingungen unserer Liebe und wird regelmäßig aktualisiert. Ein schlechter Beziehungsvertrag ist voller Geheimklauseln, absurder Maximalforderungen und veralteter Annahmen.

„Regelmäßige Aktualisierung“ ist der Knackpunkt. Irgendwann aktualisiert der eine Partner den Vertrag,  transparent und ohne Geheimforderungen, und der andere macht daraufhin Schluss. Oder die eine Hälfte droht Schluss zu machen, und die andere macht die Aktualisierung rückgängig (und hält sich insgeheim doch nicht mehr daran).

Du rufst in deinem Buch immer wieder zur Gleichberechtigung auf. Wie sieht deiner Meinung nach Gleichberechtigung aus?

Richtige Gleichberechtigung heißt nicht Auge um Auge, sondern einander im Auge zu behalten.

Kein Mensch behauptet, dass „Auge um Auge“ Gleichberechtigung heißen soll. Aber eigentlich muss man nur Gegner im Auge behalten, keine Verbündeten. Manchmal frage ich mich, ob Pickert Redensarten mit Absicht falsch verwendet.

Es wird immer Situationen geben, in denen jemand in Vorleistung für die gemeinsame Beziehung geht. … Die Frage ist nicht, ob das passieren wird, sondern wie wir damit umgehen.

Letztens kam im Radio der Tipp, dass man, wenn deutlich unterschiedliche Ansprüche an bestimmte Tätigkeiten herrschen, die Person mit den höchsten Ansprüchen sich darum kümmern sollte (z.B. Putzen), und eine andere (der Tipp gilt auch für WGs) andere Aufgaben übernehmen sollte (Einkaufen, Kochen, etc.). Arbeitsteilung ist nicht notwendigerweise Ungleichberechtigung.

Tun wir so als wäre nichts, damit er oder sie einfach weitermacht und wir uns nicht zu Wertschätzung aufraffen müssen?

Von Wertschätzung kann man sich nichts kaufen. Aber auch romantische Menschen reden über dergleichen. Ok, einige bestimmt.

Leiden wir stumm vor uns hin und erwarten, dass er oder sie unsere Bedürftigkeit gedankenliest? So funktioniert das nicht.

Also, ohne gegenseitiges Gedankenlesen braucht man so eine Beziehung gar nicht erst anzufangen. Das wäre ja irrational.

Von welchen Ideen, die wir in der Popkultur über Liebe vermittelt bekommen müssen wir uns verabschieden, um erfolgreich langfristig lieben zu können?

Von allen Facetten der Idee, dass Liebe größer ist als wir selbst.

Genau, Leonardo. Die Idee, für die Liebe zu erfrieren, ist zwar sehr romantisch, aber bescheuert.

Wir können uns nur füreinander bestimmen – jeden Tag mit aller Kraft. … Kein Schicksal, keine Geigen, keine Sterne, keine überirdische Macht.

Das ist zwar einerseits richtig, andererseits: wozu dann? Spontan fallen mir „Kinder“, „Steuervorteile“ und „viele gemeinsame Interessen“ ein. Vor allem in Hinblick auf langfristig lieben. Bei allem Verständnis, dass Romantik allein keine Beziehung zusammenhält, ganz ohne Romantik bleiben nur materielle Gründe, und die können durch Bezeihungsverträge nicht beeinflusst werden.

Ist Romantik der Schlüssel zu ewiger Liebe oder der Sargnagel für jede Langzeitbeziehung? Was ist die Antwort?

Ganz klar Sargnagel.

Was für ein investigatives Interview. „Ist ein gemeinsames Haus, das noch 15 Jahre lang bezahlt werden muss, der Schlüssel zur ewigen Liebe oder des Sargnagel?“ – „Sargnagel. Nach 15 Jahren hat man sich dann nichts mehr zu sagen.“

Romantik verleitet uns immer wieder dazu, nicht ausreichend Verantwortung für unsere Liebesbeziehung zu nehmen. Stattdessen soll durch Liebe alles irgendwie von selbst gehen.

Ja, der Film, wo sich die beiden in Lebensgefahr begeben, um die jeweils andere Hälfte zu retten, zeigt, wie verantwortungslos die beiden waren und wie sehr sie sich darauf verließen, dass die jeweils andere Hälfte quasi von selbst nicht ertrinkt. Oder der andere Film. Oder das Buch und so. Aber wie gesagt, am Ende versinkt Leos lebloser Körper im Atlantik, also war das schon der Sargnagel. Nur ohne Sarg.

Was ist daran leicht, wenn man wegen Eigenbedarf aus der Wohnung geschmissen wird oder das Kind sich bei einem Fahrradunfall einen Milzriss zuzieht?

Wenn „Romantische Liebe nutzt nichts bei Fahrradunfällen“ = „Romantische Liebe ist nutzlos“, dann „Führerschein nutzt nichts bei Milzriss“ = „Führerschein ist nutzlos“; Pickert kritisiert hier eine derartig überzogene Vorstellung von der Kraft der Liebe, dass diese kaum von jemanden ernsthaft vertreten wird. Man fragt sich, ob er selbst denkt, viele Menschen würden so denken. Oder ich frage mich das jedenfalls.

Sex darf auch mal schlecht sein. Wieso ist das wichtig?

Alles ist irgendwann auch mal schlecht: Essen, Urlaub, Arbeit, Beziehungen, das Wetter, die Laune.

Wenn Essen schlecht geworden ist, sollte man es wegwerfen. Es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung. An den übrigen Dingen kann man arbeiten. Aber die Aussage: „Sex darf auch mal schlecht sein.“ ist nicht dieselbe wie: „Sex muss auch mal schlecht sein.“

„Lassen Sie sich nicht von Monogamie Ihre Liebe versauen.“ Das ist ein spannender Ansatz. Kannst du ihn unseren Leser*innen erklären?

Gegen Monogamie spricht an sich nichts. Gegen Monogamie als gesellschaftliche Zwangsanforderung für alle Liebespaare sehr wohl.

Genau: Wieso sollte es meine Liebe versauen, dass meine Partnerin monogam lebt? Diese „Zwangsanforderung“ kommt aber nicht unbedingt von „der“ Gesellschaft, sondern oft von den monogamen Partnerinnen und Partnern.

Ich bin mir sehr sicher, dass es auch in einer Welt, in der wir polyamouröse Menschen nicht länger abwerten würden, immer noch monogame Beziehungen gäbe.

Ich werte polyamoröse Menschen überhaupt nicht ab. Aber wenn eine Beziehung zwischen zwei Menschen schon so kompliziert ist, wie kompliziert darf es denn werden? Zwischen drei Menschen gibt es drei Beziehungen, zwischen vier sechs, zwischen fünf zehn, zwischen sechs 15 und so weiter.

Und ich habe schon Paare daran scheitern sehen, dass ihnen immer wieder die angebliche Vergeblichkeit und Unwertigkeit ihrer Liebe vorgeworfen wurden, weil sie nicht monogam leben wollten oder konnten.

Entweder lebten sie polygam, dann waren sie kein Paar, oder sie waren ein Paar, dann waren sie monogam. Ein Stück weit gebe ich ihn hier Recht, dass man eine Beziehung nicht für die Nachbarn führen sollte. Andererseits klingt es so, als ob jemand zu zweit scheitert, obwohl es zu dritt oder viert funktionieren würde.

Sie sind aus ihrer Liebe füreinander gefallen, weil sie ihnen vergällt wurde. Weil man sie ihnen schlecht geredet hat. Das nehme ich der Monogamie echt übel.

Jemand, der anderen Romantik vergällt, ist vllt. nicht die Person, die sich beschweren sollte. Allerdings sind Leute, die sich ihre Beziehung derartig schlechtreden lassen, vllt. auch einfach nicht romantisch genug gewesen?

Gibt es ein Happy End für die Liebe? Und unter welchen Bedingungen?

Ich finde, dass romantische Liebe kein Happy End verdient. Ich hätte lieber ein glückliches Ende für Liebende.

Also ein Ende der Liebe, was für die Ex-Liebenden glücklich ist? Keine Ahnung, ob das so gemeint ist, aber mMn ist es das, was da steht. Ein Ende für Liebende.

Das kann darin bestehen, dass man jeden Tag aufwacht … und feststellt: Du und ich, das ist immer noch der Plan.

Was sollte sich über Nacht geändert haben?

Es kann aber auch in der Erkenntnis bestehen, nicht mehr der Plan zu sein und sich auf Augenhöhe zu trennen

Die Wahrscheinlichkeit, dass beide an genau demselben Tag diese Erkenntnis haben, ist eher gering. Nebenbei, Pickerts Vermieter, Arbeitgeber oder Sachbearbeiter bei der Bank dürften Verträge nicht einfach kündigen. Wenn „Augenhöhe“ einfach „Willkür“ bedeuten soll, ist sie eher nicht für eine langfristige Beziehung geeignet.

2 Gedanken zu “Stichwortgeben als Interview

  1. „Richtige Gleichberechtigung heißt nicht Auge um Auge, sondern einander im Auge zu behalten.“ — Oder wie Lenin sagte: „Kontrolle >> Vertrauen“.

    Polyamorie wird oft von Leuten verklärt, die schon zu zweit nicht die nötige Offenheit und Ehrlichkeit aufbringen können. Und dann kommen da noch die ganzen Sachen hinzu: Wie geh ich damit um, wenn meine Partner gerade verliebt sind? Erliege ich der Versuchung, mir meine eigene Untreue schönzureden? Bin ich willens, den Genuss meines Verliebtseins für meine Partner zu opfern?

    So schön die Wunschvorstellung einer hierarchiefreien Liebe auch ist… letztlich bleibt das Ur-Problem mit der Polyamorie: Dass schon für zwei Leute im eiskalten Wasser so eine Tür zu klein sein kann. Oder nicht tragfähig genug. Ne, Leo?

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