Martenstein

Der Kolumnenschreiber hat sich offenbar im Streit vom Tagespiegel getrennt, weil eine Kolumne von ihm anscheinend ohne Rückfrage offline gestellt wurde. (Weiterführende Frage, hätte er sich auch getrennt, wenn die Redaktion die kolumne gar nicht erst veröffentlich hätte? Wir werden es nie erfahren…)

Der strittige Punkt, soweit ich ihn richtig verstanden habe, war wohl der, dass gelbe Sterne mit der Aufschrift „ungeimpft“ nicht antisemitisch seien. Okeee.

Also die klare Anspielung auf die „Judensterne“, gelbe Davidssterne mit der Aufschrift „Jude“, die zu tragen die Nazis die Juden zwangen? Okeeheeee.

Das Argument Martensteins ist, dass sich die Träger der „Ungeimpft-Sterne“ sich ja mit den Juden identifizierten, was Antisemiten eher vermeiden.

Als jemand, der in einem anderen Zusammenhang ähnlich argumentierte, möchte ich dazu schon was sagen: die „richtigen“ Nazis und Judenhasser machen das vllt. wirklich nicht, aber erstens heißt es „Verharmlosung des Holocausts“ und nicht „Keine Gelben Davidsterne mit Aufschrift oder ohne tragen“, und zweitens zeigen sich auch oder gerade diejenigen unter den Corona-Demonstranten, die tatsächlich keine Antisemiten sind, als extrem wehleidige Zeitgenossen, wenn sie ihre eigenen, vllt. nicht unerheblichen, aber doch recht harmlosen Probleme auch nur gedanklich auf eine Stufe stellen mit der Verfolgung der Juden durch die Nazis, gescheige denn symbolisch. Und drittens: es ist definitiv keine Solidaritätsbekundung mit Juden.

Der Grund, warum „sich als Indianer verkleiden“ tatsächlich als Solidarität verstanden werden kann, statt Verächtlichmachung oder Verharmlosung von Völkermorden, ist der, dass Indianerkostüme (mehr oder weniger) die Kleidung darstellen soll, die real existierende amerikanische Ureinwohner freiwillig getragen haben. Nicht etwa etwas, was sich die Nazis ausgedacht haben.

Im Zweifel einfach nichts von dem machen, was sich Nazis ausgedacht haben, ist eigentlich zuverlässig auf der sicheren Seite.

10 Gedanken zu “Martenstein

  1. >Im Zweifel einfach nichts von dem machen, was sich Nazis ausgedacht haben, ist eigentlich zuverlässig auf der sicheren Seite.

    Wie -äh – Leute ohne einen gewissen Nachweis vom öffentlichen Leben ausschließen?

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      1. „Haben sich die Nazis ausgedacht“ ist ein schlechtes Argument – und sei es nur, weil es das bessere Argument meist gleich um die Ecke gibt. Etwa: „Das schließt Leute aus einem arbiträren Grund aus.“ oder „Damit erheben sich Leute unter fadenscheinigem Grund über andere“ oder „Du würdest selbst nicht so behandelt werden wollen, goldene Regel und so.“

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    1. @Apo: Stimmt, aber manche Leute verstehen Nazivergleiche leider besser…

      Das ist so ein ganz zentrales Problem: So ziemlich alles im Westen wurde ausreichend indoktriniert, dass Nazis scheiße sind (was sie waren!), aber halt genau 0 „Warum?“ dazu, genau 0 dass Hitler nur eine nationalistische Billig-Kopie von Stalins Sozialismus veranstaltet hat, und gans sicher minus 100, dass das Problem vielleicht irgendwie an dem „Sozialismus“- Teil liegen könnte.

      Das ist wie bei dem Wladimir-Präsidenten der Ukraine, bei dem die Qualitätspresse so tut, als könne der kein Nationalsozialist sein, weil er ja Jude sei. Es ist aber keine Conditio sine qua non für Nationalsozialisten, antisemitisch zu sein; Du braucht -wie alle Sozialisten – nur irgendwen, der „Schuld ist“. Bei Seliniskiyijiy (ggf. Buchstaben streichen) funktioniert Sozialismus nämlich halt auch nicht, aber der mag zufällig Russen nicht. Und der hat Russen. Der „Juden“-Teil ist vollkommen beliebig ersetzbar, und der Typ ist wohl Jude. Das ist aber nicht der wichtige Punkt. Das ist rassistischer Quark. Wichtig ist, dass der sozialistische Quatsch nicht funktioniert. Aber die marxistischen Medien mögen das nicht.

      Ich habe im Übrigen Freunde in Kiew, die schicken fürchterliche Videos. In Full-HD, nicht wie das Fernsehen. Ich finde Krieg scheiße. Aber immer, wenn ich vorschlage, Politiker am Ende ihrer Amtszeit zu erschießen, sperrt mich Twitter.

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      1. Ok, dass jemand Faschist sein kann, auch wenn er Jude ist, ist sicher richtig, andererseits wäre es Putin egal, ob ein jüdischer oder sonstiger Faschist die Ukraine regiert, solange es Putins Faschist ist.
        Victimblaming+: die Ukraine hat Russland provoziert, weil sie einfach nicht faschistisch genug ist.

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  2. Martenstein hat die Impfgegner, die sich mit gelben Sternen auszeichnen, aufs Heftigste kritisiert. Er hat ihnen Verharmlosung des Holocaust bescheinigt, ihnen allerdings den Antisemitismus abgesprochen. Der Tagesspiegel hat es gedruckt. Haben die keine Chefredaktion, die die eingereichten Artikel gegenliest? Vermutlich schon, aber sie haben den Artikel erst gelöscht, nachdem Martenstein von der SZ angegriffen worden war, also aus reinem Opportunismus. Ob sie vorher mit ihm gesprochen haben oder nicht – hier steht Aussage gegen Aussage.

    Viele Menschen werden heute aufgrund abweichender Ansichten als „Nazis“ verunglimpft. Ich fände es nicht klug, sondern vielmehr äußerst pietätlos, mit gleichen Waffen zurückzuschießen und mich mit einem verfolgten Juden zu vergleichen. Aber schlimmer wäre es auch nicht.

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    1. Ja, das finde ich auch – dass die mit den Impfsternen keine Antisemiten sein können, glaube ich nicht, auch wenn ich das Argument nachvollziehen kann.
      Aber dafür gibt es eben Redaktionen.
      Und die Kolumne auf Kritik hin einfach zu löschen, ist ungeachtet dessen, was „ich“ von ihr halte, unsouverän.

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  3. Ich finde, wenn man darüber streitet, welches Bullying schlimmer ist als die anderen, dann hat das nicht *nur* etwas mit einer möglichen Verharmlosung zu tun. Es hat vor allem damit zu tun, dass man die Diskussion von „Bullying ist schlimm“ verschiebt zu „Welches Bullying ist schlimmer“ und damit implizit die Prämisse akzeptiert, dass einige Formen von Bullying „ok“ sind; also nicht schlimm genug, um groß etwas dagegen zu tun oder es öffentlich abzulehnen.

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