Die Firma Amazon scheint, wie man hier nachlesen kann, nicht die Rechte am Silmarillion (das 1. Zeitalter) gekauft zu haben – was wegen der episodenhaften Struktur des Buches deutlich besser für eine Serie als für einen Kinofilm geeignet ist – sondern die Rechte für eine Serie, die in Mittelerde spielt, und bei der man „Herr der Ringe“ auf den Titel pappen durfte. Der Wert dieser Rechte beträgt offenbar 250 Mio. Dollar. Auch eine Art, ein Budget von 1 Mrd. zu verbraten.
Jetzt scheint es in der Serie um die Ringe aus dem bekannten Ringgedicht zu gehen, also Fragen wie: warum wurden sie geschmiedet, was konnte man mit ihnen tun, was hat man mit ihnen getan, wer hat sie getragen? Dinge, die bei Tolkien wenig bis gar nicht vorkamen, möglicherweise, um die Phantasie der Leserschaft nicht zu beschränken, aber wahrscheinlich war ihm sowas einfach egal.
Aber es sind natürlich trotzdem interessante Geschichten – ein späterer Ringgeist wollte vllt. einfach „nur“ eine bessere Welt, wie Anakyn Targaryen, ein anderer wollte dem Tod entkommen, der eine Zwerg wollte vllt. seine tote Frau wiederbeleben, irgendwer wollte einfach nur MACHT – das heißt schließlich Ringe der Macht und nicht Ringe der tragischen Verwicklungen – und bietet sicher Möglichkeiten für spannende Geschichten und interessante Charakterbögen einerseits, aber auch für grandiose Landschaften, epische Schlachten, tolle Kulissen und Kostüme und all die anderen tollen Dinge, die man aus HdR, GoT und sonstigen Fantasywelten kennt.
Jetzt ist Mittelerde allerdings gewissermaßen die generischste aller Fantasywelten, weil so viele andere sich stark am Herrn der Ringe anlehnen: Zauberer, Drachen, magische Artefakte und Fantasyrassen Tolkien’scher Bauart. Bücher, Rollenspiele, Tabletop, Computerspiele, Comics, etc. … Die Rechte an diesen Franchises und IPs wären vermutlich für weniger als eine viertel Milliarde Dollar zu haben gewesen. Und wenn man die Namen aus Tolkiens Werken weglässt, und tatsächlich nur Dinge verfilmt, die von ihm selbst nur angerissen wurden, können die Geschichten, die dann übrigbleiben, auch gut in anderen Fantasyversen funktionieren: „Ja, es geht um diese magisch aufgeladenen Schmuckstücke,“ – „Kenn ich schon!“ – „…die Elfen, Zwerge und Menschen besitzen, aber den Menschen traut man nur Luschenjobs zu,“ – „Natürlich tut man das!“ – „…und Zwerge und Elben misstrauen einander.“ – „Natürlich!“ – „Aber im Kampf gegen ein riesiges Orkheer…“ – „…schmieden sie eine Allianz?“ – „Naja, sie löten sie eher notdürftig zusammen.“ – „Klassiker!“
Oder, ganz verrückter Gedanke, anstatt Geschichten aus irgendeine Fantasyreihe wie Dungeons&Dragons, Demonworld, Schwarze Auge, Warhammer, Shannara, Eragon, Warcraft und wasweißichnichtalles zu verfilmen, warum nicht einfach ein eigenes Fantasysetting entwickeln mit Elbfen, Zwergen, Orks und Drachen, Zauberei und magischen Gegenständen, die den Charakter schädigen, auch wenn sie die Werte auf dem Charakterbogen puschen? Die einzige Tolkienfigur, die ich im Trailer ok finde, ist Galadriel. Wobei es auch bei ihr Beschwerden gibt, weil sie so auf Actiongirl getrimmt ist, denn eigentlich ist sie Magierin und Staatsmännin. Das klingt falsch, Staatsfrau? Nein. Also: Staatselbe. Ein Elb, eine Elbe, viele Elben. Jedenfalls, das ist vermutlich Galadriel, bevor sie ihren Elbenring bekam.
Nur, wenn das gar nicht Mittelerde und damit auch nicht Galadriel sein soll, gäbe es keine Beschwerden. Weder von Mittelerdefans, noch von D&D-Fans, noch von Warhammer-Fans oder sonstwem. Eine Elfe, die auf Tomb-Raider-Creed macht? Alles klar! Man hätte nicht nur eine Viertelmilliarde Dollar gespart, die man sinnvoller verpulvern könnte, sondern wäre künstlerisch auch viel freier.
- Ja, diese Elfen sind schwarz statt weiß, weil das Waldelfen sind, tropische Regenwaldelfen, um genau zu sein
- unsere Orks sind weiß statt grün, weil sie die unter der Erde leben und meistens nachts herauskommen
- diese Zwergin hat keinen Bart, weil ihre Großmutter, Königin Chantal Hyjyk, vom schlimmsten aller Zwergenflüche, dem Bartausfall, getroffen wurde, und alle anderen Zwerginnen im Hofstaat rasieren sich jetzt aus Solidarität
- unsere Halblinge sehen aus wie kleine Sinti und Roma, weil sie in bunten Kutschen leben
- unsere Menschen sehen alle aus wie Chinesen, sie haben chinesische Namen, und ihr Kaiserreich wird vom 357. Kind des Himmels regiert. Was war jetzt die Frage?
Ok, mehr kreative Freiheit und weniger Kosten ist natürlich kein Argument, wenn man weder die Hardcore-Fans noch die Gelegenheitsgucker ernst nimmt. Stattdessen kommt das:
Die Grundfrage hinter der Serie war für den Showrunner McKay:
“Can we come up with the novel Tolkien never wrote and do it as the mega-event series that could only happen now?”
„Können wir uns den Roman ausdenken, den Tolkien nie geschrieben hat, und ihn als Mega-Event-Serie umsetzen, die nur jetzt möglich ist?“
Nein. Das könnt Ihr nicht. Den Roman, den Tolkien nie geschrieben hat, könnt Ihr ebensowenig schreiben, wie Ihr das Gemälde malen könnt, das Picasso nie gemalt habt. Ihr müsst keine „Dokumentation“ über Mittelerde drehen – auch wenn ich die gerne gesehen hätte – Ihr müsst keine Jahrhunderte zwischen den Staffeln oder Folgen verstreichen lassen, damit nicht Eure menschlichen Figuren sterben – auch wenn tote Figuren bei GoT auch kein Problem waren – und einige Eurer künstlerischen Entscheidungen sind bestimmt besser als andere, und es ist ja auch Euer Projekt. Aber wenn Euch die Mythologie und der Weltenbau egal sind – Dinge also, für die Tolkien berühmt ist – dann ist das das falsche ‚verse für Euch, und es fliegt Euch um die Ohren. Ihr seid in einer schlechteren Situation als die Got-Macher in der achten Staffel, denen zwar auch die Bücher zum Verfilmen ausgegangen sind, die aber immerhin den Autoren noch fragen konnten. Und wenn Euch Mythologie und Weltenbau nicht egal sind, dann sollte Elrond nicht blond sein und Disa wäre bärtig. Vermutlich auch nicht schwarz, aber definitiv bärtig.
Und ja, eigentlich könnte ich jammern über Ausverkauf, Cash-Grapping und Melkmaschine, aber jetzt ist es eine woke Melkmaschine, weil „diverser“. Und das macht es nicht besser, sondern nur oberlehrerhafter. Klar kann es schwarze Elben und Zwerge geben. Aber der Unterschied zwischen einem weißen Zwerg und einem weißen Elben ist auf jeden Fall größer als der zwischen einem weißen und einem schwarzen Zwerg, oder auch einem schwarzen und einem weißen Menschen. Ich bin gespannt, was Elben und Zwerge, jetzt beide durchaus anfällig für Dünkel und Vorurteile, machen, wenn sie erfahren dass auch Menschen rassistisch sind. Aber gegenüber anderen Menschen. Mit etwas anderer Haut- und Haarfarbe. Irgendwas mit auf dem Boden rollen und lachen, vermutlich.