Reichelt Nachklapp

Nämlich hier.

Mythos Bürosex oder: der romantisierte Sexismus

Genau: Sex im Büro ist ein Mythos.

In einem Fall wie dem von Julian Reichelt geht es nie nur um das Fehlverhalten eines Typen: Bei sexuellen Beziehungen in einem beruflichen Abhängigkeitsverhältnis schwingt der Machtmissbrauch immer mit.

Ja, es sind ein Typ und mehrere Frauen. Und dem, was ich darüber hörte, entnehme ich nicht, dass er tatsächlich die Liebe seines Lebens auf der Arbeit gefunden hat.

Als ich in den vergangenen Tagen mit einigen heterosexuellen Männern sprach, progressiven, aufgeschlossenen, liberalen Typen, nahm ich etwas Seltsames wahr:

Andere Journalisten? Wenn das zufällig andere Journalisten sind, ja, die sind da gewissermaßen voreingenommen.

Diese Männer, die sich selbst als Feministen bezeichnen und die in der Öffentlichkeit zumeist als frauenempowerende Kavaliere auftreten, fanden die ganze Geschichte rund um den ehemaligen »Bild«-Chefredakteur Julian Reichelt natürlich »schlimm für die Frauen« und hielten ihn sinngemäß für ein zu verurteilendes Schwein.

Möglicherweise – ich sage das, weil die Art der Datenerhebung durch eine Journalistin und nicht etwa anonym stattfand – also eventuell sagen die sowieso nicht, was sie denken, sondern das, wovon sie annehmen, dass das Frau Ouassil nicht so sehr ärgert.

Jedoch äußerten sie ihre Entrüstung mit schräg liegendem Kopf und einem überlegten Willen zur Relativierung.

Wichtig: nicht den Kopf schief legen. Irgendwelche andere Körpersprache, um sich nicht verdächtig zu machen, ist wichtig, um sich nicht verdächtig zu machen.

Sie stellten dabei zwar nicht den gesamten Sachverhalt infrage und auch nicht die zu verachtende Frauenfeindlichkeit.

Aber der Umstand, dass Frauen, bei denen Reichelt das versucht hat, die aber nein sagten, ja ebenfalls benachteiligt wurden, und alle Frauen und Männer und Diverse, an denen Reichelt nichts dergleichen versucht hat, und deren Beförderungschancen von Reichelt eingeschränkt wurden, weil der so ein schlechter Chef war, den ignorieren die?

Aber es schwang doch eine Art brüderlicher Gleichmut mit, als sie beurteilten, ob man im professionellen Alltag eine Liaison mit einer Berufsanfängerin eingehen darf.

Sagten die explizit „Berufsanfängerin“? Oder ging es denen um Sex zwischen Kolleginnen und Kollegen allgemein? Nebenbei, wenn Reichelt schon Beförderungen gegen Sex aussprach, aber nicht direkt bei Berufsanfängerinnen, wäre das ja auch nicht unbedingt besser (leider Gottes ist Schmuddel-Chef – aka BILD-Chefredakteur – einer der bestbezahltesten Posten, die man als Journalist haben kann; d.h., die meisten Journalistinnen sind Geld-und-Macht-technisch nicht auf seiner Augenhöhe).

Diesen geistigen Spagat finde ich so bewundernswert wie bigott: Offenbar empfinden einige Männer die missbräuchlichen Ausfälle Reichelts nicht als problematisch, weil sie problematisch sind

Man könnte auch einwenden, dass das bei Reichelt auch System hatte. Oder, dass Sex zwischen Erwachsenen ok wäre, wenn die eine Seite der anderen weder eine Beförderung verspricht noch gewährt. Oder, dass die Frauen, die bei BILD arbeiten, jetzt auch nicht gerade besser seien als die Männer dort.

sondern weil man den Verursacher nicht mag. Ansonsten erscheint sein Fall halt wie so eine typische Arbeitsplatzromanze.

Da hat sie bestimmt Recht: viele „typische“ Arbeitsplatzromanzen sind bestimmt nicht weniger berechnend und korrupt wie das System namens Reichelt, und wer das anders sieht, will sich das nur schönreden. Oder ist zu romantisch und nicht zynisch genug.

Wie weit die Problematik dieser Angelegenheit reicht, hatten sie offensichtlich nicht verstanden. Im Gegenteil.

Was ist das Gegenteil von „verstehen“, wenn nicht „nicht verstehen“?

Bohrte ich nach, hielt man Reichelts Affären und den nächtlichen SMS-Verkehr zwar für schwierig, aber jetzt nicht gleich für vergleichbar mit Harvey Weinstein.

Also keine jahrzehntelange Haftstrafe für Reichelt? Bzw., wenn jemand, der eine jahrzehntelange Haftstrafe für Weinstein angemessen findet, aber für Reichelt nicht, dann hat er beides doch vergleichen, kommt aber zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Und mir wurde klar, dass manche Männer den Druck, der damit auf die Frauen ausgeübt wurde, als triviales Techtelmechtel verbuchen.

Mal gaaanz allgemein, ich kann mir schon vorstellen, dass Reichelt einen Druck ausübt, den er aber so geschickt tarnt, dass man nichts gegen ihn in der Hand hat, wenn Berufsanfängerin#378 damit zur Konkurrenz geht. Heißt aber umgekehrt, die allermeisten Journalisten hätten nicht dasselbe Machtgefälle wie Reichelt und daher auch nicht die Möglichkeit, so viel Druck aufzubauen.

Dass solche zwischenmenschlichen Dynamiken nicht in ihrer Missbräuchlichkeit wahrgenommen werden, sondern als erotische Abenteuer romantisiert und zu einem gesellschaftlichen Standard verklärt.

Wieso das ein Standard sein sollte, weiß ich allerdings auch nicht. Der Journalist, der kein Chefredakteur ist, sieht sich nicht in der Machposition, und daher nicht so schlimm, wenn er was mit einer – auch jüngeren – Kollegin anfängt. (Was jetzt natürlich auch nicht unbedingt stimmt.)

Der Oberarzt mit der Krankenschwester, der Chef mit der Angestellten, der Anwalt mit der juristischen Hilfe, der Professor mit der Studentin – zwar sei solches Anbandeln zwischen Kaffeeküche, Raucherpause, Sprechstunde und Weihnachtsfeier nicht professionell, aber ja wohl kein Ausdruck eines Sexismusproblems, wenn doch alles einvernehmlich ablaufe.

Was wäre mit dem Oberarzt und der Assistenzärztin? Wie flach müsste das Machtgefälle sein, damit das ok wäre? Was ist mit der Chefin und dem Angestellten? Was ist mit allen anderen Angestellten? Und wenn das wirklich rein sexuell ist, also ohne Beförderung, Gehaltserhöhung, schöneres Büro und ähnlicher Vorteile – wäre das dann ok?

Drei Jahre nach #MeToo ist meine Reaktion auf derartige Bewertungen des Falls Reichelt weniger verständnisvoll, mehr so ein: »Was?«.

Was wäre eigentlich, wenn die Initiative vom hierarchie-tieferen Individuum ausginge? Ich will wohlgemerkt nicht sagen, dass das bei Reichelt so gewesen wäre, aber solche Fälle gibt es ja auch.

Auf die Gefahr hin, wie eine puritanische, lustfeindliche Gouvernante zu wirken, die der Arbeitswelt alle heterogeschlechtliche Unbekümmertheit rauben möchte, muss ich den virilen Mythos »Arbeitsplatzaffäre« erstaunt entzaubern.

So „viril“ ist das nicht. Aber wie auch immer – selbst bei einem tatsächlich einvernehmlichen Verhältnis, bei der das Machtgefälle wirklich nicht eingesetzt wurde, wäre das immer noch nicht ok, weil dann die Gefahr besteht, dass der Rest der Belegschaft benachteiligt wird. Aber das ist dann ja kein feministisches Problem mehr, also Keks.

Die Möglichkeit, dass dieses Ungleichgewicht psychischen Druck und ökonomischen Zwang auf die Personen ausübt, die am kürzeren Hebel stehen … muss natürlich permanent berücksichtigt werden.

Aus Sicht von Außenstehenden mag das so sein. Aus Sicht der Beteiligten ist eher das Problem, was passiert, wenn die Beziehung scheitert.

Keinem Geschlecht will ich die Fähigkeit zur Selbstermächtigung absprechen, keine selbstbewusste Sexualität entmündigen.

Dann lassen Sie es doch.

Ich möchte für die Fälle von Machtmissbrauch sensibilisieren. Sie sind weiter verbreitet als angenommen.

Auch, wenn man annimmt, dass das immer so ist? Ich habe, ehrlich gesagt, überhaupt keine Ahnung, was „angenommen“ wird. Und natürlich sind die schlimmeren Fälle die, bei denen man mehr auf Heimlichkeit achtet.

Hinzu kommt: Die Übergriffigkeiten, die als besonders beklemmendes Negativbeispiel ans Tageslicht kommen, werden gern als einzelne, nicht repräsentative Ausfälle chauvinistischer Trotteligkeit machtbetrunkener Egozentriker gelabelt.

Jein. Die meisten Männer haben einfach nicht so viel Macht wie Weinstein, Reichelt u.ä., was jetzt nicht heißen soll, dass die ohne Macht dergleichen nicht versuchen würden oder wollten, aber das extreme Machtgefälle ist halt meistens nicht vorhanden, deshalb sind diese Fälle tatsächlich nicht repräsentativ.

Dadurch verkennt man allerdings dankbar die ganze subtile Allgegenwärtigkeit, die ganzen unsichtbaren Kräfte, die auf Frauen in ökonomischen Situationen einwirken.

Ok, aber erstens sind Kräfte immer unsichtbar, und zweitens, diese Kräfte sind anderswo nicht unsichtbarer als vielmehr schwächer. Eine Voluntärin verdient sehr wenig Geld, nicht nur im Verhältnis zum Schmuddel-Chef. Die Rechtsanwältin direkt von der Uni verdient bestimmt auch weniger als der Kanzlei-Gründer, für den sie arbeitet, aber da ist tatsächlich das Machtgefälle kleiner, so dass sie sich besser wehren kann. Oder kündigen. Oder zu der Kanzlei mit Schwerpunkt auf Arbeitsrecht gehen.

Dass ein redaktionelles Umfeld diese Dynamiken kennt und normalisierend hinnimmt, ist Teil, Grund und zugleich Ergebnis einer systematischen Diskriminierung.

Ich könnte mir vorstellen – was keine Ausrede wäre, aber trotzdem – dass die bei der BILD, wo man ständig über Sexskandale schreibt und „Schmuddel-Kram“ und Artverwandtes, eine gewisse Abgestumpftheit entwickelt, die man beim Spiegel bspw. so nicht hätte. Aber gut, ich will das nicht ausschließen. (Anscheinend war der BILD-Redaktion i.Allg. klar, welche Mitarbeiterinnen von Reichelt protegiert wurden und warum…)

Dieser Sexismus beginnt mit einem Arbeitsumfeld, in dem junge Frauen wie selbstverständlich mit »Vorsicht, das ist eine von Julian« objektifiziert, nach »Fuckability« bewertet und damit enthumanisiert werden dürfen.

Weil nicht-humane Objekte ja viel mehr „Fuckability“ haben? Ja, „Vorsicht, eine von Julian!“ ist die Folge, nicht die Ursache von Reichelts Methode der Mitarbeiter-Auswahl, aber wenn die anderen Schmuddel-Redakteure nicht sagen: „Die kann das nicht, die will das eigentlich auch nicht, und wir hätten eigentlich genug andere, die das machen könnten – lass die Scheiße bleiben!“, hat Reichelt auch keinen Grund, was anders zu machen.

Wenn Betroffene sich aus Angst vor Rache nicht öffentlich äußern, gibt es offensichtlich ein institutionelles Problem.

Rache von oder an Reichelt? Oder von den Kollegen? Ich frage für die Allgemeinheit.

Wenn Handlungen heimlich erfolgen müssen, dürften die Profiteure des Systems wissen, dass es offenbar nicht rechtens ist.

Mal ganz allgemein – wenn Sex unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, ist das nicht das Eingeständnis, dass Sex nicht rechtens ist. Ansonsten, wenn Betroffene nicht reden, kann das sowohl Angst vor Rache sein als auch das Bewusstsein, von einer illegitimen Handlung zu profitieren. Sowohl bei Reichelt als auch bei der Berufsanfängerin.

das gleichmütig-professionelle Hinnehmen eines bis zur Verdrängung hin romantisierten Arbeitsplatz-Sexismus.

Einfach direkt abmahnen. Auch, wenn die sich privat treffen. Auch, wenn er nur ein Jahr länger in der Firma arbeitet als sie. Auch, wenn es keinerlei berufliche Auswirkungen hat. Das private ist politisch.

Ein Gedanke zu “Reichelt Nachklapp

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