Ideo-Logik

Hachja.

„Niemand sollte in Deutschland gezwungen werden, zu gendern!“ empörte sich CDU-Hamburg-Chef Christoph Ploß (35) vor kurzem in der BILD-Zeitung.

Ja, dasselbe Argument gibt es auch gegen Kreuze in Ämtern. Und irgendwas mit Kopftuch. Aber ja, auch wenn die CDU nicht ganz konsequent in ihren Argumenten ist, jemanden zum gendern zwingen ist ungefähr dasselbe, wie zum Tragen von Kreuzen und/oder Kopftüchern zu zwingen. Kreuze und Kopftücher verbieten ist wie das verbieten von gendern.

Das ist sehr, sehr lustig – denn wir alle werden jeden Tag durch die deutsche Grammatik gezwungen, zu gendern.

Wie zwingt uns die dt. Grammatik? Lässt die uns erschießen? Droht die mit Zwangsgeldern? Wo wohnt diese Grammatik eigentlich? Und wer genau ist „wir“? Man kann ja leicht auf andere Sprachen ausweichen.

Unsere deutsche Sprache begründet mit seinem generischen Maskulinum die männliche Vorherrschaft.

Wem gehört die dt. Sprache? Wenn sie Eigentum vom jemanden ist, ist sie persönlich unfrei, und es ist egal, was sie begründet.

Auch, wenn die oder der Sprechende das gar nicht möchte: Die Sprache selbst geht davon aus, dass Mann und Mensch gleichgesetzt werden, Frauen kommen als Anhängsel oder „Extra“ vor.

Dieselbe Sprache, in der ein Comic nicht notwendigerweise was mit Komik zu tun hat? In der Leberkäse weder aus Milch noch aus Leber gemacht wird? Wo „unter dem eigenen Dach“ dasselbe bedeutet wie „in den eigenen vier Wänden“, auch wenn sich beide Aussagen unterscheiden? Und wo asphaltierte Straßen immer noch geteert genannt werden? Sprachen sind ein Haufen voller unlogischer, kontraintuitiver und inkonsistenter Regeln, von daher: keks.

Unsere Sprache hat sich nämlich parallel zur Verbreitung des Christentums entwickelt. In den Bibelschriften, die auch Basis für die deutsche Luther-Übersetzung 1534 waren, ist Mann und Mensch dasselbe.

Ich wüsste Sprachen, wo das schlimmer ist. Hallo Französisch. Aber dass Luthers Bibelübersetzung im Alleingang die dt. Sprache erschaffen hat, ist ein Narrativ. Die Christianisierung war zu Luthers Zeiten im deutschen Sprachraum schon lange abgeschlossen.

Adam, der erste Mensch auf Erden, heißt zwar in Hebräisch neutral „Erdenwesen“, was man mit „Mensch“ übersetzen könnte. Aber er wurde zum Mann, dem eine Frau beschafft werden musste: Die schuf Gott aus seiner Rippe. Eva war irgendwie extra, sein Anhängsel und Untertan, aber er, Adam, kam zuerst.

Es gibt zwei Schöpfungsgeschichten in der Bibel. Die Geschichte mit der Rippe ist die eine. Die andere sagt „als Mann und Frau schuf er sie“. Aber wie auch immer, auch in Sprachen ohne Gender gibt es Bibelübersetzungen. Die ganze Verschwörungstheorie bricht ziemlich zusammen, wenn das, was die Verschwörung angeblich gemacht haben soll, woanders nicht gemacht wurde, mit ziemlich gleichen Ergebnissen.

So wie Gott (von dem oder der man sich eigentlich kein Bild machen soll) und Jesus im praktizierten Christentum immer wieder vertauscht und beide mit „HERR“ angesprochen werden (was theologisch nicht sauber ist)

Ja, soll man die mit „Diener“ anreden? Nebenbei waren die Gesellschaften vor Einführung des Christentums eigentlich nicht irgendwie moderner, progressiver oder frauenfreundlicher. Weder christliche Theologie noch Bibelübersetzung können daher die alleinige Ursache für das Patriarchat sein.

spricht unsere deutsche Sprache im „Preset-Modus“ nur von Männern. Insofern, liebe CDU: Wir gendern alle, jeden Tag.

Generisches Maskulinum ist tatsächlich nicht ganz logisch, aber das ist halt eine unlogische, weil gewachsene Sprache. (Keine „natürliche“ Sprache – eine Sprache ist komplett von Menschen gemacht, und Menschenwerk ist das Gegenteil von natürlich). Nebenbei meint der Mann mit „gendern“ die Sonderkonstruktionen, die sich auf Männer, Frauen, diverse und sonstige Personen beziehen sollen. Nicht die Verwendung eines Genus.

„Gerade Behörden und der öffentlich-rechtliche Rundfunk sind zur Neutralität verpflichtet, sie sollen grammatikalisch korrekt und ohne ideologischen Überbau kommunizieren.“ Ich mache mir bei solchen Sätzen Sorgen, wie viel Bildung in der CDU ist.

Ja, schon, aber das hat ja jetzt damit nichts zu tun. Bzw., man kann sich darüber streiten, was „neutral“ ist, wenn eine Behörde sich einfach eine eigene Grammatik ausdenken kann, dann darf ich das ja wohl auch Anträge in Latein verfassen.

Unsere Sprache war schon immer ideologisch. Darüber, wie unsere deutsche Sprache entstanden ist und wieviel Ideologie sie enthält, darüber sollten wir nicht mehr streiten müssen.

Wenn sie dauernd „unsere deutsche Sprache“ sagt, klingt sie selbst wie ein Politiker. Nein, die dt. Sprache ist nicht entstanden, um irgendeiner Ideologie Vorteile zu verschaffen. Schon deshalb nicht, weil es Jahrhunderte lang keine gemeinsame Regierung gab, die das hätte durchsetzen können. Und weil das dann eine Plansprache wäre, und so logisch ist die nicht. Zwei von drei Genera im Dt. sind nach Wörtern benannt, die ein anderes Genus als das bezeichnete haben: der Mann ist zwar männlich, aber das Weib sächlich und die Sache weiblich. Wer hat sich das ausgedacht? Niemand – es ist keine planmäßig entstandene Sprache.

Frauen wurden Jahrhunderte verkauft, verheiratet, in Ehen versklavt, durften nicht erben, kein Vermögen anhäufen und hatten keine Rechte

Davon mal abgesehen – wenn Frauen sowieso unterdrückt waren, wieso müsste man eine ideologische Sprache entwickeln, um sie sprachlich zu benachteiligen? Diese Verschwörungstheorie ist nicht einmal plausibel. Also im Vergleich dazu, dass eine Verschwörung Kennedys Ermordung plant, ein Bauernopfer aufbaut und dann diese Person auch noch erschießen lässt, damit der nichts falsches sagt. Mal so als Vergleich.

Das Recht, in der Ehe nicht vergewaltigt werden zu müssen, kam erst 1997

Achja, guck mal.

Diese Geschichte ist mit unserer Sprache verbunden, und deshalb kommen wir auch erst jetzt dazu, zu merken, dass wir auch sie ändern müssten, um wirklich gleichberechtigt zu sein.

Nein. Unsere Gesetze, wie gut oder schlecht sie sein mögen, wären dieselben, wenn man sie in andere Sprachen übersetzt. Sprache verändert die Wirklichkeit nicht annähernd so, wie die das einen glauben lassen wollen.

 „Wenn Elitensprache benutzt wird, um Nachrichten zu übermitteln, dann nimmt man in Kauf, dass sich ein großer Teil der Menschen sprachlich ausgegrenzt fühlt.“, dann ist das weitaus nachvollziehbarer.

Kubicki ist auch jemand, der stolz darauf ist, nicht zu intellektuell zu sein. Und generell geht es bei Nachrichten um Präzision. Wenn der Text wäre, bei einem Umglück kamen acht Frauen, zwei Kinder und zehn Männer ums Leben – Reihenfolge natürlich ohne Wertung – dann ist das Präziser als: „Es starben 20 Personen.“

Gendersprache ist elitär, genau, wie die Rechtschreibreform von einer Elite erarbeitet wurde (und ich die bis heute nicht geschnallt habe. Ohne Rechtschreibprogramm wäre ich aufgeschmissen).

Unverständnis ist kein Argument. Da kann sie mit Kubicki mal die Hände schütteln. Der Unterschied bei der Rechtschreibreform bzgl. zum Gendern war:

  1. Die Reform hatte den expliziten Anspruch, die Sache zu vereinfachen
  2. Es ging nur um die Rechtschreibung – daher der Name – nicht um die erlaubte oder verbotene Verwendung von Wörtern
  3. Der elitenhafte Einstieg wurde als zu undemokratisch und zu wenig von der Öffentlichkeit getragen kritisiert
  4. Deshalb gab es eine Reform von der Reform, wobei einige Sachen entweder rückgängig gemacht oder modifiziert wurden
  5. Es wurde als einziges neues Schriftzeichen das große ß eingeführt, was ich hier nicht zeigen kann
  6. Es wurde keine neue Art der Pluralbildung oder der Genusveränderung eingeführt

Ja, wenn eine Jahrzehnte lange Diskussion zu neuen Ergebnissen führte, die nicht komplett logisch, aber insgesamt schlüssiger und leichter zu lernen sind, ist das nicht dasselbe, als wenn jemand statt „Dachdecker“ oder Dachdeckerinnen und Dachdecker“ oder meinetwegen „Dachdeckerinnen und nicht-weibliche Dachdecker“ „Dachdecker’innen“ sagt. Das „‚“ ist der Verschlusslaut.

Meine kleine, private Revolution läuft darüber, „dass“ heimlich, bei handgeschriebenen Briefen und Karten, weiterhin mit ß zu schreiben.

Ja, Punk ist nicht tot. Punk schreibt „daß“ nicht mit SS. Die schlüssige Erklärung ist, dass das a in „dass“ kurz ist. Wer damit ein Problem hat, macht Leute schlecht, die nicht „Dachdecker’innen“ sagen wollen.

Das ist störrisch und Fortschrittsfeindlich, und ein bisschen davon sollten wir allen gönnen.

„Fortschrittfeindlich“ ist auch als Kompositum ein Adjektiv und wird nach jeder Rechtschreibordnung klein geschrieben.

Aber den Fortschritt mit historisch und linguistisch falschen Tatsachen bekämpfen zu wollen, sollten wir nicht dulden.

Wer selbst mit historisch und linguistisch falschen Behauptungen argumentiert, sollte besser gar nicht argumentieren. Verschwörungsheoretikerin.

Lasst uns doch lieber gemeinsam darauf herumdenken, wie die neue „Gendersprache“ bzw. eine Sprache, die keinem Geschlecht Nachteile verschafft, besser aussehen könnte.

Türkisch? Finnisch? Japanisch?

Denn dass vieles noch nicht optimal gelöst ist, darauf können wir uns doch eher einigen als darauf, dass die jetzige Sprachform keine Gendersprache ist.

Können „wir“ nicht, weil Sie und ich unterschiedliche Ansichten haben, was mit „Gendersprache“ gemeint sei. Wir haben auch unterschiedliche Ansichten davon, welche konkreten Nachteile eine Sprache verursachen soll. Da ich diesbezüglich aber daher keinen Handlungsbedarf sehe – keks.

2 Gedanken zu “Ideo-Logik

  1. Wie ich drüben bei MANNdat schon geschrieben habe:

    Die Männer sind auch im generischen Maskulinum ebenfalls nur mitgedacht – genau wie die Frauen. Wenn es keine exklusiv-weibliche Form gäbe, wäre die generische Form auch nie in Verdacht geraten, allein Männer zu meinen oder die Frauen auf einen zweiten Platz zu degradieren. Ich habe das hier ausführlich erläutert, wenn die Eigenwerbung erlaubt ist:

    Das generische "Maskulinum" – frauenausgrenzend?

    Auch Walter Krämer vom Verein Deutsche Sprache hält fest:

    „Der erste Irrtum besteht in der Annahme, dass zwischen dem natürlichen und dem sogenannten grammatischen Geschlecht ein Zusammenhang bestehe. Es war historisch gesehen ein Riesenfehler, «Genus» als «grammatikalisches Geschlecht» zu übersetzen. Das Genus ist ein Mittel, um Substantive in Klassen zu ordnen. Mit Geschlecht hat das nicht das Geringste zu tun. Gleiches gilt für den Begriff «Geschlechtswort» für Artikel. Das ist dumm und irreführend. Und es ist einer der Gründe für das aktuelle Übel.“

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