Drüben

#allesdichtmachen ist mittlerweile in Talkshows angekommen.

In Gestalt von Jan Josef Liefers.

Okeee.

Früher gab es in der BRD einen Spruch. Den fand ich damals schon doof, heute doppelt doof, und dreifach doof, wenn man ihn einem ehemaligen DDR-Bewohner reindrückt.

Der Spruch geht: „Geh doch nach drüben!“ (wenn Dir das und das nicht passt.)

Denn nur, weil etwas woanders noch schlimmer ist, ist man selbst noch nicht bestmöglich. Außerdem waren und sind viele Probleme der BRD nicht die unmittelbare oder mittelbare Folge von Demokratie, Rechtsstaat, freiheitlichen Grundrechten und/oder (mehr oder weniger sozialer) Marktwirtschaft. Einige schon, ja, aber viele könnte man in Rahmen dessen lösen oder verbessern.

Punkt ist aber, dass sich Jan Josef Liefers an die DDR erinnert fühlt, weil man ihn Applaus von der falschen Seite vorwirft, er erwiedert, dass er nichts dafür kann, von wem er Applaus kriegt, und wird dann gefragt, ob er so naiv sei.

Nuuun, ist Liefers‘ semigeistreiche Erwiederung, zuletzt habe man ihn diese Frage an der Schauspielschule in der DDR gestellt. Kann ja sein, aber ich kenne den Spruch auch aus anderen Zusammenhängen, das ist die latent höflichere Version von „Sind Sie so dumm oder tun Sie nur so?“

Was jetzt ein bisschen auch über JJL aussagt, wenn er den Spruch sonst nie gehört hat.

Wie auch immer, Querdenker sehen sich selbst als repäsentativen Querschnitt der Gesellschaft quer durch alle Gruppen und Gruppierungen, was jetzt insofern nicht falsch ist, als dass es auch Ultralinke gibt, die gegen die aktuellen Coronamaßnahmen sind, weil sie sie für viel zu übertrieben halten. Man ist also nicht automatisch rechtsradikal, weil man Querdenker ist, und auch nicht, weil man von denen Zustimmung erhält. Zumal die Rechtsradikalen es auch nicht für unter ihrer Würde halten, die Ansichten anderer für ihre Ziele zu instrumentalisieren.

Allerdings ist hier die Beobachtung zu machen, dass #allesdichtmachen hauptsächlich bis ausschließlich von Querdenkern Zuspruch findet, und zwar wenig überraschend, da es ziemlich deckungsgleich mit denen ist.

Um das mal einzuordnen: ich zeige Sympathie mit Incels als Gruppe, einige Incels sind rechtsradikal. Jeder Incel wird sich vermutlich über Sympathie freuen, also auch die rechtsradikalen, ergo habe ich auch Applaus von Rechts. Jetzt sehe ich es aber grundsätzlich nicht ein, mich zu verbiegen, nur um nicht für Rechts gehalten zu werden.

Bzw., mein Argument ist hier, dass ich einen Berührungspunkt mit Rechten habe, der aber weder das „Kerngeschäft“ der Rechten ist noch ein Berührungspunkt NUR mit Rechten darstellt.

Einen analogen „Vertrauenvorschuss“ würde ich jetzt JJL auch zugestehen, allerdings ist seine Aktion (bzw. die Aktion, deren Gesicht er ist) derartig designed, dass sie praktisch nur von Querdenkenden(m/w/d) Applaus kriegen kann.

Aber auch in Hinblick dahin könnte er sagen, dass er selbst nicht rechts ist. Oder – mit etwas mehr Hirnakrobatik alledings – dass er kein Querdenker ist, sondern nur zufällig dieselben Interessen und Ziele hat. So wie früher in der DDR, wo auch nicht alle, die für Demokratie und gegen Überwachungsstaat waren, keine Klassenfeinde waren, sondern für Demokratie und gegen Überwachung. Also, dass „Querdenker“ ein Begriff ist, den die so bezeichneten Menschen ablehnen. Was allerdings deshalb Hirnakrobatik erzeugt, weil viele Leute sich tatsächlich selbst so nennen, im Unterschied zu Klassenfeind.

Der Hauptgrund allerdings, warum mich der Teil der Aktion, also die nachgeschobenen Begründungen, micht tatsächlich mehr nervt als die Aktion selber, ist der DDR-Vergleich.

Es gibt eine extrem heftige Debatte über Sinn und Unsinn von Corona-Maßnahmen im Allgemeinen und jede einzelne im Speziellen. Klar kann sich JJL oder sonstwer daran beteiligen, auch wenn dieser Gestus des selbstlosen Erlösertums, dass der Rest der Republik genau auf Schauspieler gewartet hätte, eher selbstverliebt ist als alles andere, aber er kann es, und zwar ohne Vorgaben, auf welche Seite er sich schlägt.

Aber hält er sich wirklich für schlau, oder tut er nur so, wenn er eine etwas härte Frage eines Journalisten mit der DDR in Verbindung bringt? In der es Schlagzeilen gab wie: „Wohnungsnot in Westdeutschland!“ und „Fünf neue Wohnungen in Leipzig fertiggestellt.“? Womit ich die investigative Härte des DDR-Journalismusses in ganzer Breite erschlagen wissen will.

Jedenfalls kann man ihm nicht sagen: „Geh doch nach drüben.“ Was jetzt ein bisschen schade ist, aber geht halt nicht. Bzw., es zu sagen ginge schon, aber es gibt kein „drüben“. Es gibt Länder, die die Corona-Lage deutlich besser im Griff haben, dank härterer Maßnahmen als den Killefit, über den er sich beschwert, und besseren Impfkampagnen, in die will er wohl nicht, es gibt Länder, die die Lage deutlich schlechter im Griff haben, mangels beidem, in die will er bestimmt nicht, und es gibt Länder, die die ungefähr genausogut im Griff haben wie Deutschland, das wäre dann egal. Aber immerhin, er könnte gehen, OHNE dass ihn jemand in den Rücken schießt. Was ein ganz wesentlicher Unterschied zur DDR ist.

Außerdem:

  • In der DDR hätte man die Politik in keinster Weise ironisch kritisieren dürfen, oder unironisch, oder sonstwie
  • In der DDR wäre Youtube verboten gewesen
  • In der DDR hätte man auch dann kein Internet gehabt, wenn man es damals erfunden hätte
  • In der DDR wären Fragen zu seiner Naivität nicht von „Journalisten“ gekommen
  • In der DDR wäre dann seine Antwort – ausweichend oder nicht – nicht in der Zeitung gelandet
  • Oder sein Name
  • Oder sein Nachruf
  • In der DDR gab es keine Talkshows, in denen man ihn hätte nicht einladen können, und zwar aus Gründen, die eine Menge mit Demokratie, Freiheit und sogar Marktwirtschaft zu tun haben

Was bleibt, ist Schöner Jammern mit JJL.

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