Minderheitsprogramm

Jetzt mal wieder

Es werden zu wenig realistische Geschichten über nicht-weiße Menschen erzählt

Ja, das stimmt. Ich hatte mich sehr auf den zweiten Teil von Jim Knopf gefreut, aber das wäre ja eine unrealistische Geschichte.

Dabei machen Streaming-Dienste vor, wie gutes diverses Fernsehen aussehen kann.

Häh? Also werden doch welche erzählt?

Ich erinnere mich noch genau an die dritte Staffel der Castingshow „Popstars“ aus dem Jahr 2003. Anh-Thu Doan schaffte es darin, Mitglied der Girlband „Preluders“ zu werden. Es war das erste Mal, dass ich eine viet-deutsche Person im Fernsehen sah.

Ok, das ist sicher auch eine Generationenfrage. Die erste viet-deutsche Person, die ich im dt. Fernsehen sah, war sie  hier. In einer Talkshow erzählte sie über ihre Vettern in Vietnam (ok, dass machte sie öfter): die meinten zu ihr, dass ihr Zukünftiger doch am besten „staubdumm“ sein müsse, weil sie so viel redete. „‚Staubdumm‘?“ – „Sorry, Taubstumm.“ – „Oh, ich dachte, das wäre sowas wie ’strohdoof‘?“ – „Nein.“ Genau DAS sagen meine Cousinen über meine Zukünftige, aus genau denselben Gründen. Volle Empathie für Minh-Khai Phan-Thi!

„Die ist ja so wie ich“, freute ich mich als Achtjährige.

Genau das Gefühl. Nagut, fast das Gefühl. Sie hat ihr Redetalent beruflich verwirklicht.

Denke ich an die deutsche Fernsehlandschaft und vor allem an die fiktionalen Formate, verbinde ich das nicht mit Diversität oder vielfältigen Geschichten.

Ja, weil deutsches Fernsehen nicht für den internationalen Markt gedacht ist?

Wer diese Kolumne schon seit einer Weile verfolgt, merkt, dass ich immer wieder englischsprachige Serien und Filme analysiere.

Joah. Das ist recht offensichtlich.

In Deutschland gibt es selten etwas, das mich wirklich anspricht.

Nun, die englisch-sprachigen Serien sind aber auch alle entweder latent oder offen rassistisch. Irgendwie ist das „geh doch nach drüben“-Argument hier besonders unsinnig.

Ich sehe mich nicht in der Zielgruppe von typischen Fernsehfilmen und -serien.

Ich glaube, das beruht auf Gegenseitigkeit.

Viele Produktionen scheinen einfach immer wieder in sehr ähnlichen Settings wie bei der Polizei … oder im Krankenhaus … zu spielen.

Stimmt, in so einer Zeitungsredaktion müssten eigentlich auch spannende Geschichten erzählbar sein. Ich überlege gerade wirklich, warum es das nicht öfter gibt.

Mich nervt die mangelnde Diversität an nicht-weißen Geschichten.

Genau, iranisch-stämmige Ärtze sind doch schon ein Klischee; warum nicht einfach mal einen davon in einer Arztserie einbauen?

Es wird eine Gesellschaft abgebildet, die so gar nicht aussieht.

Nun, wenn man deutlich mehr Polizisten mit Migrationshintergrund in Krimi-Serien einbauen würde, bildet das eine diverse Polizei ab, die SO leider auch nicht existiert, und dann wäre der Vorwurf, dass das verharmlost würde. Nagut, man könnte einfach weniger Krimiserien zeigen, aber hahaha. Nein.

In mir stirbt etwas, wenn ich talentierte Schwarze oder Schauspieler*innen of Color sehe, die (wie oft in Krimiserien oder -filmen) in Klischees als Geflüchteter, Drogendealer oder Prostituierte besetzt wurden.

Auch da gibt es ein Gegenbeispiel. Hat dann leider aufgehört, um in die Politik zu gehen. Auf der Pro-Seite, es ist besser, Schwarze im Bundestag zu vertreten als als Fernsehkommissar. Und die Nachfolge ist dann auch schwarz besetzt worden.

Besonders unangenehm finde ich es, wenn Schwarze oder Schauspieler*innen of Color Ausländer*innen mit dickem Akzent spielen müssen, obwohl sie eigentlich akzentfrei deutsch sprechen (zum Beispiel Nilam Farooq im Tatort „Roomservice“).

Ja, aber sollen für diese Rollen Menschen engagiert werden, die tatsächlich einen dicken Akzent haben und deshalb eher keine hauptberuflichen Schauspieler in Deutschland werden? Und würde umgekehrt jemanden, der akzentfreies Hochdeutsch spricht, aber für die Rolle hart berlinert oder weich hesselt, unterstellt, dass er die jeweilige Landsmannschaft verarschen will? Jetzt ruft bestimmt wieder jemand: „Ja aber sicher!“

Mit der MTV Deutschland-Kampagne #KeinenRassismusProduzieren setzten sich Mitte Februar deutsche BIPoC-Schauspieler*innen und Unterstützer*innen gegen stereotypes Casting ein.

Ok, liebe leute, nicht ALLES aus den USA importieren. In den USA sind die Indigenen eine sehr marginalisierte Minderheit. In Deutschland nicht. Auch, wenn die AfD so tut als ob. Nagut, die Sorben vllt., aber die meinen die nicht.

Marginalisierte sollten Mitspracherecht haben, nicht stereotyp, sondern in ihren vielschichtigen Lebensrealitäten dargestellt werden.

Äh, Mitspracherecht? Ich werde nicht gefragt, wer in einer Fernsehproduktion von wem gespielt werden soll. Die Schauspieler i.d.R. auch nicht. Es gibt kein Mitspracherecht. Was nicht heißt, dass man keine bisexuellen Schwarzen einstellen sollte, um straighte Kriminalbeamte darzustellen, aber diese Entscheidung wird nicht demokratisch getroffen.

Film und Fernsehen sollten nicht nur aus moralischen Gründen auf Diversität achten – auch wirtschaftlich ergibt das Sinn.

Filme und Fernsehen ist nicht moralisch. Bzw., manchmal schon, aber es ist nicht die Aufgabe von Film und Fernsehen, moralisch zu sein. Nur moralsaure Anstandsfuzzis fordern das. Wäre das so, würde der Mörder immer bestraft und gingen alle Geschichten gut aus. Der erste Halbsatz ist schonmal Blödsinn. Ja, man sollte, selbst als ö.-r. Sender, darauf achten, dass das Ergebnis zum Aufwand passt. Aber…

Streamingplattformen brüsten sich bereits mit ihrem diversen Angebot, sprechen somit ein größeres Publikum an und generieren dadurch mehr Einnahmen.

Ja, aber wenn man ein internationales Publikum hat, sind die Produktionskosten auf eine größere Nachfrage umlegbar, und man muss für den deutschsprachigen Markt nur noch die Synchro bezahlen.

Netflix hat mit „Strong Black Lead“, auf Instagram und Twitter eigene Social Media-Kanäle, die sich nur Inhalten von und mit Schwarzen Protagonist*innen widmen.

Rund ein Achtel aller US-Bürger sind schwarz. Rund ein Prozent aller Deutschen sind Afrodeutsche. Selbst, wenn Afrodeutsche nur solche Serien sehen wollen, die schwarze Hauptpersonen haben, und Eurodeutsche, Asiadeutsche, Amerikadeutsche und Australiendeutsche KEINERLEI derartige Präferenzen hätten – was ich beides so für falsch halte – würde der Umsatz bzw. die Einschaltquoten sich in D. nur um 1 % erhöhen. Ich mein ja nur.

Um zu vermeiden, dass das Publikum für Fiktionales lieber bei den Streamern einschaltet, muss das deutsche Fernsehen nachziehen.

Ich bin weder Fernseh- noch Streaming-Zuschauer, aber selbst, wenn alle Leute im analogen Fernsehen meine Hautfarbe hätten, wäre Streaming trotzdem attraktiver für mich. Warum sollte das bei BPoC anders sein?

Im Mittelpunkt steht die Schwarze, lesbische Schülerin Fatou. Sie ist verknallt in ihre viet-deutsche Mitschülerin Kieu My.

Hat eine von denen Zeitmanipulationskräfte? Wenn nicht, ist mir das zu realistisch.

Erzählt wird von Schulstress, Freundschaften, Erwachsenwerden.

Gut, dass ich solche Probleme nicht mehr habe.

Eine weitere tolle Serie ist „Breaking Even“ von ZDFneo. Lorna Ishema ist eine der wenigen Schwarzen Protagonist*innen in deutschen Serien.

Ist Lorna eine Frau? Ein Mann? Divers? Intuitiv halte ich die Endung „a“ für weiblich, aber das ist zu eurozentrisch gedacht. (Ja, man kann auf den Link klicken…)

Nach nur einer Staffel wurde das Format allerdings eingestellt. ZDFneo begründet das mit zu wenig Resonanz.

Ok, das lag ja vllt. nicht an der Hautfarbe, sondern an was anderem…

Eine Person schrieb, dass die mangelnde Promo des Senders zu den schlechten Zahlen beigetragen habe.

…allerdings, echt jetzt? Keine Kritikerin in einer Zeitung, kein Experte für Marketing, keine eigene Recherche, sondern eine (1!) Person bei Twitter. DIE weiß das.

Wir sind allerdings hier. Wir wollen uns auch in Hauptrollen und als komplexe Charaktere auf den deutschen Bildschirmen sehen. Unsere Geschichten gehören genauso erzählt wie die von weißen Deutschen.

Ja, aber die allermeisten Geschichten erheben gar nicht den Anspruch, die tatsächlichen Geschichten von „weißen Deutschen“ zu sein, weil die meisten weißen Deutschen nicht in der Strafverfolgung und/oder Medizin arbeiten. Auch, wenn das Fernsehen diesen Eindruck erweckt. Das soll eskapistisch sein, nicht realistisch. Trotzdem: nichts gegen Serien mit schwarzen Hauptpersonen.

Alles zwischen Hangasch und Lummerland.

2 Gedanken zu “Minderheitsprogramm

  1. Ich habe meine erste Brille zur Einschulung bekommen.
    Wieviele Hauptcharakter im deutschen und amerikanischen TV gibt es, die KEINE Nerds/Freaks/Klugscheißer sind?

    Übrigens kann ich als geborener Münsterländer über den Sachsen Liefers und den Holsteiner Prahl nur schmunzeln, die im Tatort zwei Poahlbürger darstellen.

    Like

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s