Ein verhängnisvoller Report der Katastrophe

Ok, die Corona-Krise zum Anlass nehmen, mehr oder weniger die eigenen Programmatik zu fordern, weil die so gut helfen würde. Warjaklar.

Zur Abwechslung ein anderes Problem zum Anlass nehmen, die eigene Programmatik zu fördern. Kreativ!

Hachja.

BOATENG: DER MYTHOS DER FAMILIENZERSTÖRERIN

Boateng ist kein Mythos, die reale Existenz von Boateng wurde empirisch durch zahllose Augenzeugen und verschiedene Schiedsrichter nachgewiesen.

“Dan Gallagher ist ein erfolgreicher, glücklich verheirateter Anwalt, der mit seiner Frau Beth und Tochter Ellen in Manhattan lebt….“

Das ist der Beginn von „Eine verhängnisvolle Affäre“, zitiert nach Tante Wiki, welche an der englischen Version des Artikel angelegt ist. Punkt A: das ist ein Film. Punkt B: der nicht nach wahren Begebenheiten gedreht wurde. Und Punkt C: der sollte tatsächlich mit einem Selbstmord enden, aber das gefiel dem Testpublikum wohl nicht. Dass gewisse Medien sich für ihre „Berichterstattung“ von Filmen „inspirieren“ lassen, mag ja sein, aber die Problematik geht in beide Richtungen.

Und so beginnt vor dem Hintergrund des tragischen Suizids von Kasia Lenhardt auch dieser Text.

Ja, auch hier wird ein Ereignis aus dem Richtigen Leben mit einem literarischen Konzept verknüpft. Wenn man Mehrfachmorde nicht mehr „Familiendramen“ nennen soll, ok, dann sollte man Selbstmorde bitte auch nicht „tragisch“ nennen. Vor allem, weil es auch keine komischen Selbstmorde gibt.

Kasia Lenhardt war Model und wurde 2012 als Teilnehmerin von “Germany’s Next Topmodel” bekannt.

Das ist fast neun Jahre her. Muss man ihr das gerade jetzt noch zum Vorwurf machen?

Darüber hinaus entwickelten die Boulevardmedien … gesteigertes Interesse an ihr, als sie 2019 eine Beziehung mit dem Fußballnationalspieler Jérôme Boateng begann.

Naja, eigentlich haben die Interesse an Boateng, aber das ist eigentlich noch fragwürdiger. Fußball und Klatsch sind offenbar wichtigere Themen als alle anderen, da gehe ich die Kritik an dieser Stelle voll mit.

Boateng befand sich zu dem Zeitpunkt noch in einer Beziehung mit Rebecca Silvera, der Mutter seiner Kinder. Ein gefundenes Fressen für jenen Teil der “Medien”, die mit Klatsch und Häme über Prominente ihren Umsatz machen.

Naja, spätestens, wenn die „Neue“ in der Zeitung steht, dürfte sich die alte Beziehung in Wohlgefallen aufgelöst haben. Oder nicht direkt Wohlgefallen, aber aufgelöst.

Lenhardt und Boateng kamen also zusammen, führten eine Beziehung und trennten sich. “Bild” und andere “berichteten” darüber quasi im Minutentakt. Und bedienten sich dabei großzügig an dem patriarchalen Archetyp der Familienzerstörerin.

Ja, schlimm genug. Aber wäre die Schilderung genau umgekehrt – er das miese Charakterschwein, sie das manipulierte Opfer – wäre es dann besser? Oder wenn nicht, wäre das zumindest feministischer? Oder, wenn schon nicht feministisch, würde man das zumindest männerfeindlich statt frauenfeindlich deuten? Man vllt., pinkstinks nicht.

Der Femme fatale, der skrupellosen Frau, die einer anderen – womöglich sogar noch mit ihr bekannten oder befreundeten Frau -, “den Mann ausspannt”.

Femme fatale ist – wie der verlinkte Artikel erklärt – eigentlich nicht dadurch definiert, dass sie hauptsächlich auf vergebene Männer aus ist. Oder Freundinnen hat. Und das ist eigentlich auch nicht Alex aus „Verhängnisvolle Affäre“ – weder hat sie Dan besonders fest im Griff, noch ist sie besonders gefühlskalt. (Dass die BILD et alii Lenhardt so främen, mag ja sein, aber dann passt das fiktive Beispiel schlecht.)

Das ist in der Fiktion wie in der Realität so lächerlich wie gefährlich.

Es ist gefährlich, wenn Zeitungen Realität und Fiktion vermischen. Gut, dass pinkstinks keine Zeitung ist.

In der Fiktion von Eine verhängnisvolle Affäre bleibt unter anderem vollkommen offen, wieso Dan mit Alex Sex hat, wenn er doch so glücklich und erfolgreich ist

Jaaa, dass das er glücklich verheiratet ist, ist die Aussage des Wiki-Artikels. Der Film sagt das ja nicht. Bzw., die Tatsache, dass Dan fremd geht, legt nahe, dass er nicht SO glücklich ist. Man sollte vllt. so etwas schreiben wie: „der scheinbar glücklich verheiratete Dan“ oder dergleichen. Ansonsten,wenn der Film keinen Anlass anbietet, ist das entweder ein Filmfehler, oder aber, der Film sagt, dass Männer triebgesteuerte Idioten sind.#

Und in der Realität die drängende Frage, warum Jérôme Boateng glaubt, nach der Trennung ernsthaft behaupten zu können, dass er “in Wahrheit diese Art Beziehung mit Kasia nie wollte“.

Ja, nach Beziehungsende ist man ja immer besonders objektiv und wertfrei. D’oh!

Flankiert von der von ihm betrogenen Ex-Freundin, die gegenüber der Presse festhält, dass “Kasia Lenhardt ihre Familie zerstört hat“.

Auch als Kollateralschaden hat man niemals irgendwelchen Groll. Dass die Presse damit so ein Gewese macht, ist das eine, aber die ganze Familienzerstörerinnen-Geschichte hat wohl HIER die Grundlage. Nagut, vllt. haben Boateng und sene von IHM betrogene Ex zu oft „Eine verhängnisvolle Familie“ gesehen. Das arme Kaninchen.

Ist Jérôme Boateng ausgerutscht und in Kasia Lenhardt gefallen?

Wer weiß?

War er nicht mehr Herr seiner Sinne, weil er von den Reizen einer Frau und ihren satanischen Kräften verhext wurde (auch das ist ein gängiger patriarchaler Mythos)?

Naja, wenn er unter Drogen stand, die SIE ihm verabreicht hat, wäre das eine Erklärung. Glaube ich zwar auch nicht, aber was genau ist hier der Vorwurf? Dass man ihn nicht genug kritisiert, oder dass man sie kritisiert hat?

Hat sie ihn mit vorgehaltener Waffe dazu genötigt, eine Beziehung mit ihr einzugehen?

Angenommen, sie hätte ihn wirklich erpresst?

Und sie konstituieren nicht etwa, dass eine Frau einen Mann zu einer mehrmonatigen Beziehung genötigt hätte, sondern schlicht und ergreifend einen besonders krassen, in seiner Konsequenz frauenverachtenden und tragischen Fall von Cybermobbing und Demütigung als Geschäftsgrundlage.

Ja, immer diese Konstitutionen hier. Natürlich ist es schlimm, wie das breitgewalzt wird, natürlich ist es schlimm, dass jetzt eine junge Mutter tot ist, und natürlich ist BILD immer schlimm. Aber das wäre es auch, wenn Boatend sich am Ende umgebracht hätte.

…ist aus welchen Gründen auch immer eine Beziehung mit einem erwachsenen, selbstbestimmten Mann eingegangen, dem nach der Trennung viel zu viel Raum dafür gegeben wurde, sich von Verantwortung freizusprechen, indem er auf bekannte und beliebte misogyn-patriarchale Gesellschaftsmythen Bezug nimmt.

Ja, dazu. Inwieweit ist die Idee eine „Femme fatale“ frauenfeindlich? Die Aussage ist ja nicht, dass alle Frauen so sind, sondern die, dass alle Männer darauf reinfallen. Bzw., wenn Boateng sich als manipuliertes „Opfer“ inszeniert, reproduziert er männerfeindliche Ideen, selbst wenn er meint, eine Frau damit zu kritisieren.

Diese Mythen … werden erzählt, wenn Frauenzeitschriften Texte darüber veröffentlichen, “welche vier Sternzeichen dir deinen Partner ausspannen wollen“.

Ja, Frauenzeitschriften. Von Frauen. Für Frauen. Ruhm und Ehre dem allgewaltigen Patriarchat!

Sie finden sich in der viel zu vereinfachten und Männer aus der Verantwortung entlassenden Frage, ob Frau sich den Mann einer Freundin angeln darf.

Ja, das impliziert nämlich, dass die Frau so ein toller Köder und/oder der Mann so ein triebgesteuertes Lebewesen ist, dass das „kann“ nicht zur Debatte steht, sondern nur das „darf“. „Aus der Verantwortung“ entlassen ist ein netter Euphemismus für: „Hat eh‘ nix mitzureden.“

Sie bezeichnen Frauen als “kalte Geschöpfe” und Männer als “harmlos und naiv”.

Ja, ist beides falsch. Nebenbei impliziert das hier, dass die sogenannte „femme fatale“ keine Gefühle hätte, die man verletzen könne, was im konkreten Fall ja leider nicht der Fall war.

Aber Männer sind keine Fische und auch keine Kinder.

Achwas. Aber hey, dergleichen zu sagen, ist nicht etwa männerfeindlich. Nein, es gibt keine Männerfeindlichkeit.

Dieses “Den Freund/Partner/Ehemann ausspannen”-Märchen zahlt auf einen weiteren patriarchalen Archetyp ein: den des Man-Child.

Ja. Weil DAS die sexuell aktivsten und gleichzeitig die begehrtesten aller Männer sind. Ob für die langfristige Affäre oder die kurze Beziehung zwischendurch, die Typen, die eine Frau brauchen, um ihren Alltag zu schaffen, sind die, die man als Frau nicht der Konkurrenz überlassen darf.

Ein Man-Child ist ein erwachsener Mann, der sich selten bis überhaupt nicht wie ein verantwortungsbewusster Erwachsener verhält.

Eventuell hat er noch nicht mal einen Führerschein. Frauen LIEBEN es, wenn sie ans Steuer müssen. Oder ihm Schwimmen beibringen. Und nein, dass ist nicht der Name für eine neue Stellung, mit der beide viel Spaß haben, sondern die Fähigkeit, sich durch tieferes Wasser zu bewegen ohne zu ertrinken.

Ein gutes fiktives Beispiel für dafür ist die Figur des Douglas Heffernan aus der Sitcom King of Queens.

Sitcom-Personal ist sowieso das beste Dating-Material wo gibt. Ok, zweitbeste, die Typen aus RomComs sind Gottes Geschenk an das jeweils präferierte Geschlecht.

Heffernan drückt sich vor Verantwortung, schiebt unangenehme Tätigkeiten seiner Frau zu, lügt und zieht Mauern aus Schutzbehauptungen hoch, um seine Bedürfnisse zu befriedigen.

Geht er auch fremd? Versucht irgendeine Frau, ihn rumzukriegen? Ich meine, Bob Baratheon war gut darin, sich herumkriegen zu lassen, aber die fatale Frau in seinem Fall war seine Ehefrau. Manipulativ, kalt, gutaussehend – nagut, in einer Folge war sie kurz davor, sich umzubringen.

Und genau damit muss Schluss sein.

Mit King of Thrones? Game of Queens? BILD? Ich wäre für BILD, die anderen sind schon vorbei.

 Jérôme Boateng ist 32 Jahre alt. In den Redaktionen des Landes sitzen Erwachsene, die dafür Verantwortung übernehmen müssen, Beziehung und Trennung eines prominenten Paares nicht in einer Weise auszuschlachten, die die Frau einseitig als “Familienzerstörerin” und als “Fatal Attraction” diffamiert

„Verhängnisvolle Affäre“, ja. Gind ganz anders aus, aber wie gesagt, das ist ein Film.

Der Mythos der Familienzerstörerin ist eine widerliche Lüge, die darauf abzielt, die Verantwortung von zwei erwachsenen Menschen nur einem zuzuschieben: nämlich der Frau.

Nun, wenn man sich schon mit dem Thema befasst, sollte man sich klar sein, dass nicht alle Menschen gleich sind. In manchen Beziehungen sind beide Hälften das Problem, aber nicht in allen. Und so, wie es sicher Heteroa-Fälle gibt, wo die männliche Hälfte die „Böse“ ist, so gibt es auch welche, wo es die weibliche ist. Soll heißen, es bringt nichts, das eine Klischee durch ein anderes zu ersetzen.

Ein Gedanke zu “Ein verhängnisvoller Report der Katastrophe

  1. „Der Mythos der Familienzerstörerin ist eine widerliche Lüge, die darauf abzielt, die Verantwortung von zwei erwachsenen Menschen nur einem zuzuschieben: nämlich der Frau.“

    Wie süß.
    In einer Zeit, in der jeder Seitensprung einer Frau als Vergewaltigung verkauft wird (eigentlich wollte sie ja nicht), ist das einfach nur bigott.

    Ob pinkstinks ebenso für einen Pick-Up-Artist in die Bresche springen würden? Die Frau kann doch „nein“ sagen?

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