Der Report der Standmagd

Zu gestern.

Und hierzu.

Nun zeigt sich die Katastrophe der versäumten Gleichberechtigung

Nicht der Winter unseres Missvergnügens, die Katastrophe der versäumten Gleichberechtigung. Weil Gleichberechtigung, meine sehr verehrten Damen und Herren, gegen Corona schützt. Und Arbeitslosigkeit, Trauer, Verlust, Klimawandel, Erdbeben, Vulkanausbrüche und Autounfälle.

Plötzlich bemerken wir, dass es katastrophal ist, dass Frauen zu Hause nicht sicher sind und Schwangerschaftsabbrüche nicht vollständig legalisiert sind

Dass Männer nicht sicher sind, merkt trotzdem keine. Oder es interessiert sie nicht. Und Schwangerschaften sind mWn keine Risikofaktoren, was Covid-19 betrifft. Aber hey, gute Methode, die eigene Agenda in eine Problematik einzuführen, die deutlich schlimmer ist. Einfach mal behaupten.

Ich weise fairerweise darauf hin, dass das nicht unbedingt die aktuellste Aussage von ihm dazu ist, andererseits wurde sie unlängst verlinkt, wenn auch möglicherweise nicht von ihm selbst, so dass ich meinen Senf auch dazu abgebe.

Okay, ich habe mich geirrt. Stoppt die Pressen, haltet die Uhren an: Das mit der Gleichberechtigung ist doch ganz anders, als ich mir das gedacht hatte.

Ja, aber nein. Wenn man die Wahrheit zwar sagt, aber das ironisch meint, meint man die Unwahrheit.

Bislang bin ich immer davon ausgegangen, dass Krisensituationen gegen Gleichberechtigung sprechen.

Gleichberechtigung, im Unterschied zu Gleichstellung, bedeutet „gleiche Rechte“. Krisensituationen sprechen nicht gegen Gleichberechtigung; es kann natürlich sein, dass jemand krisenbedingt iose Rechte nicht wahrnehmen kann, was der Staat dann irgendwie berücksichtigen sollte, aber Gleichberechtigung abzuschaffen, weil „Krise“ ist, ist unmoralisch. Andererseits, Titanic, Rettungsboote, die Planke mit Winslett. Es ist nicht unbedingt so, dass Frauen in Krisen benachteiligt werden.

Gleichberechtigung schien mir, um das alte Brecht-Wort vom Fressen, das vor der Moral kommt, zu bemühen, deutlich nach dem Fressen zu kommen.

Das liegt evt. auch an der Definition von Gleichberechtigung.

Wenn es hart auf hart kommt, bleibt sie zu Hause, und er geht arbeiten. Wenn es hart auf hart kommt, organisieren wir uns wieder wie in den 50ern.

Diese Organisation ist älter. Inzwischen ist wohl klar, dass diese Arbeitsaufteilung nur dann vorkommt, wenn sein UND ihr Beruf das hergeben. Wenn ER in der Hotelbranche arbeitet (also, jetzt gerade nicht) und SIE im Krankenhaus (also, jetzt erst recht) wird die Organisation eine andere sein.

Er macht die Ansagen und bringt das Geld nach Hause, sie kümmert sich um Haus und Kinder und hält ihm ansonsten den Rücken frei.

Und selbst, wenn es so wäre – was soll’s? Wenn es funktioniert? Oder, anders gefragt, würde eine andere Aufteilung besser funktionieren?

Nun ist es noch härter gekommen, und es zeigt sich, dass ich mich geirrt habe.

Achwas.

Gleichberechtigung ist … kein politisches Projekt, das nur in Zeiten Anwendung findet, die relativ problemfrei sind.

Das stimmt, gleiche Rechte in Zeiten oder Situationen, wo diese Rechte gar nicht durchgesetzt werden müssen, sind egal. Oder jedenfalls nicht so wichtig.

Monate und Jahre, in denen Gesellschaften einigermaßen unbeschadet und unbelastet von Krisen sind, sollten von ihnen genutzt werden, um gleichberechtigte Strukturen zu etablieren. Als Vorrat für schlechte Zeiten sozusagen.

Erstens, das ist geschehen. Zweitens, der Vorteil dieser Gleichberechtigung ist, dass Eheleute jetzt flexibler sein können. Wenn die aktuelle Situation nicht ermöglicht, dass er Geld verdient, sie dies aber tun kann, ist das tatsächlich ein Vorteil.

Denn offenbar sind klischeehafte Vorstellungen darüber, welche Rollen Frauen und Männer einzunehmen haben, die denkbar schlechteste Versicherung gegen den Katastrophenfall.

Ja, und deshalb ist es Blödsinn, die eine Rollenverteilung – z.B., er geht arbeiten und sie kümmert sich um die Kinder – gegen eine andere einzutauschen – z.B., beide arbeiten halbtags und kümmern sich zu gleichen Teilen um die Kinder.

Sie sind eine unzureichende Panzerung, die allenfalls gegen die Krisen wirkt, die sie selbst miterschaffen haben.

Ehekrisen? Keine Ahnung, welche er meint.

Sie verhärten das Herz gegen Lügen, die von ihnen selbst in die Welt gesetzt wurden.

Wenn man die eigenen Lügen glaubt, sind es keine Lügen mehr, sondern Unwahrheiten.

Dass sie darüber hinaus keinerlei Schutz bieten, lässt sich in der andauernden Corona-Krise beobachten. Denn was ist jetzt?

Kaum jemand besteht darauf, in der Krise die frühere Arbeitsteilung aufrechtzuerhalten. Gibt’s bestimmt, aber den meisten ist klar, dass das nicht funktionieren wird.

Plötzlich stellen wir fest, dass systemrelevante Arbeit hauptsächlich von Frauen geleistet wird – und das unter schlechten Bedingungen.

„Wir“ stellen fest, jaja; manche Frauen sind systemrelevant, aber nicht jede Frau ist systemrelevant, und nicht alle Systemrelevanten sind Frauen.

Auf einmal bemerken wir, dass die Formel „Sie drinnen, er draußen“ so nicht funktioniert.

Wer ist „wir“? Wer hat April 2020 versucht, danach zu leben?

Was ist, wenn alle drinnen bleiben müssen, wenn kaum jemand mehr Geld verdienen kann?

Dann gehen sehr viele Menschen an ihr Erspartes, was natürlich auch nicht ewig reicht.

Was ist, wenn Leistungsfähigkeit und Gelderwerb keine Stützpfeiler der eigenen Identität mehr bilden können – einfach weil sie komplett fallen?

Das ist das alte Narrativ, dass Männer nicht arbeiten und Geld verdienen gehen, weil sie davon leben wollen/müssen, sondern dies aus Gründen der Selbstverwirklichung machen. Oder halt der „eigenen Identität“. Dass es zu einem gewissen Grade von Vorteil ist, sich mit dem eigenen Beruf und der eigenen Arbeit zu identifizieren, sei unbestritten, aber Pickert überbewertet das sehr. Den meisten Männern, die coronabedingt Kurzarbeit, keinen Job oder sonstwie Einkommensverluste haben, tut es mehr um das Geld leid. Wegen höherer Gewalt kein Geld zu haben tut dem Selsbtwert nicht so weh wie Unfähigkeit. Und nein, wenn Frauen zu Hause Arbeiten, liegt das nicht daran, dass außerhäusige Tätigkeiten prinzipiell mehr Spaß machen und Männer die deshalb für sich reservieren.

Und was wäre eigentlich, wenn Seuchen in der Zukunft noch geschlechtsspezifischer zuschlagen als gegenwärtig Covid-19, das deutlich mehr Männer aggressiv befällt und tötet?

Dann würde man vllt. doch dazu über gehen, Männer bevorzugt zu impfen? Oder, was ist, wenn Kinder gefährdeter wären als Erwachsene? Schulen dicht, keine Debatte, und keine „wir können nicht mehr“-Videos.

Was täten wir, wenn 30 Prozent der weiblichen Bevölkerung ausgelöscht würden?

Achso! Nein, wir würden dann ALLES tun, dass Frauen nicht das Haus verließen, wo sie sich anstecken könnten. Wir würden Frauen bevorzugt impfen, sobald das möglich wäre. Es würde auch kein männlicher Journalist vorschlagen, dass Frauen sich gefälligst öfter die Hände waschen sollten. Ohne danach arbeitslos zu werden, jedenfalls. Hallo, Frau Stokowski.

Töten sich Männer dann gegenseitig im Kampf um die verbliebenen Frauen als Besitztümer, Reproduktionsmaschinen und Haushaltshilfen?

Käme das nicht darauf an, wie viele Männer stürben? Auch 30%? Nur 10%? Oder sogar 50%? Aber wie gesagt, bis DAS passiert, würden sich Männer erstmal die Beine ausreißen, um das zu verhindern.

Wer wissen will, wie das ungefähr aussehen könnte, dem sei an dieser Stelle einmal mehr der grandiose „Report der Magd“ von Margaret Atwood empfohlen.

DA ist das Szenario schon ein anderes. Der Hauptunterschied: die Katastrophe an sich ist vorbei. Es gibt nicht weniger Frauen als Männer, aber deutlich weniger fruchtbare Frauen als fruchtbare Frauen (bzw., dass das Fruchtbarkeitsproblem nur die Frauen betrifft, wird nicht durch die Handlung selbst bestätigt (jedenfalls nicht im Buch)). Kinder sind in der wunderbaren Welt von Gilead ein Statussymbol, weshalb das eine Gesellschaft ist, wo die Oberschicht tatsächlich mehr Nachwuchs kriegt als das Proletariat. (Was auch nicht lange funktionieren wird.) Daher auch der gileadische Spruch: „Du hast das Gesicht Deines Vaters vergessen!“ Weiterhin gibt es keine medikamentöse Behandlung gegen Unfruchtbarkeit – warum auch immer – daher das andere Zitat: „Gibt’s Balsam nicht in Gilead?“ Nein.

Das ist keine Zukunftsmusik. Wir stecken bereits mittendrin in teilweise jahrzehntealten feministischen Dystopien.

Leihmütterschaften und so? Nebenbei, was würde unsere Gesellschaft machen, wenn 30% aller Männer stürben? Die Männer würden sich Beine ausreißen, um das zu verhindern, und Feministinnen stehen daneben, schadenfroh feixend.

Anstatt uns darauf zu konzentrieren, bombensichere Gleichberechtigungsstrukturen einzuziehen, die uns vor den näher kommenden Einschlägen schützen könnten, laufen wir sehenden Auges in Katastrophen.

Der Typ ist lächerlich. Der Beispiel ist lächerlich. Eine Seuche, die 30% aller Frauen tötet, und selbst, wenn sie gar keine Männer träfe, würde 15% aller Menschen treffen. Das würde die Gesellschaft HART verändern. Ich würde fast sage: „Das überlebt unsere Zivilisation nicht.“ Eine „bombensichere Gleichberechtigungsstruktur“ würde uns nicht vor so einer Krankheit schützen. Genausogut könnte man ein Rentensystem erträumen, dass auch dann noch funktioniert, wenn ein Asteroid in Europa einschlägt. Nebenbei, was wäre besser – 30% aller Frauen sterben, aber danach gäbe es noch „gleichberechtigte Strukturen“ oder es gibt keine „gleichberechtigte Strukturen“, aber man kann die Frauen retten. Weil sich herausstellt, ein Niqab wirkt isolierend?

Es ist für Betroffene katastrophal, dass wir in Zeiten, in denen wir alle noch problemlos vor die Tür gehen konnten, nicht mehr gegen häusliche Gewalt unternommen haben. Was glauben Sie, was nun hinter geschlossenen Türen passiert?

Hmm, Gewalt gegen Männer? Wer ist dieses „wir“, das mehr hätte unternehmen sollen, was wäre dieses „mehr“, und wie soll „wir“ das noch tun, wenn Lockdown ist? Man kann keinen Vorrat an Gewaltfreiheit anlegen.

Es ist katastrophal, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht längst vollständig legalisiert sind und zur medizinischen Grundversorgung gehören.

Für Arztbesuche darf man das Haus verlassen, offensichtlich. Dieser Zusammenhang ist deutlich konstruierter.

Und es ist katastrophal, dass wir Kümmern, Pflegen und Unterrichten immer noch großflächig geschlechtsspezifisch organisieren.

Wieso? Wenn Krankenschwestern, Altenpflegerinnen und Lehrerinnen (aus politischen Gründen) das Haus verlassen, aber Buchhalter, Anwälte und Manager zu hause bleiben müssen, werden doch Rollenklischees über den Haufen geworfen. Ist doch toll.

Das hat nichts mit Gleichmacherei, aber alles mit Gleichberechtigung zu tun.

Weder noch. Gleichberechtigung ist die freie, nicht geschlechtsspezifische Berufswahl.

Die Tatsache, dass die meisten von uns Fahrradfahren und Schwimmen gelernt haben, heißt nicht, dass wir alle gleich sind.

Ja, aber hier wird Alltagskram mit Berufen verglichen.

Es heißt vielmehr, dass wir als Individuen, die auf Basis einer gemeinsamen, unveräußerlichen Würde alle sehr unterschiedlich sind, ungemein davon profitieren, wenn wir uns bestimmte Fähigkeiten aneignen.

Erste Hilfe zum Beispiel. Oder Rettungsschwimmer.

Dazu gehört auch, dass wir füreinander einstehen können, wenn es erforderlich ist, und nicht an Aufgaben verzweifeln, weil wir diese verpflichtend dem anderen Geschlecht zugeschrieben haben.

Ich habe keine Aufgabe dem von mir aus gesehen anderen Geschlecht zugewiesen. Ich verzweifle auch nicht daran, wenn ich auf Kinder aufpasse oder sonstige Care-Arbeit mache. Das wird jetzt gerade nicht von mir abgefragt, aber grundsätzlich. Nur hilft das nur bedingt gegen Corona. Nebenbei, gehören zu diesem „wir“, das für einander einstehen kann, auch Stokowski und ich? Ich bezweifle hart, dass die das für mich täte, und fühle umgekehrt wenig Verpflichtung, das für sie zu tun.

Bislang waren wir immer noch kurzsichtig genug, um zur falschen Rüstung zu greifen – einfach weil wir sie schon so lange eingetragen haben.

Arbeitsteilige Rollenbilder sind keine Rüstung. Die Corona-Maßnahmen bestimmen stärker, wer zu hause bleibt und wer arbeitsmäßig das Haus verlassen kann, als irgendwelche Rollenklischees. Es ist wichtiger, die Krankheit zu bekämpfen, als dabei eine feministische Vorbildfunktion wahrzunehmen.

Gleichberechtigung würde da sicher an einigen Stellen drücken und zwicken. Womöglich wäre sie einigen zu Beginn sogar unangenehm und schwer zu tragen. Aber was wir in ihrem Schutz erreichen könnten, wiegt all das auf. Mit Leichtigkeit.

Wir haben Gleichberechtigung. Frauen müssen Rechte nur wahrnehmen. Wenn das in Corona-Zeiten schwierig ist, ist das ein Teil der Krise, aber es ist noch nicht einmal so, dass Männer ihre Rechte besser wahrnehmen könnten oder von Rollenerwartungen profitierten.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s