Für den folgenden Artikel:
Ein Held(m/w/d) ist ganz allgemein gesagt jede Figur in einer fiktionalen Erzählung, die legitime Ziele mit legitimen Mitteln verfolgt. Sie muss nicht besonders edel, selbstlos oder sonstwie vorbildlich sein. Sie kann schlechte Charaktereigenschaften haben oder in irgendwelchen Nebenzielen fragwürdig sein, aber was die Hauptstory betrifft, ist das Ziel legitim und alle Mittel, die dahin führen. Und, wenn sie andere Personen bekämpft, sind das normalerweise die Schurken.
Ein Schurke(m/w/d) hat im Unterschied dazu illegitime Ziele und/oder verwendet dazu illegitime Mittel. Wenn weder Ziel noch Mittel legitim sind, ist es kein Schurke mehr. Auch hier gilt: Nebenaspekte zählen nicht. (Also, nett zu Hunden war Hitler auch, aber die beiden Definitionen gelten wohlgemrkt nur für Geschichten, nicht fürs Richtige Leben.)
Wie ich hier ausführte, brauchen Helden Stärken und Schwächen. Schwächen können sowohl schwache oder mangelnde Fähigkeiten sein (Daredevil kann nicht sehen, Pr. X nicht laufen), aber auch eine Schwäche gegen Substanzen im weiteren Sinne (Sonnenlicht, Kryptonit oder Haselnuss), charakterliche Schwächen (leicht abzulenken, traurige Kindheit) oder auch moralische Schwächen (übermäßig gewaltbereit, will niemanden helfen).
In dem beliebten Genre des Superheldenfilmes, wo die Helden tatsächlich nicht nur legitime Ziele und Mittel haben, sondern auch übermenschliche, übernatürliche oder jedenfalls extrem am Rand der menschlichen Spektrums verortete Fähigkeiten, ist das vom Balancing her natürlich besonders schwierig.
Im MCU gibt es z.B. König T’Challa von Wakanda, der zugleich der Superheld Black Panther ist. Und es gibt Carol Denvers, die zugleich die Superheldin Captain Marvel ist. Bei einem der beiden Beispielen klappte das Balancing sehr schön, beim anderen nicht. Trotz meiner genusneutralen Formulierung kann man sich vllt. denken, wer wer ist.
T’Challa, dargestellt vom leider viel zu früh gestorbenen Chadwick Boseman, ist so etwas wie eine Mary-Sue-Mischung: er hat einen quasiunzerstörbaren Hightech-Anzug wie Iron Man, einen Trank, welcher dauerhaft (bis zur Einnahme des Gegenmittels jedenfalls) übermenschliche Kräfte verleiht wie die von Captain Amerika, und er ist der Thronfolger eines technologischen Utopias wie Thor. Sein Anzug ist nicht flugfähig, aber ich weigere mich einfach, „kann nicht fliegen“ als „Schwäche“ zu akzeptieren. Nichts von allem hat irgendwelche Nachteile oder nervige Nebenwirkungen.
Er hat auch keine üblichen Superheldenprobleme: er muss kein Doppelleben führen, seine Mitbürger lieben ihn, und er muss anscheinend auch keine Dates platzen lassen, um die Welt zu retten. (Ok, seine Freundin hat sich irgendwann von ihm getrennt, aber sie rettet selber Leute.)
Hat er vllt. persönliche Schwächen, ist er z.B. als jemand, dem all diese Vorzüge in die Wiege gelegt wurden, übermütig und selbstgefällig? Nein. Ist er etwa im Gegenteil, angesichts seiner Doppelaufgabe als Staatsoberhaupt UND Superheld eingeschüchtert oder unsicher? Nein. Ist er vllt., passend zu seinem Seelentier, ein Einzelgänger? Nein, er ist ziemlich teamfähig. Er ist auch nicht ungeduldig oder ungestüm, übermäßig misstrauisch oder naiv. „Rache“ ist ihm nicht direkt fremd, aber er kommt darüber hinweg. Er hat quasi keinerlei Charakterschwächen. Oder Traumata. Na gut, sein Vater ist kurz, bevor der Film anfängt, gewaltsam ums Leben gekommen. Das ist vllt. schon ein typisches Superheldenproblem. Aber er ist gut dabei, das zu verarbeiten. Er ist einfach von der ernsthaften und ehrlichen Motivation getrieben, der bestmögliche Superheld und König zu werden, den man sich vorstellen kann, und nichts im Film deutet an, dass das vllt. nicht klappen könnte.
Nun, wird sich meine Leserschaft fragen, WIE soll das denn jetzt funktionieren? Nun, der Trick ist, dass der Schurke passt. Einen Schurken, der einfach stärker, schneller oder sonstwie gefährlicher ist als der Held, hätte man natürlich leicht entwickeln können, aber man hat einen Schurken gefunden, der zwar illegitime Mittel benutzt, aber ein legitimes Ziel hat. Umgekehrt hat T’Challa einen wunden Punkt, und das ist der, dass die wakandische Isolationspolitik und vor allem die Art, wie sein Vater diese durchsetzte, moralisch fehlerhaft war; zusätzlich ist das wakandische Prozedere der Regierungsübergabe offenbar seit der Eisenzeit nicht mehr überarbeitet worden. Wäre Killmonger einfach nur eifersüchtig oder neidisch, wäre der Film einfach langweilig. Hier sieht man aber T’Challas Bestürzung und Betroffenheit, als er die Geschichte erfährt, und all seine Qualitäten tragen nur zur Fallhöhe des Filmes bei. Das ist die Lektion, die er lernen muss, das Problem, mit dem er konfrontiert wird, oder den wunden Punkt, den es zu überwinden gilt.
An einer Stelle kämpft er gegen seinen Gegner ein Duell aus, nachdem er auf seine Superkräfte und -anzug, Hilfskräfte und sonstigen Vorteile verzichtet hat. Er tut dies, weil er erstens als König an die Gesetze seines Königreiches gebunden ist (insbesondere die, die ihm zum König machen), weil er weiterhin ein ehrlicher Mensch ist (ist jetzt keine Schwäche im eigentlichen Sinne, sondern Teil der legitimen Mittel für legitime Ziele), und weil er sich ansonsten mit den Fehlern seines Vaters gemein machen würde: Wenn er Killmonger mit rechtswidrigen Mitteln abhielte, sein Recht wahrzunehmen, wäre er mitschuldig am Unrecht, was diesem widerfahren ist. (T’Challa ist auch ohne Zaubertrank athletisch und kampfstark, es ist also keine Dummheit, auf diese Weise zu kämpfen.) Zum Glück geht das Duell, bis einer sich ergibt ODER tot ist, nicht bis zum KO. Blöde Regel eigentlich, aber Glück.
Im Unterschied dazu, Captain Marvel. Yäy. In der Hierarchie ihres technologischen Utopias (welches ein interstellares Imperium ist und kein kleines Land in Afrika) steht sie zwar weiter unten als T’Challa in seinem, aber ansonsten kann sie am Ende alles besser als alle anderen Superhelden (bei Marvel jedenfalls, deshalb auch Captain Marvel und nicht Private Marvel), einschließlich Fliegen. Sie hat also sogar mehr Vorteile als T’Challa, aber nicht dessen Verantwortung oder irgendwelche Gesetze, die sie binden. Außerdem hat ihr Gegner keine ethisch-moralischen Argumente. Wenn sie also aufgefordert wird, ohne Kräfte zu kämpfen, hat sie keine Gründe, das zu tun. Da bereits gezeigt wurde, dass sie MIT ihren Kräften anderen Leuten, und insbesondere diesem Gegner, deutlich überlegen ist, ist der Kampf etwas langweilig. Etwa so langweilig wie Profiboxer vs. Kindergartenkinder. Nur, dass Kindergartenkinder es nicht überleben, zig Meter weit gegen einen Felsen geschleudert zu werden. Fürs Protokoll, Frau Marvel setzt sich hier nicht ins moralische Unrecht, wie es ein Profiboxer täte, der kleine Kinder durch die Gegend schleudert, aber es ist SO maximal uninteressant und unspannend. Und falls jemand sagt: „Ist doch klar, dass sie gewinnt. Sie ist die Heldin, und er der Schurke.“ Ja, aber die spannende Frage ist nicht das ob, sondern das wie. Wenn sie ihren Widersacher tatsächlich doch im Nahkampf besiegt hätte, wäre das spannender gewesen. Ernsthaft, es ist EXAKT wie in der Szene zu Anfang, nur OHNE den Nahkampf.
Am Anfang wird die Idee aufgebaut, ihre Schwäche wäre „Emotionalität“, das wird nicht nur behauptet, sondern auch gezeigt: sie hat ihren Vorgesetzten/Ausbilder mit ihrer „Laserfaust“ besiegt. Und sie zerblastert damit eine Jukebox. Und sie macht sich öfters über Sachen lustig, wie die Kree – einschließlich sie selbst – die nicht nur Krieger, sondern Helden-Krieger seien, Mützen mit Geheimdienstlogos und natürlich Regeln, an die sie sich nicht erinnert. Sie hat Amnesie, aber das ist nicht der Grund, dass sie sich nicht an Regeln erinnert. Ok, jetzt wäre der plausible („erwartbare“) Charakterbogen, dass ihre „Emotionalität“ ihr irgendwann entweder richtig in den Hintern beißt, oder, dass sie an einer Stelle KEINEN Spruch oder Laserschuss abgibt, die sich eigentlich dafür anbietete, und damit mehr Erfolg hat, ODER, dass sie ihr „Gefühl“ tatsächlich weder unterdrückt noch davon unterdrückt wird, sondern eine Synthese bildet und ein ganzer Mensch wird. Spruch, nachdem sie Young-Dumbledore im Nahkampf besiegt hätte: „Meine Emotionen sind meine Stärke, nicht meine Schwäche.“
Nein, das ganze Gerede von ihren Gefühlen soll „Gaslighting“ sein. – Ja gut. In Wahrheit ist sie also nicht besonders emotional, und sie hat ja auch diesen Kontrollchip, weshalb…- Doch, emotional ist sie schon, aber man hat Angst, dass sie im Affekt mehr Schaden anrichtet als so schon. – Ja gut, es wäre ja ein legitimer Grund, Angst vor ihren kosmischen Superkräften zu haben, UND sie deshalb zu manipulieren, weniger emotional zu sein…- Nein, die Kree sind böse. – Schön, aber als Kree-per-Adoption ist sie dann aber angemessen entsetzt und moralisch enttäuscht und rechtschaffen wütend, wenn sie die Wahrheit erfährt… – Eigentlich zeigt sie hinterher genausoviel oder -wenig Emotionen, und vor allem dieselben, wie vor der Enthüllung. – Aaalso, führt die ganze Emotionengeschichte nirgendwohin, da Vers an ihren Emotionen weder arbeitet, noch von ihnen unterstützt oder behindert wird, NOCH diese Emotionen sich ändern, wenn sie es normalerweise tun würden? – Doch, am Ende versucht man ja, sie mit Emotionen dazu zu bringen, NICHT mit ihren Superkräften zu kämpfen, weil ihr Endgegner sonst keine Schnitte hätte. – Ahh, Schuldgefühle und so. Klassiker. – Ja, aber sie kämpft trotzdem mit ihren Superkräften, weil sie „nichts zu beweisen“ hat, und gewinnt in einer Zehntelsekunde. – Ok, Twist! Im Unterschied zur aufgebauten Erwartung schafft sie es, sich nicht manipulieren zu lassen. Manipulierbarkeit ist eine Schwäche, ergo wäre das doch eine Storyline, wie man stärker wird… – Ja, aber nein. Die Manipulation ging von dem Chip aus, den die Kree ihr aufsetzten, und den sie ganz einfach abnehmen konnte, und die „Schuldgefühle“ waren nur ein schwacher Versuch in letzter Sekunde, sie doch noch zu besiegen. – Was ist es dann, was wir lernen? – Vers hatte keinerlei Fehler, sondern nur übermenschliche Superkräfte, ihr Hauptgegner ist ihr weder kämpferisch noch moralisch gewachsen, und sie hat zwar tatsächlich was zu lernen – ihre Vorgeschichte – interessiert sich aber nur zu geringen Teilen dafür (weshalb die Vorgeschichte uns entweder auch nicht interessiert, oder unser Interesse nicht befriedigt wird). Eine perfekte Frau KANN also einfach keine interessantere Storyline haben, denn dann wäre sie nicht von Anfang an perfekt. Immerhin wissen wir jetzt, warum Nick Fury nur noch ein Auge hat und warum es „Avenger“ heißt.