Stärken und Schwächen

Um das Thema zu verallgemeinern, auch Superhelden, oder gerade Superhelden, brauchen irgendwelche Schwächen, Fehler oder sonstige wunde Punkte, um interessant zu sein.

Bspw. Batmans wunder Punkt ist der Verlust seiner Eltern, die vor seinen Augen erschossen wurden, als er ein Kind war. Das ist zugleich der Anlass, aus dem er überhaupt ein Superheld geworden ist. Es führt aber auch dazu – ob das jetzt ursprünglich so geplant war oder nicht – dass er es schwer findet, andere Menschen in sein Leben zu lassen. Das ist eine Schwäche, auch, wenn man es als Vorteil rationalisieren kann, wenn man sieht, wie oft andere Superhelden mit den Leben ihrer Freundinnen erpresst werden.

Es gibt den Film „Batman und Robin“, der allgemein nicht als besonders guter Batman-Film gilt, aber halt eine Szene hat, die einerseits eine total andere Stimmung hat als der Rest des Filmes, andererseits eine Stimmung hat, die extrem gut zur Situation passt und zu den Charas, wie sie jahrzehntelang in den Comics beschrieben wurden. Im Film davor hat Batman Robin als Sidekick bekommen, natürlich ein Waisenjunge, was tatsächlich eine Weiterentwicklung seinerseits war. In diesem Film ist Alfred, sein treuer Butler und Begleiter, seitdem der kleine Bruce eine Waise wurde, totkrank.

Und in einer Szene sitzt Bruce an seinem Bett, ist am Weinen, und Alfred muss ihn trösten.

Der restliche Film ist eher fröhlich-bunt mit albernen Sprüchen und Witzen, was aber dem keinen Abbruch tut: natürlich muss Bruce Weinen, denn Afred war während großer Teile seines Lebens seine ganze Familie. Natürlich muss Afred ihn trösten, denn dafür ist Familie ja da. Natürlich geht das ganze gut aus, aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass die Szene nicht unpassend und unecht wirkt, weil einerseits die Schauspieler was draufhaben, aber andererseits sie sich so logisch und plausibel aus allem ergibt, was man je von den beiden gelesen oder gehört hat, das sie gar nicht anders sein kann. Zum Vergleich: die Nolan-Filme gelten gemeinhin als viel besser, aber ich gehe trotzdem davon aus, dass, wenn Bruce Wayne entscheidet, das Batman-Cape an den Nagel zu hängen und seinen (Waynes) Tod vorzutäuschen, Alfred das wüsste. Wenn nicht im Vorfeld, dann etwas später.

Jetzt kann natürlich nicht jeder Comic-Superheld so durchdacht entwickelt sein, dass Stärken (unendliche Motivation), wunder Punkt (leidet unter seinem Verlust), Schwäche (grimmiger Teilzeiteinzelgänger) und ambivalente Eigenschaften (wenige enge soziale Kontakte) sich quasi gegenseitig bedingen. Achja, und Batman verzichtet aus Schusswaffen.

Aber man kann nicht einfach auf all das verzichten. Ein Superheld ohne Schwächen, der oder die einfach Verbrecher fängt, weil er oder sie das kann, ist langweilig. Natürlich wird ihm oder IHR das gelingen. Natürlich steht für ihn ODER SIE nichts auf dem Spiel. Wen interessiert es dann? Eine Möglichkeit, das zu ändern, wäre, dass die Gegner(m/w/d) tatsächlich überlegen sind. Zahlenmäßig, technisch, oder sonstwie. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Gegner durch genau die Stärken der Heldenperson wenig angreifbar sind. Supermans wiederkehrendster Gegner ist Lex Luthor. Ein Normalo ohne Alter Ego. Aber mittelfristig gibt’s da halt Schwächen. Bei Supie sind das Kryptonit (und alle Waffen vom Planeten Krypton), Magie (nicht direkt eine Schwäche, aber er ist dagegen so anfällig wie gegen alle anderen auch) und Lois Lane. Das ist tatsächlich eine energische Person, die sich auch „als Frau“ nichts sagen oder gefallen lässt, was tatsächlich der Grund ist, warum Superman sie liebt, aber irgendwie landet sie ständig in der Bredouille. Komisch, irgendwie…

Nunja, um auf die beiden Film-Batwomans zurückzukommen: ist „lesbisch“ eine Schwäche oder ein wunder Punkt? Bzw., ist das ein hinreichend wunder Punkt, um ihre Stärken zu kompensieren? Nun, es ist offenbar bei Kate Kane nicht so ein Geheimnis wie ihre Geheimindentität, die sie sogar vor ihrem Vater verheimlicht.

Aber „Superheldentum“ und „Homosexualität“ gleichzusetzen, ist ein Move, vor dem alle Welt zurückschreckt. Außer natürlich die X-Men-Schreiber(m/w/d), da die X-Men teilweise eine sehr offizielle Metapher für Homosexuelle sind: Sind anders als andere, einschließlich ihrer Familien. Sie werden ausgegrenzt. Ihr Hauptquatier ist in San Francisco. Mehr Holzhammer geht doch kaum.

Man hätte natürlich Kates Vater einfach offen homo(sexuellen)phob schreiben können. Oder die ganze Gothamer Oberschicht. Oder, Sophie wäre Kates Lois Lane (aber dann gäbe es keine ONS mehr für Kate). ODER, Kates Liebesleben ist ihre Schwäche. Nicht, weil sie Frauen liebt, sondern die falschen Frauen, sie wird abgelenkt, wird enttäuscht, wird beklaut (ok, das passiert sogar), ist tatsächlich mehr ein weiblicher Tony Stark als ein weiblicher Bruce Wayne (Bruce tut nur so, als wäre er Playboy-Millionär, aber Tony macht das tatsächlich SPASS!), und wenn man sie dann für eine verantwortungslose verwöhnte Göre hält, ist das nicht nur Tarnung. Aber nunja.

Um das abzuschließen, viele „starke Frauen“-Geschichten, die Film und Fernsehen in letzter Zeit zu bieten haben, leiden daran, dass „stark“ mit „ohne Schwäche“ gleichgesetzt wird, was rein mathematisch zwar zutrifft, aber eben zu unrunden, semi-interessanten Figuren führt. Ein positives Gegenbeispiel wären die Ghostbusterinnen. Den Film fand ich tatsächlich ganz schön, bzw. zwar nicht überragend, aber das hatte nichts damit zu tun, dass das Frauen waren. Weil die Frauen tatsächlich Fehler und Schwächen hatten wie ihre männlichen „Vor“bilder. Man hätte da zwar ruhig noch eine Schippe drauflegen können, aber hey. Außerdem, in Serien wäre es möglich, das eine Figur ihre Schwächen langsam, aber sicher überwindet. Nicht notwendigerweise jede Schwäche, aber irgendeine. Jemand ist unglücklich verliebt in eine Person, die das nicht nur nicht erwidert, sondern sogar inzwischen auf ein völlig anderes Geschlecht steht? Irgendwann ist man darüber hinweg. Jemand feiert lieber, anstatt Verbrecher zu fangen? Am Ende hat man mehr Disziplin. Jemand traut sich nicht, mit iosem Vater über verschiedene Dinge zu reden? Am Ende spricht man sich aus, evt. ist der Krach doch nicht so groß, wie befürchtet, oder wenn doch, hat man noch was für die zweite Staffel.

Und das würde noch nichtmal eine „Agenda“ hintertreiben, wenn man schon eine haben will. Bzw., nicht, wenn man es richtig macht. Ich kann mich mit einer Lesbe eher identifizieren als mit einem Wesen ohne Schwächen; ich habe Schwächen UND stehe auf Frauen. Klar soweit? Wenn eine lesbische Frau mit einer realistischen Menge Schwächen Abenteuer erlebt, bei der ihre Schwächen zwar im Weg sind, ist das nicht nur spannender (wie schafft sie das denn jetzt?), sondern löst bei mir Sympathie aus (ich hätte da Angst) und sogar Interesse für ihre Probleme (worüber regt sich ihr Vater wohl als nächstes auf; ahh, sie hat was mit dem Barmädchen, und da ist er gegen, denn die wolle bestimmt nur ihr (sein) Geld), was mich awarenessmäßig weiter bringt als wenn sie nur solche Probleme hat, die sie im Handumdrehen selber löst. Die Hand von dem übergriffigen Typen jetzt. Aber wenn man sich mehr darum Sorgen macht, ob die Schauspielerin der richtigen Gruppe angehört, ist man offenbar nicht der Ansicht, dass Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe, Alter, sexuelle Orientierung und so weiter ignoriert werden sollte.

Ein Gedanke zu “Stärken und Schwächen

  1. Zu den Ghostbusters hatte schon Schoppe was:
    https://man-tau.com/2016/08/14/ghostbusters-wozu-ein-desaster-gut-sein-kann/

    Neben dem „Keine Schwächen“-Muster findet sich noch was über „starke Frauen“, was ich ebenfalls bemerkenswert halte, ich damals dazu:

    Der zweite Widerspruch ist aber noch besser. Man stelle sich vor, eine erwachsene Frau würde Gewalt gegen ein Kind ausüben. Es wird deutlich, dass ein solches Arrangement schwerlich dazu geeignet ist, die Täterin in dem Fall als „starke und überlegene“ Figur darzustellen, denn ein Erwachsener ist einem Kind generell überlegen. Sie würde vielmehr ein ziemlich schäbiges Bild abgeben, was auch zeigt, wie unterschiedlich die Wahrnehmung zwischen Kindern, Frauen und dem entsorgbaren Geschlecht ist. Wer Gewalt gegen Kinder und Frauen ausübt, sieht ganz und gar nicht gut aus – im Gegenteil. Zurück zu unserem Beispiel mit der Frau in Film und Fernsehen, die ihren Partner erniedrigt und gegen ihn Gewalt ausübt: Ihre „Größe“ und Überlegenheit basiert auf der Annahme, dass der Mann der Frau generell überlegen ist! Denn wenn man davon ausgehen würde, dass der Mann wie ein Kind der Frau unterlegen ist, könnte die weibliche Figur nicht als besonders stark erscheinen, sich nicht in dem Ruhm sonnen, einem Mann überlegen zu sein und ihn zu demütigen. Das hat was von einer veritablen Doppelbindung: Das feministische Giftseelchen erfreut sich an der Frauengewalt gegen den Mann, frohlockt über den Triumph des Weibchens über das Männchen, muss aber zugleich zumindest unbewusst die Pille schlucken, dass in einem generellen, alltäglichen Sinn, in der Vorannahme der Mann der Größere, der Überlegene ist. Das ist in sich widersprüchlich, verdreht, also: toxisch, und zwar – wenn auch nicht ausschließlich – für genau jene Feministen, die diesen Feminismus verinnerlicht haben. Wen wundert es da noch, dass Femischistinnen geradezu sprichwörtlich humorlos sind?

    So, den Samstagnachmittag mit Batman & Robin. Der Film nimmt sich selbst nicht ernst, das gefällt mir.

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