Die Banalisierung des Bösen

(Falls ich jemals gefragt werde, wie sehr ich von Hannah Arendt beeinflusst wurde…)

Jetzt mal wieder

In Filmen werden Vergewaltigungen banalisiert

tl,dr: In Filmen und Fernsehserien werden Vergewaltigungen banalisiert.

Sie erscheinen etwa als einschneidendes, aber stärkendes Erlebnis oder sollen die Entwicklung eines männlichen Protagonisten voranbringen. Das muss aufhören.

Mal wieder die Frage, wie genau man die Kunstfreiheit einschränken kann außer über die Marktwirtschaftschiene: „Nicht kaufen, wenn man’s nicht mag.“ Vor allem ist hier ihr Problem ja nicht, dass es ihr nicht gefällt, sie will auch nicht, dass dergleichen überhaupt geschrieben wird. Fiktive Verbrechen an fiktiven Personen durch andere fiktive Personen, die meistens auch nicht irgendwie verharmlost werden. Ich mag übrigens keine Nieren zum Essen – darf ich bitteschön erwarten, dass in Bücher keine Nierengerichte vorkommen?

„Was dich nicht umbringt, macht dich stärker.“ Das scheint das Motto vieler Drehbuchautoren zu sein,

Nach DEM Motto habe ich früher Schokolade gegessen. Spoiler: das funktioniert so nicht. Oder allgemein, Klischees in Geschichten funktionieren oft nur dort. Außerdem bedeutet „scheint“, dass viele Drehbuchautoren das nicht zu denken.

die ihren weiblichen Charakteren zu Stärke verhelfen wollen

So viele Beispiele fallen mir dazu gar nicht ein. Wobei so ein Quatsch in DER Form natürlich auch Quatsch ist, wenn er selten vorkommt.

und dabei ein gefährliches Narrativ bedienen:

Gefährlich ist ein Narrativ eigentlich nur, wenn es geglaubt wird – wer sollte das im Richtigen Leben sein? Die Opfer? Die Vergewaltiger? Das Umfeld der Opfer? Die Gerichte?

Die Vergewaltigung oder sexuelle Gewalt als einschneidendes, aber letztlich stärkendes Erlebnis.

Der Selbstmordversuch von Katniss war auch ein stärkendes Erlebnis. Also, BEIDE. Inwiefern das jemanden veranlassen könnte zu denken, Selbstmordversuche seien stärkend, ist mir schleierhaft.

Eines der größten Beispiele der jüngeren Fernsehgeschichte liefert „Game of Thrones“, eine Fantasy-Serie, bekannt unter anderem für ihre Gewalt- und Sexszenen.

Achja, Jaimie verliert eine Hand und wird später ein besserer Mensch. Tatsächlich wird er am Ende tatsächlich einer von den Guten, soweit man das sagen kann bei GoT, obwohl er ziemlich unten auf der Skala angefangen hat.

Umso enttäuschender, dass gleich zwei der interessantesten Frauen, Daenerys Targaryen und Sansa Stark, durch dieses Narrativ geführt wurden:

Also, nichts gegen Sansa, aber gemessen an anderen Frauen bei GoT ist sie nicht sehr interessant. Und Daeny, naja…

Daenerys Targaryen wurde gleich zu Beginn der Serie von ihrem Zwangsehemann Khal Drogo vergewaltigt, versuchte aber schon bald darauf, ihm zu gefallen und ihn zu verführen, woraufhin eine Beziehung entstand, die manche Fans als liebevoll und andere als Stockholm-Syndrom bezeichneten.

Ähhh, ja. Fürs Fernsehen haben sie auch ihr Alter hochgedreht. Aber Stockholm-Syndrom ist frauenfeindlicher Schwachsinn. Sage nicht ich, ich schreibe nur mit. Ok, man kann einerseits kritisieren, dass Zwangsehen hier positivi dargestellt werden, andererseits habe ich noch nie gehört, dass jemand behauptet hat, GoT würde das Mittelalter irgendwie romantisieren – nach heutigen Gesetzen wäre es illegal, seine Schwester zu zwingen, einen anderen Mann zu heiraten und ihm sexuell zu Diensten zu sein; insbesondere, wenn man dafür die Unterstützung dieses Mannes für einen Krieg will. Andererseits ist Sklaverei heute auch illegal, sowie die Todesstrafe, Mord, Folter, Kastration, sonstige Amputationen und Blutrache sowie Brandstiftung mit Hilfe von fliegenden Reptilien. GoT iT?

Daenerys Entwicklung zur Stärke wird immerhin aber nicht ausschließlich durch die Vergewaltigung begründet, sondern auch durch andere Einflüsse.

Sie findet ihre Stärke und Motivation, als ihr Zwangsehemann stirbt. Hm. Hmmm. Hmmmmmmm.

Anders sieht es bei Sansa Stark aus.

Ok, DAZU gibt es einen eigenen Artikel. Aber ich verstehe die Problematik.

Vergewaltigungen und Traumata werden als etwas Stärkendes, fast schon Praktisches für die eigene Weiterentwicklung dargestellt

Um das abzukürzen: JEIN. Leute ohne schlimme Erlebnisse kommen bei GoT praktisch nicht vor, die Frage ist nur, ab sie sie überleben. Wenn nicht, hat es sich sowieso mit der Weiterentwicklung erledigt. Wenn doch, ist das Überleben offenbar notwendige Voraussetzung für die Weiterentwicklung. Das Ergebnis ist ein Artefakt der Datenerhebung.

Die Vergewaltigung wird hier als notwendiges Übel verstanden, nicht als sexuelle Gewalt, Straftat und Ergebnis einer misogynen Gesellschaft. Ziemlich enttäuschend, schließlich gibt es haufenweise andere Gründe, weshalb eine Frau eine komplexe Geschichte haben kann und charakterliche Weiterentwicklung anstrebt.

Die Gesellschaft bei GoT ist halt Scheiße. Sorry. Bzw., die Sachen, die das Zusammenleben erleichtern sollen und die Ideale, von denen man in Geschichten hört, werden nicht angewandt und umgesetzt, aber die schlechten Sachen fluppen. Nur, inwieweit ist das ein „gefährliches Narrativ“? Ist es nicht – wenn schon – die größere Gefahr, dass man sich mit wohligen Schauer zurücklehnt und denkt, die heutige Gesellschaft sei ja zum Glück viel besser?

 Doch auch Jennifer Lawrence’ Figur „Dominika“ musste im Spionagefilm „Red Sparrow“ einen ähnlichen Prozess der Stärke durch Vergewaltigung durchlaufen.

Ach, doch nicht? Verdammt!

Als unfreiwillige KGB-Agentin wird sie bei ihrer ersten Mission vergewaltigt, doch je mehr sich die Übergriffe häufen, desto stärker und kickass scheint sie zu werden.

Ähh, aber wenn sie nicht härter wird und nicht lernt, sich besser zu verteidigen, das wäre also feministischer? Weil es beim Feminismus NICHT darum geht, dass Frauen stärker werden? (Ich habe den Film nicht gesehen, insofern soll der uns beibringen, dass nur die konstante Bedrohung, Gewalt zu erfahren, eine Frau weiter bringt.)

Dabei sollten Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt nicht instrumentalisiert, sondern problematisiert werden.

Ja. Wer oder was veranlasst mich, Vergewaltigungen nicht als Problem wahrzunehmen, wenn ich sie in Film und Fernsehen sehe? Oder wieso wird dem Publikum das jetzt generell unterstellt?

Einerseits, um die Forderungen und Bedürfnisse von Überlebenden in den Fokus zu nehmen

„Bringt mir seine Eingeweide!“ – „Wird gemacht, Herrin!“ Ok, in der düsteren Welt der Mittelalter-Fantasy erwartet jetzt wohl keine/r einen rechtsstaatlichen Prozess, oder?

andererseits, um eine Kultur zu schaffen, die Vergewaltigungen und überhaupt sexueller Gewalt vorbeugen kann.

Es ist nicht Aufgabe von Kultur, Verbrechen zu verhindern. Dafür ist die Polizei da. Aber ja, „wir“ sind tatsächlich weiter als das Mittelalter oder der KGB, was rechtstaatliche Mittel betrifft. Hurra! Dass zu viel Gewalt in Medien abstumpft, ist – wenn man das schon problematisiert – ein allgemeines Problem. Tote Männer scheinen aber niemanden groß zu stören.

Trotzdem werden Vergewaltigungen oder andere Gewalttaten wie sogar Morde an Frauen immer noch häufig gezeigt – oft, um banale Zwecke zu erfüllen.

Ok, rein inflationäre Bedienung immer brutalerer Gewalt, weil man mit dem harmloseren Kram niemanden mehr schockt, IST ein anderes Problem, aber ein Problem. Aber hm, irgendworan erinnert mich das?

Zum Beispiel, um den Handlungsstrang des Mannes voranzubringen oder seine Perspektive in den Mittelpunkt zu rücken.

Nein, das nicht. Moment, Gendertauschprobe, Gendertauschprobe…

Die feministische Filmwissenschaft nennt die Extremform dieses sexistischen Narrativs „Women in Refrigerators“, also Frauen in Kühlschränken.

… Gendertauschprobe, gleich habe ich es…

Der Mord dient einzig dem Zweck, den Mann zu motivieren, emotional, aktiv oder rachsüchtig werden zu lassen.

So, wie Arya, nachdem ihr Vater enthauptet wurde? So, wie Daenerys, nachdem ihr Mann nicht einfach starb, sondern sie ihm den Gnadenstoß geben musste? Dani aus dem letzten Terminator? Ellie? Halloho?

Überhaupt reicht es jetzt mit der sexuellen Gewalt als banales Film- oder Serienelement, weil Drehbuchautoren (ja, bewusst nicht gegendert) nichts anderes als Vergewaltigung einfällt, um ihren Figuren Tiefe und Geschichte zu geben.

Wenn Drehbuchautoren einfach Männer sterben lassen, um Frauen Tiefe und Motivation zu geben, ist ihr das aber natürlich egal. Männer, die für Frauen sterben, ist nichts, was man im RL verhindern würde, warum alo in Film und Fernsehen?

2 Gedanken zu “Die Banalisierung des Bösen

  1. Die übliche violette Brille.

    Die tausenden von Männern, die auf den Schlachtfeldern abgeschlachtet werden.
    Theon, der auf der Flucht fast vergewaltigt wird und später dann im Kerker von den zwei Gespielinnen vollendet.
    Alles nicht so wild…

    Lang und breit diskutieren die KomentartorInnXen* die DARSTELLUNG der Vergewaltigung von Sansa. Keiner Sau fällt auf, dass die Vergewaltigung gar nicht dargestellt wurde. Sie fand off-screen statt.

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