Das Schweigen der Lämmer ist zwar leider etwas terfig, aber immerhin: die Verfilmung ist auf die gute Weise feministisch und ermutigend. Die Hauptperson, Clarice Starling, ist eine FBI-Agentin in der Ausbildung. Sie wird von Jodie Foster gespielt, ist also nicht gerade besonders groß oder athletisch, am Anfang sieht man, wie sie trainiert, und über den ganzen Film über trifft sie auf Männergruppen, die sie wie einen bunten Hund anschauen. Weil Frauen im FBI zu der Zeit eher selten sind. Und diese Szenen bestehen auch nur aus unangenehmen Schweigen. Noch nicht einmal dumme Sprüche. Man vergleiche das im Geiste mal bitte mit Scully, die da schon zwei Schritte weiter ist: mehr Akzeptanz der Kollegen und mehr Selbstbewusstsein, mal die Klappe aufzumachen, „Och, Mulder!“
Was bei Starling hinzukommt, ist, dass sie eigentlich noch in der Ausbildung ist, sie wird aber abgestellt, um den berüchtigten Kannibalen/Psychiater Hannibal Lecter zu verhören, dem man gewisse Kenntnisse bzgl. eines anderen Serienmörders unterstellt. Dass man Starling dafür einsetzt, liegt eigentlich daran, dass man hofft, Lecter würde bei einer netten, jungen Frau eher anbeißen, ähh, den Köder schlucken, und mehr verraten, als er es bei einem typischen WASP-Wham täte.
Und dann klappt das auch noch. Was das genau NICHT zu einem Frauen-sind-die-besseren-Zuhörer:Innen-Exempel macht: Lecter erfährt eigentlich mehr über sie, als sie über den Fall. Es wäre vllt. trotzdem ein Argument für (weibliche Reize) beim FBI, wenn Starling nur per Geschlecht Erfolg hätte, aber später kann sie beweisen, dass ihr Training bereits weit genug gediehen war, um den Fall zu lösen (und zu überleben). Bei einer Person, die offenbar eher nicht auf weibliche Reize reagiert.
Und deshalb ist die Geschichte eben profeministisch, es wird zwar gezeigt, welche Probleme Frauen haben, wenn sie in „Männerjobs“ arbeiten wollen, aber andererseits wird genauso gezeigt, dass diese Probleme überwindbar sind:
- es fühlt sich oft unangenehm an, die einzige Frau in der ganzen Firma zu sein
- Männerjobs sind nicht unbedingt Männerjobs geworden, weil sie so viel Spaß machen
- viele Männerjobs beinhalten körperliche Anstrengung und Gefahr für Leib und Leben
- in reinen Männergefängnissen sind Frauen leider auch Wichsvorlagen
Dies sind Dinge, die Starling aber überwindet: sie ist nicht besonders groß oder sportlich, sie ist aber umgekehrt auch nicht besonders schön, sie hat keinen familiären Hintergrund, der ihr beim FBI helfen könnte, sie geniert sich sogar für ihren „Landeihintergrund“ – ob das tatsächlich ein Problem bei ihren Vorgesetzten ist, weiß man nicht, aber für sie ist es eines.
Am Ende hat sie Erfolg, ohne irgendwo überdurchschnittlich gut zu sein. Das ist die gute Art von Feiminismus und Ermutigung: Frauen müssen gar keine Supermenschen sein, um es zu etwas zu bringen. Wie Sarah Connor oder Zeichentrick-Mulan, aber im Unterschied zu Realfilm-Mulan oder Captain Marvel. Letztere hatte tatsächlich Hindernisse zu überwinden, aber die Quelle ihrer unvergleichlichen Superkräfte ist buchstäblich vom Himmel gefallen. Und Realfilm-Mulan ist eigentlich schon immer Superheldin gewesen, sie hat es nur unterdrückt. Weil Männer keine Frauen mit Superkräften mögen. Außer Wonder Woman.
Ok, liebe Leserinnen: haltet Ihr Euch für ungeoutete Superfrauen, die ihr Potential nicht freisetzen können, oder für ganz normale Frauen, die ihr Potential nicht freisetzen können, bzw., ihr Potenzial tatsächlich schon freisetzen, aber das beinhaltet leider nicht Fliegen und an Wänden laufen?
Weitergehende Frage: lohnt es sich, sein Potential zur Entfaltung zu bringen, Eurer Meinung nach erst dann, wenn man damit nicht nur besser ist, als jeder andere, sondern besser als alle anderen zusammen? Ich habe nämlich die Befürchtung, dass das der Gedanke hinter den neueren Hollywood-Filmen ist.