Wobei ich ihr Unbehagen hier verstehe. Vom Prinzip her. Einen generellen Gegeneinwand: Handke hat seinen Preis nicht in der Kategorie „Frieden“, sondern in der Kategorie „Literatur“ bekommen. Es wäre einfach nicht fair, wenn Handke wegen seiner zugegebenermaßen fragwürdigen politischen und privaten Verhaltensweisen keinen Literaturpreis bekommen soll, wenn sich Friedensnobelpreisträger deutlich schlimmeres leisten dürfen. Eine schöne Zusammenfassung gibt es hier. Ruhm und Ehre dem lustigen Postillon!
Aber, davon mal abgesehen, stellt Stokowski die Gretchenfrage (es ist nicht meine Schuld, dass ihre Eltern ihr diesen Vornamen gegeben haben):
Kann man die Kunst vom Künstler trennen?
Dann fällt ihr selber auf, dass das eine (etwas) schwammige Frage ist.
Wer ist „man“, und was genau soll getrennt werden? Der arbeitende Mensch vom privaten Menschen, der geschriebene Text vom sprechenden Autor, der Film von den Umständen, unter denen er gedreht wurde?
Um das mal zu beantworten: „man“ ist jede Person, die sich für die jeweilige Kunst interessiert. Der geschriebene Text hat – jedenfalls, wenn er Literatur ist – eine Bedeutungsebene oder einen Subtext, die oder den der Autor gar nicht geplant oder erkannt hat. Und die Umstände, unter denen ein Film gedreht wurde, werden gelegentlich als „milderne Umstände“ herangezogen, dass man mit dem geringen Budget bspw. nicht mehr reißen konnte, trotzdem gibt es massig Leute, die schlechte, veraltete CGI als schlechte, veraltete CGI kritisieren werden (ich ha-heiß, dass sie das nicht meint). Aber ja, man kann eine Trennung vornehmen. Es ist auch keine Frage, ob man sich die „leisten“ kann, weil so etwas nichts „kostet“, es ist aber die Frage, ob so eine Trennung wünschenswert oder sinnvoll ist. Und da wird es mal so richtig interessant.
Wie soll man mit Filmen umgehen, deren Produzent Frauen vergewaltigt hat? Oder mit Filmen, deren Hauptdarsteller seine Partnerin geschlagen hat? Oder mit Musik, bei der man davon ausgehen kann, dass der Sänger Kinder missbraucht hat? Oder: Sollte jemand, der mit Kriegsverbrechern sympathisiert, einen Nobelpreis bekommen?
Triviale Antwort: SIE können in dieser Hinsicht machen, was Sie wollen. Niemand, und ich meine das nicht als Phrase, absolut niemand, kein Mensch auf dieser Welt zwingt Sie, einen bestimmten Film zu sehen, einen bestimmten Song runterzuladen, ein bestimmtes Buch zu lesen oder sonstwie Geld für Kunst von Künstlern auszugeben, die Sie nicht haben wollen. Nagut, manchmal kommen in öffentlich-rechtlichen Funk und Fernsehen Musik oder Filme, die Sie aus verschiedenen Gründen ablehnen, und die Sie mitfinanzieren. Die Welt ist schlecht.
Oft werden diese Fragen mit einem „darf“ formuliert
Ja. Das ist aber nur die halbe Frage. Bzw., nur die eine Hälfte des Problems.
Die andere Hälfte ist, ob man Leute, die bestimmte Kunst „konsumieren“, deshalb als unmoralisch kritisieren darf. Oder sollte. Oder muss. Und offenbar sind sowohl Frau Stokowski als auch Frau Irmschler dabei, nicht nur die Künstler zu kritisieren, sondern auch die „Konsumenten“, d.h., beide sind zumindest bei der „sollte“-Fraktion.
Bei manchen Künstlern – Künstlerinnen nicht mitgemeint – hat man das Gefühl, sie haben irgendwann eine magische Grenze überschritten, jenseits derer ihre Bewunderer ihnen jeden erdenklichen Fehler verzeihen:
Gefühle können täuschen. Nebenbei weiß ich nicht, wieso Künstlerinnen nicht mitgemeint sind; meint sie jetzt, dass Frauen keine Fehler begehen, oder meint sie, dass deren Bewunderer ihnen diese Fehler verzeihen? Ich weiß, dass zumindest zwei Leute Charlottes Roches Fehler verteidigen (Kommentare). Ok, aber vllt. hält Stokowski Roche bloß nicht für eine Künstlerin.
Mal abgesehen davon, dass jemand, dem man vorwirft, z.B. einen Weinsteinfilm zu sehen, oder den Film sogar zu mögen, sich in erster Linie selbst verteidigt – irgendwie fehlt Stokowski jeder Sinn für Differenzierung. Jemand findet einen bestimmten Komiker nicht trotz, sondern wegen dessen Witze über Frauen und Minderheiten lustig, und ist selbst wirklich ein rassistisches, sexistisches Arschloch. Ein anderer ist aber vllt. der Ansicht, dass, da ein bestimmter Künstler von seinen Vorwürfen freigesprochen wurde, er für diese Vorwürfe nicht mehr bestraft werden darf, und ein Boykott ist eine Strafe (manch einer konnte das finanziell wohl wegstecken, aber das ist jetzt nicht der Punkt). Ergo muss man sich nicht (mehr) rechtfertigen, wenn man ihn mag. Dritte mögen auf die Schwere der jeweiligen Vorwürfe abstellen, oder damit argumentieren, dass nur, weil ein Mitarbeiter einer Filmproduktion – und sei es auch der Produzent selbst – nachgewiesenermaßen kriminell ist, man nicht per Gruppenschuld die gesamte Produktionsmannschaft bestrafen darf. Ich weiß nicht, ob Stokowski es gut fände, wenn man eine Zeitung, für die sie arbeitet, boykottierte, weil ein Redakteur meinetwegen mit Rauschgift gehandelt hat.
Ok, um zurück auf Handke zu kommen, zitiert Stokowski einfach Marinic:
„Meinen jene, die Werk und Person nun trennen möchten, dass die Opfer des Genozids das auch sollen?“
Wie sollten sie das können? Wenn ein Künstler Verbrechen begeht, gutheißt oder leugnet, wenn er Täter zu Opfern macht, dann ist Kunst und Künstler zu trennen ein Luxus, den man sich leisten können muss.
Ob Handke Menschen ermordet, deren Ermordung gutheißt oder ob er sie leugnet, sind drei verschiedene Dinge. Im Hinblick auf Handke, im Unterschied zu den meisten anderen Beispielen in ihrem Artikel, sei allerdings angemerkt, dass die Verharmlosung der serbischen Seite nicht bloß in Handkes „Privatleben“ vorkommt, sondern tatsächlich in seiner Kunst (der Weinsteinfilm, in dem beruflicher Aufstieg im Tausch gegen sexuelle Gefälligkeiten als moralisch einwandfreies Mittel der Wahl betrachtet wird, scheint noch nicht aufgetaucht zu sein). Siehe hierzu auch Schoppe:
Mir blieb in Erinnerung, wie liebevoll und sorgfältig er Tongefäße beschrieb, in denen Serben ihm auf seiner Reise durch das Land etwas zu trinken reichten – als ob diese Empfindung ein ganz eigenes Gewicht hätte, das angesichts der Empörung über die Morde viel zu wenig geschätzt würde.
Hier ist also ein grundsätzlich anderes Argument dagegen, Kunst und Künstler zu trennen: das, was man dem Künstler vorwirft, ist Teil der Kunst. Und hier liegt für jemanden, der das gut findet, auch ein größerer Rechtfertigungsbedarf vor. Natürlich muss ein Leser (Leserinnen sind wie immer mitgemeint) nicht unbedingt die Ansichten und Meinungen zu eigen machen, die in einem Roman erklärt werden, weil 1. Literatur wie gesagt eine eigene Bedeutung hat, die nicht der Intention des Autors unterworfen ist und 2. Leser auch einen freien Willen haben. Anderer fällt es einem umso leichter, ein Buch zu mögen, je weniger man den dargestellten Ansichten und Meinungen widerspricht. Wenn jemand sogar der Ansicht ist, Handkes Werk nicht nur gut zu finden, sondern sogar teuer belohnen will, ist die Frage, ob diejenigen einen eher laxen Umgang mit Kriegsverbrechen tatsächlich wirklich so toll finden; und es scheint ja so zu sein, dass dieses „empfindungsvolle“ tatsächlich Absicht ist. (Fairerweise muss ich sagen, dass ich keine Lust habe, mir jetzt ein Buch von Handke zu kaufen, nur um mir eine eigene Meinung zu leisten.)
Aber generell bin ich schon der Ansicht, Kunst und Künstlerin oder Künstler trennen zu dürfen, ohne dafür moralisch kritisiert zu werden. Aber schön, dass sich Stokowski für die Opfer des Genozids einsetzt. Bezüglich der Trennung fragt sie sich, d.h., uns:
Was aber, wenn man das nicht kann? Und zwar nicht, weil man keine Ahnung von Literatur hat, sondern gerade weil man bestimmte Ansprüche an sie hat?
Dann hat man möglicherweise zu hohe Ansprüche. Literatur dient der Unterhaltung. Wenn ich nicht unterhalten werde, weil ein allzu verklärter Blick auf den Jugoslawienkrieg mich wütend macht, ist das eben ein schlechtes Buch für mich. Wenn ich den Eindruck habe, dass der Autor mich zu einer bestimmten Ansicht zum Völkermord quasi überreden will, dann ist das evt. ein literarisch schlechtes Buch UND ein moralisch fragwürdiger Autor. Ist aber vllt. mein persönliches Problem, dass ich Bücher nicht als Erziehung für Erwachsene betrachte.
Der Reflex, auf der Trennung von Kunst und Künstler zu bestehen, ist umso stärker, je umfassender die eigene Bewunderung für den Künstler bisher war, und der Versuch, die Enttäuschung abzuwehren, umso vehementer, je stärker das eigene Selbstbild ins Wanken geraten könnte, wenn man sich eingesteht, wen man da verehrt (hat).
Ähh, nein? Werk vom Hersteller zu trennen ist etwas, was einem schon in der Schule beigebracht wird; wenn man einen Roman bespricht, soll man nicht sagen, was der Autor(m/d/w) aufgrund ioser Biographie heraus wohl meinen könnte, sondern das, was der Text sagt. Explizit, implizit, im Subtext, wasauchimmer. Trennung von Kunst und Künstler ist also NICHT etwas, was nur getan wird, wenn der Künstler unmoralisch handelt. Umgekehrt – auch das habe ich in der Schule gelernt – wurde Kunst oft verboten, weil jemanden der Künstler oder die Künstlerin nicht passte. Nicht unbedingt die Kunst als solche, also wurden Kunst und Kunstschaffende unzulässigerweise auch verbunden. (Wobei, irgendwer war mal gegen Kubismus, nicht, weil das Zeug voll hässlich ist, sondern weil „Kubismus“ an „Kuba“ erinnert.)
Persönlich habe ich Handke nie gelesen. Es ist ein Unterschied, ob man jemanden boykottiert oder nur nicht will, dass er den wichtigsten aller Literaturpreise bekommt. Es ist ein Unterschied, ob eine unmoralische Handlung nachgewiesen oder nur vermutet wird. Es ist tatsächlich in Hinblick auf die Trennungsfrage relevant, ob das Unmoralische Teil des Werkes ist oder nicht. Und dann sind da noch einige Sachen moralisch schlimmer als andere. Aber ja, den Nobelpreis hätte besser wer anders gekriegt. Nur, weil ich dem zustimme, stimme ich aber nicht allem zu. Ein ähnliches (oder schlimmeres) Problem hatte ich aber tatsächlich mal. Ich habe eine große Sammlung von Büchern von Marion Zimmer Bradley. Und – nachdem die Vorwürfe gegen sie aufkamen – fielen mir tatsächlich erst die beiläufigen Vergewaltigungen darin auf. Muss ich mich jetzt rechtfertigen? Nein. Künstlerinnen sind ja nicht mitgemeint. Puh, Glück gehabt.
Janz fagessen:
Würden Leute, die da auf einer strikten Trennung von Werk und Künstler bestehen, sich auch ein Landschaftsgemälde von Hitler an die Wand hängen, wenn es ein richtig gutes Bild wäre? Und wenn nicht: Nur aus Angst vor Ächtung – oder doch aus einer inneren Überzeugung, dass die eigenen ästhetischen Bedürfnisse nicht in jedem Fall der einzig gültige Maßstab für die Bewertung von Kunst sein können?
Ja, es würde Leute geben, die Hitlers Gemälde sich an die Wand hängen, wenn sie sie schön fänden. Oder zum Angeben und Provozieren. Und ja, die würden auf eine „strikte“ Trennung von Werk und Künstler bestehen, bzw. auf eine strikte Trennung von Kunstkäufer und Künstler, da Hitler selbst offensichtlich nicht mehr davon profitiert, da diese Bilder – von einer unnötigen Braunlastigkeit mal abgesehen – keine Nazipropaganda enthalten, und drittens, weil es nicht verboten ist.
Allgemein ist dieses Szenario etwas akademisch, da Hitler, wenn er besser hätte malen können, _vielleicht_ bei dem Beruf geblieben wäre, und außerdem, weil man es kaum mitkriegt, wenn das Gemälde an einer privaten Wand hängt. Und ja, viele Leute, die sich tatsächlich Hitler realexistierenden, nicht besonders inspirierten Bilder an die Wand hängen würden, machen das vermutlich, weil sie den Künstler verehren, nicht die Kunst.
Es gäbe aber unter denen, die sich Hitlers Kunst – obwohl sie sie mögen – nicht an den Nagel hängen, auch viele, die das nur aus Angst vor Ächtung täten, und nicht aus innerer Überzeugung. Was Stokowskis rhetorische Frage etwas sinnlos lässt.
Hat jetzt aber so oder so wenig mit Handke zu tun. Hitlers Verbrechen sind schlimmer, Handkes Kunst ist besser, Nazivergleiche sind generell eher suboptimal, und – Funfakt – niemand hat Hitlers Bilder für irgendeine Auszeichnung auch nur nominiert.