Gauland disst Fußballfans

Über Muhammad Ali ist eine Geschichte überliefert: 1960 gewann er, damals noch unter dem Namen Cassius Clay, bei den olympischen Spielen die Goldmedaille im Box-Schwergewicht. Ein großartiger Erfolg, denn er hatte nicht nur einen Boxkampf und eine Goldmedaille gewonnen, sondern auch die Anerkennung seine Mitbürger in Loisville, Kentucky. Nach den Feiern wollte er sich in einem Diner eine Limonade bestellen, und wurde nicht bedient, weil das ein Weißen-Diner war.

Daraufhin ging er zum Ohio und warf die Medaille in den Fluss.

An diese Geschichte musste ich denken, als ich von Gaulands Boateng-Zitat hörte; selbst, wenn diese spezielle Anekdote über Ali nicht so passiert ist – offensichtlich kann ein Mensch wegen einer Sache sehr beliebt sein, und wegen einer anderen Sache sehr unbeliebt. Hummels wird von Leuten, die ihn als BVB-Spieler feierten, als Bayern-Spieler angegangen, und demnächst als Nationalspieler vermutlich wieder gefeiert. Toll. Und selbst, wenn Muhammad Ali in jenem Diner eine Limo bekommen hätte, was hätte das anderen Afroamerikanern genutzt? Eben.

Das Problem mit Gauland ist aus meiner Sicht zweierlei: erstens, wie hier sehr schön analysiert wird, verhindert die allg. Empörung eine Diskussion über Rassismus im Allgemeinen, weil Gauland im Besonderen ja so ein tolles Opfer ist.* Das andere Problem ist, er beleidigt nicht-rassistische Fußballfans. Aber nur diese. Nicht Boateng, der ja nichts dafür kann, wenn es rassistische Fußballfans gibt, und nicht die rassistischen Fußballfans, die mal schön die Klappe halten sollten, weil sie der Grund sind, warum Gauland überhaupt auf die Idee kommt, sowas zu sagen (entweder, weil er ihretwegen nicht ganz Unrecht hat, oder aber, weil er sich ihnen als Wahlalternative andienen will. Vllt. auch beides). Wenn ich bezüglich der obigen Anekdote, sagen wir, sagen würde: „1960 feierten viele weiße US-Bürger Cassius Clay als herausragenden Sportler, der die USA bei den olympischen Spielen einen großen Erfolg verschaffte, aber viele dieser Weißen hatten trotzdem starke Vorbehalte gegen Afroamerikaner und diskriminierten sie aktiv.“, wäre das eigentlich dasselbe Phänomen, das Gauland beschreibt, nur mit der Einschränkung, dass ich nicht „alle“ sage, und Clays/Alis Leistungen ausdrücklich nenne. Die dt. Fußballfans, die keine Vorbehalte gegen Afrodeutsche als Nachbarn haben, oder auch Nachbarn mit türkischen, polnischen, arabischen, berberischen, ostasiatischen, südeuropäischen, südasiatischen oder niederländischen Wurzeln (nicht-abschließende Aufzählung) fühlen sich ganz zu Recht beleidigt, dass Gauland ihnen Rassismus und indirekt Heuchelei unterstellt; dies schließt logischerweise alle Fans der dt. Mannschaft ein, die selbst Wurzeln in einem anderen Land haben (welches nicht bei der EM mitmacht oder welches sie aus Solidarität mit ihren dt. Mitbürgern nicht unterstützen**). Jetzt so zu tun, als ob eigentlich Boateng das „Opfer“ sei, gibt den Fußballfans, die tatsächlich rassistisch denken, die Gelegenheit, Antirassismus zu heucheln, indem sie sich an der allg. Empörung beteiligen. Echt super gemacht!

Ich bestreite einfach, dass Interesse für Fußball irgendwie gegen Rassismus immunisiert. Ergo gibt es rassistische Fußballfans. Ob das sehr viele oder nur ein paar sind, weiß ich nicht, aber die Annahme, es wären (fast) gar keine, halte ich für naiv.

 

Nebenbei, was wäre, wenn jemand sagte: „Leute, die nichts gegen dunkelhäutige Nachbarn haben, sind leidenschaftliche Fußballhasser.“? Schreibt’s mir in die Kommentare!

 

* Wenn man schon was mit „Gau“ heißt, nä. Seit den Nazis wird das Wort nur noch als Abkrz. für „Größter Anzunehmender Unfall“ verwendet, damit keiner mehr Gauleiter werden will.

** Da stellt sich übrigens die Frage, ob eine Veranstaltung wie die Fußball-EM, die die Konkurrenz zwischen Völkern quasi ritualisiert, eigentlich die Integration fördert oder eher doch nicht. „Ich habe nichts gegen Ausländer, einige meiner besten Freunde sind Ausländer, aber diese Ausländer jubeln für die Niederlande/Frankreich/England/Portugal/die Türkei!“

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